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"Stramm stehen! Pistorius ist da!"Bild: imago / localpic
Interview
Eines der größten "Was wäre, wenn"-Szenarios der aktuellen Stunde ist hierzulande eine direkte Beteiligung Deutschlands am Ukraine-Krieg. Folgt dann die große Mobilmachung? Müssen alle mitkämpfen? Ist der Kampf, das Töten und Sterben, überhaupt sinnvoll?
Podcaster und Autor Ole Nymoen sagt ganz klar "Nein". Im März erscheint sein Buch "Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde".
Watson hat ihm über Nationalismus, geheuchelte Solidarität und die Ausweglosigkeit der Bürger:innen, sobald der Kriegszustand ausgerufen ist, gesprochen.
watson: Hast du Angst vor einem Kriegsfall?
Ole Nymoen: Unmittelbar Angst habe ich nicht. Ich halte es in der jetzigen Situation für unwahrscheinlich, dass Deutschland bald in einen Krieg hineingezogen wird. Zumindest in einen, den es nicht selbst will. Ich würde aber behaupten, dass die Aufrüstung, die jetzt stattfindet, sich nicht nur auf den Verteidigungsfall bezieht, sondern dass durchaus schon weitergedacht wird.
Inwiefern?
Ich erlaube mir ein Beispiel. Nach der Ankündigung des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens für die Bundeswehr erklärte Friedrich Merz im Bundestag, Deutschland müsse endlich lernen "in dieser Welt seine Interessen zu definieren, und vor allem bereit sein, diese Interessen auch durchzusetzen. Dazu zählt nicht nur, aber auch die Fähigkeit, das eigene Territorium [ … ] zu schützen und zu verteidigen." Mit diesem "nicht nur, aber auch" stellte Merz klar, dass er bereits ein bisschen weiterdenkt.
In welche Richtung denkt er deiner Meinung nach?
Neue "Engagements" werden sicherlich nicht so aussehen, dass Deutschland in ein Nachbarland einfällt. Aber ich halte es für realistisch, dass die Überlegung aufkommt, wo Seewege "gesichert" werden müssen, oder wo sogenannte Wertepartner deutsche Unterstützung brauchen. Rein defensiv gemeint, ist das sicher nicht.
Putin könnte doch auch in einen Nato-Staat einfallen. Deutschland ist dann zur Unterstützung verpflichtet.
Mal ernsthaft: Bei den gegenwärtigen Debatten zu Waffenlieferungen heißt es vonseiten der Transatlantiker stets, es brauche nur noch ein, zwei Waffengattungen, bis die Ukraine Russland schlägt. Dann aber heißt es, Putin plane einen Großangriff auf die Nato. Das passt vorne und hinten nicht zusammen. Wenn man den Kriegsverlauf beobachtet und sieht, wie wenig Russland in der Ukraine vorgerückt ist, trotz militärischer Übermacht, dann scheint die Idee eines Angriffs auf die Nato völlig absurd.
"Viele betrachten den Staat als Instrument für das eigene gelingende Leben. Das ist nicht der Fall."
Im März erscheint dein Buch "Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde". Warum eigentlich?
Das Buch ist erst einmal aus dem Gedanken heraus entstanden, Nationalismus zu kritisieren. Unter Nationalismus stellen sich die meisten einen Chauvinismus vor, frei nach dem Motto "Deutschland den Deutschen". Nationalismus beginnt für mich aber schon deutlich früher, nämlich dann, wenn man sich auf seinen Staat positiv bezieht und ihn als eigene Lebensbedingung ansieht. Viele betrachten den Staat als Instrument für das eigene gelingende Leben. Das ist offenkundig nicht der Fall.
Was genau meinst du damit?
Wenn wir uns in der Öffentlichkeit umschauen, sehen wir, dass gerade jungen Leuten viele Ansagen gemacht werden. Sie sollen etwas kürzertreten, sich auf mehr Arbeit einstellen und ihre Lohnforderungen runterschrauben. Der Staat hat keine sinnvolle Idee von Gemeinwohl, die er mit seiner Gewalt durchsetzen möchte, sondern dient eigentlich nur der Bereicherung weniger auf Kosten vieler. Dennoch tun ganz viele Leute so, als sei der Staat ein Instrument für die Erhaltung der bestmöglichen Gesellschaft, die man sich wünschen kann – also muss man auch für diesen Staat sterben. Und da sage ich: Nein, das mache ich nicht.
![Einmal die Woche klärt Ole Nymoen im Podcast "Wohlstand für alle" über Wirtschaft auf.](/imgdb/0cfd/Qx,B,0,327,1332,750,590,917,151,151/6155886716814092)
Einmal die Woche klärt Ole Nymoen im Podcast "Wohlstand für alle" über Wirtschaft auf.Bild: Mark Sanchez
Es gibt aber durchaus Fälle, in denen sich ein Krieg gegen dich als Person richtet. Ein Vernichtungskrieg zum Beispiel. Wäre das ein Grund für dich, zur Waffe zu greifen?
