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Interview

Karl Lauterbach spricht im Interview über Zukunft fast ohne Krebs

Bundespressekonferenz zum Thema elektronische Patientenakte ePA. Karl Lauterbach SPD, Bundesminister fuer Gesundheit. Berlin, 15.01.2025. Berlin Deutschland *** Federal Press Conference on electronic  ...
Gesundheitsminister (SPD) Karl Lauterbach blickt im watson-Gespräch in die gesundheitspolitische Zukunft Deutschlands.Bild: imago images / Amrei Schulz
Interview

Lauterbach: Die nächste Generation wird "weitgehend frei von Krebs und Demenz leben"

Der SPD-Politiker spricht über die großen Reformen seiner Amtszeit, den schmalen Grat zwischen Erfolg und Scheitern und warum er glaubt, dass besonders junge Menschen von den aktuellen Veränderungen profitieren werden.
27.01.2025, 17:00
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Watson: Herr Lauterbach, Deutschland hat eines der teuersten Gesundheitssysteme Europas. Trotzdem sinkt die Lebenserwartung, Krankenkassenbeiträge steigen, und viele Menschen klagen über lange Wartezeiten. War Ihre Amtszeit wirklich ein Erfolg?

Karl Lauterbach: Das deutsche Gesundheitssystem hat erhebliche Qualitätsdefizite, es war in vielen Bereichen kaputt und nicht kaputtgespart. Wir geben jährlich Hunderte Milliarden Euro aus – mehr als jedes andere Land in Europa –, aber nur mit mittelmäßigen Ergebnissen. Die Lebenserwartung liegt unter dem Durchschnitt in Westeuropa, besonders bei Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben wir große Defizite. Deshalb mussten wir handeln und haben das auch getan.

Genug?

In meiner Amtszeit haben wir 20 Gesetze verabschiedet, darunter die Krankenhausreform, Maßnahmen gegen Arzneimittelengpässe und die Einführung der elektronischen Patientenakte. Unser Ziel war es, das System effizienter, moderner und nachhaltiger zu machen. Dafür haben wir hart gearbeitet.

"Die ePA ist ein echter Gamechanger."

Aber für viele junge Menschen fühlt es sich nach steigenden Kosten an, etwa bei den Krankenkassenbeiträgen. Spürbare Verbesserungen gibt es hingegen nicht.

Die Beiträge würden immer weiter steigen, wenn die beschlossenen Reformen nicht umgesetzt werden. Es geht jetzt also nicht darum, kurzfristig Geld zu sparen, das ganze System muss vielmehr mittel- und langfristig effektiver arbeiten. Nehmen Sie die Krankenhausreform: Sie wird durch Zentralisierung und Abbau von Überkapazitäten dafür sorgen, dass die Gesundheitsversorgung in Zukunft sowohl günstiger als auch besser sein wird.

Sie sagten, dass sie 2026 mit keinen weiteren Erhöhungen mehr rechnen. Bleiben Sie dabei?

Wenn alle Reformen, die wir angestoßen haben, auch umgesetzt werden, stabilisiert das auch die Kostenentwicklung.

Das klingt allerdings weniger eindeutig. Welche Verbesserungen spüren die Menschen in Deutschland konkret im Alltag?

In den Hausarztpraxen bekommt man schneller einen Termin, weil die bürokratische Quartalspauschale wegfällt. Es gibt eine Jahrespauschale, sodass die Patienten nicht alle paar Wochen zur Verlängerung eines Rezepts in die Praxis kommen müssen. Dann bekommen die Patienten, die tatsächlich zum Hausarzt müssen oder neue Patienten, schneller einen Termin. Auch mehr ambulante Angebote in Krankenhäusern sollen helfen, Facharzttermine schneller verfügbar zu machen. Das alles passiert nicht von heute auf morgen. Solche Strukturreformen brauchen etwas Zeit, bis sie wirken.

Die Digitalisierung spielt hierbei eine zentrale Rolle. Die schreitet jedoch nur langsam voran.

Wir haben dabei keine kleinen Schritte gemacht, sondern große.

Noch fühlt sich das nicht so an.

Die elektronische Patientenakte hat sich 20 Jahre gar nicht bewegt, jetzt ist sie innerhalb von zwei Jahren im großen Stil ans Netz gegangen. Das elektronische Rezept ist da, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, das elektronische Organspenderregister ist da. Die Telemedizin ist ausgebaut worden. Wenn wir in anderen Bereichen auch nur annähernd so gut digitalisiert wären wie demnächst im Gesundheitssystem, dann stünden wir wirklich gut da.

Die elektronische Patientenakte (ePA) betrachten Sie als überaus wichtig – gerade für junge Menschen. Doch Kritik bleibt nicht aus. Warum sind Sie so davon überzeugt?

Die elektronische Patientenakte ist ein echter Gamechanger. Alle wichtigen Befunde, die Medikamente, Laborergebnisse oder Röntgenbilder werden digital verfügbar sein. Das spart Zeit, vermeidet Doppeluntersuchungen oder Wechselwirkungen von Medikamenten und verbessert dadurch die Versorgung – besonders für junge Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Doch es werden Warnungen bezüglich des Datenschutzes laut, etwa durch Angriffe auf sensible Daten. Der Chaos Computer Club (CCC) hat etwa Sicherheitslücken aufgedeckt.

Diese werden technisch aufgelöst. In der Pilotphase ist das Angriffsszenario des CCC nicht relevant, weil nur für die Testphase registrierte Ärztinnen und Ärzte Zugriff auf Patientenakten im Behandlungskontext haben. Und bis zum bundesweiten Start haben wir letzte Probleme auch technisch gelöst. Daran wird schon länger gearbeitet.

Die Sorge vor Sicherheitslücken besteht dennoch, auch bei Ärzt:innen.

