Ein Deutscher muss ins türkische Gefängnis – 6 Punkte eines unklaren Falls
Nach zwei kurzen Gerichtsverhandlungen soll Patrick K. aus Gießen nun
jahrelang in ein türkisches Gefängnis. Angeblich hat er sich per E-Mail
einer Kurdenmiliz als Kämpfer angeboten.
26.10.2018, 12:38
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Seit März sitzt Patrick K. aus Gießen in einem türkischen Gefängnis. Und es sieht nicht gut für ihn aus. Wegen der mutmaßlichen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation hat ihn ein türkisches Gericht jetzt zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.
Aber dabei bleibt es nicht: Weil er ein militärisches Sperrgebiet betreten habe, solle
der 29-Jährige außerdem für ein Jahr und acht Monate ins Gefängnis,
sagte sein Anwalt Hüseyin Bilgi.
Dieser Teil der Strafe sei aber zur Bewährung ausgesetzt
worden. Bilgi sagte, er werde das Urteil anfechten. Die zweite
Verhandlung hatte weniger als eine Stunde gedauert. Prozessauftakt war
vor rund drei Wochen.
Warum ist der Fall so brisant?
Im vergangenen Jahr hatte eine Serie von Festnahmen deutscher
Staatsbürger zu einer schweren Krise zwischen Berlin und Ankara geführt.
Nach Entlassungen aus der Untersuchungshaft und Ausreisen der
prominentesten Fälle – darunter der "Welt"-Reporter Deniz Yücel und der
Menschenrechtler Peter Steudtner – hatten sich die Beziehungen Anfang
des Jahres leicht entspannt.
Es sind aus politischen Gründen aber immer
noch fünf Deutsche in Haft.
Bevor sie nicht frei seien, könne es keine
Normalisierung der Beziehungen geben, hatte die Bundesregierung mehrfach
betont.
Auch in Deutschland möglich, falsche Verdächtigungen:
K.s Familie sei geschockt, sagte eine Freundin am Telefon. Die
Mutter könne derzeit nicht reden. "Patrick wurde verurteilt für nichts,
das war eine üble Überraschung." Vor dem Gerichtstermin hatte K.s Mutter
Claudia S. der Deutschen Presse-Agentur noch gesagt, ihr Sohn habe
große Angst. Sie mache sich auch Sorgen um seine Gesundheit.
Er kämpfe
seit Wochen mit einer Mittelohrentzündung und habe drei Zähne
verloren. K. sitzt seit mehr als acht Monaten in einem Gefängnis in der
osttürkischen Provinz Elazig. Der Verhandlung im südosttürkischen
Sirnak wurde er per Videoleitung zugeschaltet. Patrick sei "sehr
traurig", sagte Anwalt Bilgi.
Wie begründet das Gericht das Urteil?
Bilgi zufolge hat der Richter das Urteil nicht im Detail begründet. Es
ist in der Türkei allerdings durchaus üblich, das detaillierte
Urteilsbegründungen später nachgereicht werden. Der Richter habe nur
gesagt, dass er "aufgrund der Vorwürfe in den Akten und den vorliegenden
Beweisen" so entschieden habe, sagte Bilgi.
K. war der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge im März im
türkisch-syrischen Grenzgebiet in einem militärischen Sperrgebiet
festgenommen worden. Auch die Grenze zum Irak liegt in der Nähe. Die
Staatsanwaltschaft warf K. Mitgliedschaft in der in Syrien
aktiven Kurdenmiliz YPG vor. Diese ist ein Ableger der PKK, die in der
Türkei und in Europa als Terrororganisation gilt. Nach Angaben seiner
Familie war er zum Wandern in der Türkei.
Ist die Beweisführung klar?
Nein. Die Staatsanwaltschaft sah laut Anklageschrift
eine "organische Verbindung" zwischen K. und der Terrororganisation. Die
in der Akte dargelegten "Beweise" dafür erschienen Kritikern jedoch
dünn und teils widersprüchlich.
Ein Zeuge will K. im Januar in einem
syrischen Krankenhaus gesehen habe, wo er eine YPG-Uniform getragen und
als Arzt gearbeitet haben soll.
Seine Familie nennt das "blanken
Unsinn". Ihr Sohn sei in der Zeit in Deutschland gewesen,
sagtePatrick K.s Mutter Claudia S. vor dem Gerichtstermin.
Und Arzt sei er schon gar nicht. "Patrick ist gelernter
Schreiner und Tischler und hat später als Kurierfahrer gearbeitet."
Die Staatsanwaltschaft verwies auch auf eine angebliche E-Mail
in Patrick K.s Handy, in der er Kontakt mit der YPG aufgenommen haben
soll. "Ich werde für Euch kämpfen", stand da demnach in gebrochenem
Englisch.
Weiter hieß es angeblich:
"Ich bin auch Tourist in Kilis und werde gehen, um euch zu
helfen. Aber ich brauche Hilfe. Ich spreche Englisch und Deutsch. Ich
bin 28 Jahre alt und habe vier Jahre Erfahrung in der deutschen Armee,
also gebt mir eine Chance."
Laut Anklageschrift soll K. ausgesagt haben, er sei in Deutschland von
zwei Personen dazu verleitet worden, sich der YPG anzuschließen. Er habe
erst nach seiner Festnahme erfahren, dass diese eine Terrororganisation
sei. Seine Mutter sagte vor der Verhandlung: "Er hat halt alles
unterschrieben, was ihm vorgelegt wurde und hat die Sprache nicht
verstanden."
Kann die Politik was tun?
Ja. Der Gerichtstermin fällt zusammen mit einem Besuch von
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), in den die türkische
Regierung wegen der Konjunkturkrise im Land große Hoffnungen setzt. Er
wollte auch die schwierige Menschenrechtslage in der Türkei ansprechen,
sagte Altmaier am Donnerstag. Die Deutschen in türkischer Haft dürfte er
dabei nicht aussparen.
(mbi/dpa)
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