Hoffnungsträger oder "Verzweiflungstat"? Das ist Spaniens neuer Ministerpräsident Sánchez
02.06.2018, 16:28
Mehr «Politik»
Er hat hoch gepokert und gewonnen: Pedro Sánchez, Chef der spanischen Sozialisten (PSOE), wird Nachfolger des durch ein Misstrauensvotum gestürzten Regierungschef Mariano Rajoy.
Nachdem seine Partei die beiden letzten Parlamentswahlen verlor und ihm zwischenzeitlich die Gefolgschaft verweigerte, sah Sánchez vergangene Woche seine Stunde gekommen.
Nur einen Tag nach der Urteilsverkündung im sogenannten "Gürtel-Prozess", einem Mega-Korruptionsprozess gegen Rajoys Volkspartei (PP), ergriff der 46-Jährige mit dem Spitznamen "El Guapo" (der Hübsche) die Gelegenheit und brachte im Parlament einen Misstrauensantrag ein.
"Heute schlagen wir ein neues Kapitel in der Geschichte der Demokratie unseres Landes auf", sagte der ehemalige Wirtschaftsprofessor kurz vor dem Misstrauensvotum im Parlament. Wenig später stürzte das Parlament mit 180 von 350 Stimmen Rajoy nach sieben Jahren im Amt und sprach Sánchez gleichzeitig das Vertrauen aus.
Der Politikwissenschaftler Fernando Vallespín sieht bei Sánchez allerdings nur eine "Verzweiflungstat". Die Sozialisten hätten an Schwung verloren und in der politischen Debatte nicht mehr "an vorderster Front" gespielt. Dort tummelten sich zuletzt die PP, die Liberalen von Ciudadanos und die Linkspartei Podemos.
Sánchez ist auf Verbündete angewiesen
Mit nur 84 sozialistischen Abgeordneten im Rücken musste Sánchez sich auf die Suche nach Verbündeten machen. Ohne Abgeordnetenmandat konnte er dabei nicht die politische Bühne im Parlament nutzen.
Bild: imago stock&people
Schließlich gewann er für das Misstrauensvotum Podemos, die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter und die baskischen Nationalisten. Diese Mehrheit könnte sich allerdings als sehr instabil erweisen. Möglicherweise fällt die Zeit für Sánchez im Regierungspalast Moncloa recht kurz aus.
Der Sozialistenchef werde auf jeden Fall versuchen, möglichst schnell soziale Wohltaten auf den Weg zu bringen, um "die Beliebtheit seiner PSOE" zu erhöhen, vermutet der Politikexperte Antonio Barroso. Damit könne er gestärkt in die nächsten Wahl ziehen, bei der Ciudadanos die meisten Stimmen vorhergesagt werden. "Sánchez ist ein wagemutiger Politiker", sagt Vallespín. "Er denkt eher kurzfristig."
Vom Hinterbänkler zum Parteichef
Geboren am 29. Februar 1972 in Madrid, wuchs Sánchez in einer gutsituierten Familie auf: der Vater Unternehmer, die Mutter Beamtin. Er studierte Wirtschaft in Madrid und absolvierte ein Masterstudium in Wirtschaftspolitik an der Freien Universität Brüssel. In die Sozialistische Partei trat er schon 1993 ein.
Von 2004 bis 2009 Stadtrat in Madrid, wurde er im Jahr 2009 als Nachrücker Parlamentsabgeordneter und machte dann blitzschnell Karriere in der Partei. Im Juli 2014 wurde er in der ersten Urwahl in der Geschichte der Partei an die Spitze der PSOE gewählt.
Bild: imago stock&people
Bei der Wahl im Dezember 2015 landet er hinter Mariano Rajoy auf Platz zwei. In einer Phase des politischen Stillstands versucht er vergeblich, eine Regierung mit Unterstützung von Ciudadanos und Podemos auf die Beine zu stellen.
Kritik aus der eigenen Partei
Im Juni 2016 finden erneut Wahlen statt und die Sozialisten stürzen weiter ab: Sie verzeichnen ihr schlechtestes Wahlergebnis seit der Einführung der parlamentarischen Demokratie in Spanien 1977. Sánchez wird dafür parteiintern verantwortlich gemacht und als Vorsitzender gestürzt.
Doch schon im Mai 2017 ist er wieder ganz oben: Nach einer Werbetour durch ganz Spanien kommt er bei einer Mitgliederbefragung auf 50 Prozent und kehrt an die Spitze seiner Partei zurück.
Auch wenn er sich in den vergangenen Monaten in der Debatte um eine Unabhängigkeit Kataloniens der starren Haltung Rajoys annäherte, bleibt Sánchez für die Konservativen ein windiger Sieger über einen krisenerprobten Regierungschef.
"Pedro Sánchez wird als Judas der spanischen Politik in die Geschichte eingehen", erklärte kürzlich Fernando Martínez-Maillo, Koordinator der konservativen Partei. Rajoy bescheinigte Sánchez, dieser sei "aus persönlichem Ehrgeiz" bereit, "mit wem auch immer ein Bündnis einzugehen, egal zu welchem Preis".
Ukraine-Krieg: Russland eskaliert, weil Olaf Scholz deeskalieren will
Vor mehr als 1000 Tagen fing es mit 5000 Helmen an. Russland startete völkerrechtswidrig einen Großangriff auf die Ukraine – und Deutschland antwortete mit der Lieferung von Militärhelmen.