Das ist verständlich. Doch die elektronische Patientenakte geht nur an den Start, wenn sie vor massenhaften Angriffen auf Daten absolut geschützt ist. Wir arbeiten dafür mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zusammen.

Menschen mit psychischen Erkrankungen befürchten, dass sie wegen der gespeicherten Daten Nachteile erfahren.

Das ist nicht richtig. Jeder kann selbst entscheiden, ob sensible Daten gespeichert werden und wer darauf Zugriff hat. Das brauchen sie nur dem behandelnden Arzt zu sagen. Und wenn jemand Diagnosen nicht teilen möchte, kann er sie einfach auf seiner ePA-App löschen. Die Daten sieht dann kein Arzt mehr. Das hat jeder selbst in der Hand.

Sie sagen, die ePA sei auch ein großer Schritt für die Forschung. Warum?

Weil wir die elektronische Patientenakte so aufgebaut haben, dass der riesige Datensatz, der sich dort aufbaut, pseudonymisiert, also sicher und nicht personenbezogen, mit künstlicher Intelligenz ausgewertet werden kann. Wir können dann sehr schnell Hypothesen generieren, Studien machen und einfach sehr viel schneller forschen. Es wird viele Durchbrüche geben.

Durchbrüche braucht es auch im Bereich der psychischen Gesundheit. Stress, Angst und Depressionen nehmen zu, doch die Wartezeiten auf Therapieplätze bleiben ein Problem.

Das stimmt. Wir haben deshalb die Ausbildung von Psychotherapeuten verbessert und mehr Zulassungen in Regionen geschaffen, die bisher unterversorgt waren. Aber ich weiß, dass die Wartezeiten auf Therapieplätze immer noch ein großes Problem sind. Deshalb haben wir Sonderzulassungen eingeführt, damit sich mehr Therapeuten in bedürftigen Regionen und für bisher vernachlässigte Patienten niederlassen können.

Auch die Coronapandemie hat zu psychischen Problemen beigetragen. Viele junge Menschen fühlen sich noch immer von der Politik alleingelassen, zurecht?

Junge Menschen haben damals eine sehr schwere Zeit gehabt, um ältere und verletzlichere Gruppen, aber auch sich, zu schützen. Ich habe das in meinem Umfeld, auch bei meinen Kindern, gesehen und bewundere diese Generation für ihre Solidarität. Es war notwendig, aber es war auch eine enorme Belastung. Deshalb haben wir seitdem Maßnahmen ergriffen, um die Gesundheit junger Menschen zu stärken – etwa durch den Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung und eine bessere Finanzierung der Kinderkliniken oder Kinderarztpraxen. Außerdem fördern wir Forschungsprojekte zu Long Covid und psychischen Langzeitfolgen der Pandemie, wovon viele junge Menschen betroffen sind.

Die Pandemie hat deutlich gezeigt, wo unser Gesundheitssystem versagt hat. Sind wir heute wirklich besser aufgestellt?

Ja. Die Pandemie hat die Schwächen unseres Systems offengelegt, aber wir haben daraus gelernt. Heute sind wir besser vorbereitet: Wir haben Verträge für die schnelle Produktion von Impfstoffen, überwachen Abwasser und die Gesundheitsämter sind jetzt digitalisiert. Infektionskrankheiten können wir dadurch viel schneller erkennen und bekämpfen.

Mit Blick auf die Pandemie: Was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen?

Die langen Schulschließungen waren wahrscheinlich in dieser Form nicht notwendig. Insbesondere hätte man die Beschulung auch digital viel besser organisieren müssen. Aber viele Entscheidungen mussten damals mit wenig gesichertem Wissen getroffen werden. Deshalb halte ich es für entscheidend, die Pandemie systematisch aufzuarbeiten, eine Forderung von mir und auch ein Punkt im SPD-Wahlprogramm.

Auch das Vertrauen in Impfungen ist gesunken.

Ja, wir haben jetzt eine relativ große Zahl von Menschen in Deutschland, die kein Vertrauen mehr in Impfungen haben. Das ist ein politisches Problem. Daran müssen wir arbeiten. Hier ist Aufklärung entscheidend – und wir müssen transparent kommunizieren.

Sie sagen, die nächste Generation wird der große Gewinner Ihrer Reformen sein. Warum sind Sie sich dabei so sicher?

Das Zusammenspiel von Digitalisierung, dem Zugang zu Forschungsdaten und der Künstlichen Intelligenz eröffnet große Zukunftschancen: neue Wirkstoffe, neue Medikamente und besseres Verständnis für die Krankheiten. Die Generation nach meiner wird die erste sein, die im Alter von Demenz und Krebserkrankungen weitgehend frei leben kann.

Das ist eine gewagte Prognose.

Es wird dann immer noch Fälle geben, aber wir werden sie in 20 bis 30 Jahren im Wesentlichen heilen oder zumindest vereinzeln können.

Sind Krebs und Demenz in 20 bis 30 Jahren wirklich weitgehend heilbar?
Bereits der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn behauptete dies. Experten sehen solche Prognosen jedoch kritisch. Die Komplexität dieser Krankheiten und die Vielzahl der Einflussfaktoren machen solche Vorhersagen schwierig. Was jedoch klar ist: Neue Therapieansätze und die verstärkte Nutzung von KI können die Heilungsraten verbessern und die Lebensqualität der Patienten erhöhen.

Das werden wohl nur die kommenden Jahre zeigen. Wo steht das deutsche Gesundheitssystem Ihrer Meinung nach in zehn Jahren?

Ich sehe ein digitales, modernes und effizientes Gesundheitssystem. Deutschland wird eines der besten der Welt haben – wenn diese Maßnahmen auch künftig konsequent umgesetzt werden.

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