Die Wahlen werden je nach Ausgang das Land über eine lange Zeit hinweg prägen.Bild: reuters
International
24.06.2018, 09:2424.06.2018, 09:26
Heute wählt die Türkei. Mit der
Abstimmung wird der von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan
betriebene Umbau vom parlamentarischen zum Präsidialsystem
abgeschlossen. Erstmals finden die Wahl des Präsidenten und des
Parlaments gleichzeitig statt. Beim Wahlausgang sind deshalb Umfragen
zufolge verschiedene Szenarien denkbar.
Erdogan gewinnt, AKP bildet Mehrheit im Parlament
Erdogan gewinnt die Präsidentschaftswahl in der ersten
Runde, seine AKP verteidigt ihre absolute Mehrheit im Parlament. Die
Opposition befürchtet in diesem Fall eine "Ein-Mann-Herrschaft".
Erdogan würde mächtig wie nie, er wäre zugleich Staats- und
Regierungschef und könnte per Dekret regieren. Als Vorsitzender der
AKP hätte er zugleich die Kontrolle über die Mehrheitsfraktion im
Parlament, die ihm bedingungslos folgen dürfte. Seine Macht wäre
vermutlich über Jahre hinaus zementiert.
Die Opposition befürchtet eine "Ein-Mann-Herrschaft", falls Erdogan die Wahlen erneut gewinnt.Bild: reuters
Erdogan verfehlt absolute Mehrheit...
Erdogan verfehlt die absolute Mehrheit bei der
Präsidentschaftswahl und muss am 8. Juli in die Stichwahl. Auch in
die zweite Runde ginge Erdogan dann als Favorit, er wäre aber
angezählt. Niemand weiß, was für Dynamiken das auslösen würde. Die
Opposition sähe sich im Aufwind.
... und gewinnt die Stichwahl
Erdogan gewinnt die Stichwahl am 8. Juli, in der er
vermutlich gegen den Kandidaten der größten Oppositionspartei CHP,
Muharrem Ince, antreten müsste. Seine AKP behält die absolute
Mehrheit im Parlament. Erdogans Gewinner-Image wäre zwar angekratzt,
das dürfte für ihn aber verkraftbar sein - zumal er sich in den
kommenden fünf Jahren keiner Wahl mehr stellen müsste und
durchregieren könnte. Auch hier gilt die Sorge der Opposition vor
einer Ein-Mann-Herrschaft.
... und verliert die Stichwahl
Erdogan verliert die Stichwahl gegen Ince. Nach fast
16 Jahren AKP-Regierung würde die Türkei in ihren Grundfesten
erschüttert. Erdogan selbst hat wiederholt gesagt, dass er den Willen
des Volkes respektieren werde. Allerdings war ihm das Volk bislang
immer mehrheitlich gewogen. Unklar ist, wie seine Anhänger auf einen
drohenden Machtverlust reagieren würden. Der Türkei würde mindestens
eine Phase der Instabilität drohen. Auch das per Referendum im April
vergangenen Jahres beschlossene Präsidialsystem stünde wieder
in Frage. Ince hat versprochen, es abzuschaffen. Das wäre ein
Kraftakt: Die Verfassung müsste erneut geändert werden.
Die Opposition in der Türkei:
Erdogan gewinnt, AKP verliert Mehrheit im Parlament
Erdogan gewinnt die Präsidentschaftswahl in der ersten
oder zweiten Runde, die AKP verliert aber die absolute Mehrheit im
Parlament. Das Parlament muss den Präsidenten zwar nicht im Amt
bestätigen. Dennoch ist Erdogans Präsidialsystem nicht darauf
ausgelegt, dass die Opposition die Mehrheit im Parlament hat. Erdogan
könnte zwar mit Dekreten regieren. Die Opposition könnte aber Gesetze
verabschieden, die diese Dekrete außer Kraft setzen.
Im Idealfall würden Erdogan als Präsident und die Opposition im
Parlament politische Kompromisse suchen. Wahrscheinlicher ist, dass
sich beide Seiten gegenseitig blockieren. Ein möglicher, aber
riskanter Ausweg für Erdogan: Er könnte das Parlament auflösen,
müsste sich dann aber auch selber wieder einer Neuwahl stellen. Das
Volk ist allerdings wahlmüde. Es wäre die sechste Wahl seit 2014.
Ince gewinnt, AKP bildet Mehrheit im Parlament
Ince gewinnt wider Erwarten die Stichwahl, die AKP hat
aber die absolute Mehrheit im Parlament. Auch in diesem Fall würde
eine politische Lähmung wie bei Szenario 3 drohen. Allerdings wäre
Ince womöglich kompromissbereiter als Erdogan, was die Zusammenarbeit
mit dem anderen politischen Lager im Parlament angeht.
Muharrem Ince kann auf eine grosse Wählerschaft zählen – aber ob das reicht, um Erdogan zu stürzen?Bild: AP
Ince gewinnt, AKP verliert Mehrheit im Parlament
Ince gewinnt wider Erwarten die Stichwahl, die AKP
verliert zugleich die absolute Mehrheit im Parlament. Auch dann wäre
die Frage, wie Erdogans Anhänger reagieren. Außerdem ist die
Opposition kein monolithischer Block, sie eint vor allem ihre
Gegnerschaft zu Erdogan, der in diesem Fall entmachtet wäre. Im
Parlament müssten kemalistische, nationalkonservative, islamistische
und pro-kurdische Abgeordnete zusammenarbeiten - nur gemeinsam
könnten sie eine Mehrheit gegen die AKP aufbringen.
(pbl/dpa)
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