Es sind keine Hochglanzwerbungen aus Paris oder New York, sondern Selfie-Videos direkt aus chinesischen Fabriken, die derzeit Tiktok und Instagram überschwemmen. Fabrikbesitzer:innen und Arbeiter:innen zeigen dort, wie Luxusgüter hergestellt werden – oder zumindest deren Nachbildungen. Ihr Appell richtet sich direkt an US-Verbraucher:innen: Kauft bei uns. Direkt. Und spart dabei Tausende Dollar.
Die neue Welle an Tiktok-Videos kommt nicht zufällig. China und die USA fechten weiter einen erbitterten Handelsstreit aus. Hintergrund ist eine angekündigte neue Runde von Strafzöllen der US-Regierung unter Donald Trump auf chinesische Importe. Die Maßnahme, die ab dem 2. Mai greifen soll, könnte Online-Käufe aus China massiv verteuern. Genau deshalb fahren viele chinesische Fabriken jetzt eine digitale Gegenstrategie: Statt ihre Produkte wie üblich über westliche Marken zu exportieren, sprechen sie Konsument:innen direkt an.
Die Idee dahinter: Direktvertrieb per Social Media, bevor die Zollschranke fällt. Die Strategie kommt an: Apps wie DHGate und Taobao, über die viele dieser Direktkäufe laufen, zählten laut "New York Times" vergangene Woche zu den am häufigsten heruntergeladenen Anwendungen in den USA.
Der Inhalt der Videos klingt oft nach Luxus für alle: Leggings wie von Lululemon für fünf Dollar, Handtaschen, die angeblich in denselben Fabriken wie bei Chanel gefertigt wurden. Nicht selten wird suggeriert, es handle sich um identische Produkte, lediglich ohne Markenlogo. Doch genau das dürfte in den allermeisten Fällen nicht stimmen. "Fabriken, die wirklich für diese Marken produzieren, stehen meist unter extrem strengen Geheimhaltungsverträgen", erklärt Sucharita Kodali, Analystin beim Marktforschungsunternehmen Forrester der "New York Times".
Trotz Warnungen vor Plagiaten boomt das Interesse. Eine Tiktokerin aus North Carolina, Elizabeth Henzie, hat sogar eine Tabelle mit den angeblich besten Fabriken erstellt und in ihrem Profil verlinkt. Die Folge: über eine Million Views. Inzwischen ist sie Affiliate-Partnerin für DHGate, erhält kostenlose Produkte und verdient an jeder Bestellung mit.
"Andere Länder kommen zusammen, um amerikanischen Konsument:innen zu helfen", sagt Henzie. Sie sieht die Tiktok-Welle als Reaktion auf politische Verwerfungen in den USA. Und sie ist nicht allein: Unter vielen der Videos sammeln sich Kommentare wie "China hat diesen Krieg gewonnen" oder "Trump hat das falsche Land gemobbt".
Auffällig ist: Obwohl Tiktok in China offiziell verboten ist, erreichen die Videos von dort aus massenhaft US-User:innen. Laut dem Analysten Matt Pearl vom Center for Strategic and International Studies könnte die chinesische Regierung hier bewusst die Zügel locker lassen. "Das erinnert an die Proteste gegen das Tiktok-Verbot – nur diesmal im Kontext von Zöllen", sagt Pearl. Es sei ein Beispiel dafür, wie gezielt chinesische Produzenten mit US-Konsument:innen kommunizieren, um geopolitische Narrative zu beeinflussen.
Tiktok selbst versucht gegenzusteuern. Die Plattform hat laut "New York Times" damit begonnen, Videos mit gefälschten Markenprodukten zu löschen. Viele tauchen allerdings kurze Zeit später erneut auf, oft als Reposts. Meta, Betreiber von Instagram, kommentierte die Situation bislang nicht.
Für viele chinesische Hersteller ist das Posten auf Tiktok vor allem ein Rettungsversuch. Yu Qiule, Co-Gründer einer Firma für Fitnessgeräte aus der Provinz Shandong, sagte gegenüber der Zeitung, er habe Mitte März damit begonnen, weil Kundenbestellungen ausblieben. Auch Louis Lv von der Hongye Jewelry Factory erklärt, der Absatz im Inland sei rückläufig – Tiktok solle neue Märkte erschließen.
Was viele dabei antreibt: die Angst, dass neue US-Zölle ab dem 2. Mai Online-Verkäufe aus China deutlich verteuern könnten. Analystin Kodali geht davon aus, dass viele Hersteller jetzt noch schnell Käufe generieren wollen, bevor es richtig teuer wird.
Marken wie Hermes, Lululemon oder Birkenstock dementieren unterdessen die Echtheit der gezeigten Produkte. Sie seien entweder komplett in Europa oder Nordamerika gefertigt, heißt es. "Die Videos zeigen Nachahmungen", erklärte eine Sprecherin von Birkenstock. Auch Lululemon betonte, dass es keine Verbindung zu den angeblichen Fabriken gebe und warnte vor Fakes.
Trotzdem: Die Nachfrage bleibt hoch. Und die Idee, direkt aus dem Herzen der Produktion einzukaufen, ist für viele jüngere Konsument:innen offenbar zu verlockend, um sie mit ethischen oder markenrechtlichen Bedenken aufzuwiegen.