Mitten in einem Haushaltsstreit rief Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol am Dienstag überraschend das Kriegsrecht aus. Wenige Stunden später, nach einer Abstimmung im Parlament, wurde es wieder aufgehoben. Die Maßnahme hatte landesweit für Proteste und international für Aufsehen gesorgt.
Yoon begründete die Entscheidung mit einer vermeintlichen Bedrohung durch Nordkorea und "antistaatliche Elemente". In einer Ansprache sagte er: "Um ein liberales Südkorea zu schützen, sehe ich mich zu diesem Schritt gezwungen." Allerdings wurden keine konkreten Hinweise auf eine akute Gefahr bekannt. Kritiker:innen werfen dem Präsidenten vor, das Kriegsrecht als politisches Druckmittel gegen die Opposition eingesetzt zu haben. Nun droht eine Amtsenthebung des Präsidenten, obwohl er bereits zurückgerudert ist.
Eine gefährliche Instabilität, die hier brodelt.
Expert:innen befürchten einerseits Auswirkungen auf die gesamte Region, denn in Asien vertiefen sich die geopolitischen Bruchlinien weiter. Andererseits könnte der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un das Chaos in Südkorea für sich nutzen.
"Jede Instabilität in Südkorea hat erhebliche Auswirkungen auf die Indo-Pazifik-Politik", sagt etwa der pensionierte US-Oberst Cedric Leighton zu CNN. Je weniger Stabilität es in Südkorea gibt, desto schwieriger sei es etwa für die USA, politische Ziele zu erreichen.
In den vergangenen Jahren intensivierte sich die Zusammenarbeitet zwischen den USA und Südkorea. US-Präsident Joe Biden besuchte das Land mehrmals und übergab Yoon Anfang des Jahres die Leitung seines "Gipfels für Demokratie" in Südkorea.
Zu seinen Bemühungen gehörte auch ein Gipfeltreffen mit Japan und Südkorea im Jahr 2023, bei dem der US-Präsident das historische Misstrauen zwischen den beiden US-Verbündeten umging. So wurde eine trilaterale Zusammenarbeit auf den Weg gebracht.
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA stellte klar, dass "die Demokratie die Grundlage" des Bündnisses zwischen den USA und Südkorea sei. Diese ist aktuell durch die Unruhen im Land gefährdet.
Ohnehin war die Annäherung ein Dorn im Auge von Nordkorea, China und Russland und Verbündeten. Die Entwicklungen – und der mögliche Machtwechsel in Südkorea – werden wahrscheinlich aufmerksam beobachtet.
Die Verhängung des Kriegsrechts durch Yoom, wenn auch inzwischen zurückgenommen, führte zu einer Welle öffentlicher Empörung und Chaos. Vor dem Parlamentsgebäude in Seoul versammelten sich Hunderte Demonstrant:innen und forderten Yoons Rücktritt.
Die größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei (DP), reichte einen Amtsenthebungsantrag gegen Yoon ein. "Wir können dieses Verhalten nicht dulden", erklärte ein Vertreter der Opposition auf einer Pressekonferenz. Darüber hinaus kündigte die DP rechtliche Schritte wegen "Aufruhrs" gegen Yoon und mehrere seiner Minister:innen an.
Der größte Gewerkschaftsverband des Landes rief zu einem unbefristeten Generalstreik auf: "Verhaftet Yoon Suk Yeol!", skandierten die Protestierenden. Unterdessen boten einige hochrangige Regierungsmitarbeiter aus Protest gegen die Maßnahme ihren Rücktritt an.
Eine Abstimmung über die Amtsenthebung könnte bereits am Freitag stattfinden. Die Opposition verfügt zwar über eine Mehrheit im Parlament, benötigt jedoch einige Stimmen aus der Yoons-Partei, um die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erreichen.
Die politischen Unruhen bieten auch Kim Jong-un eine Chance, aus dem Chaos Kapital zu schlagen. Er ist etwa dafür bekann, politisch günstige Moment für große Waffentests auszuwählen – beispielsweise wie beim Abschuss einer neuen Interkontinentalrakete wenige Tage vor der US-Präsidentschaftswahl im November.
"Wir wissen, dass Nordkorea gerne das demokratische System Südkoreas verspottet, wenn es in Seoul zu Unruhen kommt", sagt Edward Howell, ein Politikdozent an der britischen Universität Oxford, zu CNN. Und: "Es sollte uns nicht überraschen, wenn Pjöngjang die innenpolitische Krise Südkoreas zu seinem Vorteil ausnutzt, sei es rhetorisch oder anderweitig."
Auslöser der Eskalation war ein Haushaltsstreit zwischen Yoons Partei "People Power" (PP) und der Opposition. Die DP hatte in der vergangenen Woche lediglich eine reduzierte Version des Haushaltsplans im Parlamentsausschuss bewilligt. Yoon warf der Opposition vor, die Regierung bewusst zu blockieren, um Ermittlungen gegen ihren Vorsitzenden Lee Ja Myung zu verhindern. Gegen Lee laufen mehrere Korruptionsverfahren, die er jedoch vehement bestreitet.
Das Verhältnis zwischen den beiden politischen Lagern ist seit Monaten gespannt. Die Ereignisse rund um das Kriegsrecht markieren einen neuen Höhepunkt der Krise.
Wie es für Yoon weitergeht, bleibt unklar. Die politische und rechtliche Lage des Präsidenten hat sich durch die jüngsten Entwicklungen deutlich verschärft. Beobachter halten es für möglich, dass die Opposition genügend Unterstützung findet, um Yoon sein Amt zu entheben.
Die innenpolitischen Spannungen könnten Südkoreas ohnehin fragile Sicherheitslage weiter belasten. Nord- und Südkorea befinden sich seit dem Ende des Korea-Krieges 1953 formell noch immer im Kriegszustand.
(Mit Material von dpa)