In einem Vernichtungskrieg muss man sich wehren, weil die Vernichtung des Staates mit der eigenen Vernichtung in eins fällt. Das ist klar.
Ein Vorwurf gegen deine Position ist, dass die freiheitlichen Werte Deutschlands verteidigt werden müssen. Wie siehst du das?
Erst einmal zur Freiheitlichkeit der Werte. Ich bin Sozialist, und ich weiß: Dieses Land hat Kommunisten in den Fünfzigerjahren einzig wegen ihrer Überzeugung in den Knast gesperrt. In den folgenden Jahrzehnten gab es dann juristisch und moralisch sehr fragwürdige Berufs- und Parteiverbote. Heute, da Linke marginalisiert sind, gibt der Staat sich in der Tat sehr liberal. Das passiert aber nur, solange die Staatsräson unberührt bleibt. Als sich im vergangenen Jahr Lehrende an Universitäten mit den Palästina-Protesten solidarisierten, kam auf einmal eine liberale Bildungsministerin daher und ließ prüfen, ob man ihnen die Mittel entziehen könne.
Du spielst auf die Fördergeld-Affäre rund um Ex-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger an.
Genau, und der angedachte Mittelentzug wäre einem Berufsverbot gleichgekommen. Dazu war man letztlich nicht in der Lage, aber es gab viele Beispiele von abgesagten Veranstaltungen und entzogenen Mitteln im vergangenen Jahr. Ein weiteres Beispiel ergab sich vor wenigen Tagen, als eine Klimaaktivistin vom Land Bayern nicht zum Schuldienst zugelassen wurde, weil sie das Wort Profitmaximierung negativ konnotiert benutzt hat – auch ein Berufsverbot. So viel dazu, wie liberal der Staat ist.
Aber ist es nicht auch Teil der Freiheit hier, dass du genau das kritisieren kannst, ohne Angst zu haben, weggesperrt zu werden?
Gerade weil ich weiß, wie anders dieser Staat kann, wenn er einen nicht mehr als zu vernachlässigenden Abweichler ansieht.
Es heißt auch, dass deine Argumentation mit Wohlstandsverwahrlosung zusammenhängt. Haben die Kommentierenden einen Punkt?
"Wohlstandsverwahrlost" ist als Begriff interessant. Wir leben in einem Land, in dem der absurdeste Reichtum und die absurdeste Armut akzeptiert werden, wo die einen unter Brücken schlafen, während sich die anderen ihr fünftes Feriendomizil kaufen. Das finden alle vollkommen normal. Wenn ich dann sage, dass ich für dieses Land nicht sterben möchte, das genau diesen Wahnsinn herstellt, sei das wohlstandsverwahrlost. Das ist völlig absurd.
Du sagst auch, dass es den Menschen in einem Kriegsfall nicht freisteht, sich hinsichtlich eines Einsatzes an der Front, selbst zu entscheiden. Was meinst du damit?
Es ist das Wesen eines jeden Staates, seine Souveränität zu schützen. Wenn ein Land angegriffen wird, stellt sich ein Staatschef nicht die Frage: Könnte ich Menschenleben schützen und Verwüstung verhindern, indem ich meine Souveränität abtrete? Jeder Staat sieht sein Fortbestehen als Selbstzweck und ist daher auch bereit, über die Leichen der eigenen Bürger zu gehen – ob diese wollen oder nicht. Ein angegriffener Staat zwingt Männer im Land zu bleiben, er zwingt sie zu kämpfen. Ein Staat kann in einem solchen Fall nicht anders, er muss bereit sein, seine Bürger als Menschenmaterial für die eigene Souveränität zu benutzen.
Aber geht es nicht auch darum, fähig zu sein, die Heimat zu verteidigen?
Was kümmert es die Heimat, ob jemand für sie kämpft? Was kümmert es die Bäume, die Häuser, die Wiesen, die Täler, die Berge? Das ist doch Quatsch. Gekämpft wird, wenn der Staat es befiehlt, und aus keinem anderen Grund.
Was lässt sich der zunehmenden Militarisierung entgegensetzen?
Man kann versuchen, in dem begrenzten Bereich, in dem man tätig ist, etwas zu unternehmen. Ich war kürzlich bei einer Gruppe, die sich gegen die Abschaffung der Zivilklausel stark macht, die also die Bundeswehr aus der Universität halten will. Derlei Proteste sind vielleicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber sie sind wichtig. Denn die große Mehrheit ist für eine Aufrüstung und für eine Wehrpflicht. Deshalb braucht es Menschen, die sich dagegen positionieren, die versuchen, aufzuklären. Mit meinem Buch möchte ich da einen Beitrag leisten.