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Interview

Heidi Reichinnek lobt CSU für Position in Koalitionsverhandlungen

Heidi Reichinnek ist aktuell eines der bekanntesten Gesichter der Linken.
Heidi Reichinnek ist aktuell eines der bekanntesten Gesichter der Linken. Bild: Die Linke / Olaf Krostitz
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Heidi Reichinnek: "Bin dafür, dass Parteien unser Programm abschreiben"

Heidi Reichinnek ist das Gesicht des Linken-Aufstiegs. Allein auf Tiktok folgen ihr mehr als 600.000 Menschen. watson hat die Spitzenpolitikerin gefragt, wie sie den Hype in der Opposition am Leben halten will.
28.03.2025, 15:52
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Insgesamt dreimal muss die Pressesprecherin von Heidi Reichinnek den geplanten Interviewtermin verschieben. Der Kalender der Linken-Spitzenkandidatin ist voll und das nicht erst seit der Bundestagswahl.

Anmerken lässt sie sich das aber nicht. Sie sitzt an diesem Vormittag entspannt im Hoodie vor dem Laptop. Ihr Lächeln wirkt ehrlich, wenn auch ein wenig gestresst: 30 Minuten bleiben bis zum nächsten Termin, Meeting reiht sich an Interview an Sondersitzung. Ein Glück, dass sie so schnell spricht, meint Reichinnek noch grinsend mit einem Blick auf die Uhr.

Watson: Viele tun den Erfolg der Linken nur als Tiktok-Hype ab. Warum ist er mehr als das, Frau Reichinnek?

Heidi Reichinnek: Wir haben es nie darauf angelegt, mit unseren Videos viral zu gehen. Uns ging es immer darum, den Leuten zu zeigen, was in Deutschland gerade passiert. Und ich bin begeistert, wie viel professioneller wir darin geworden sind – und auch weiterhin werden. Wenn es dann ab und an mal einen Aufmerksamkeitshype gibt, ist das natürlich super.

Wann hat Social Media angefangen, Spaß zu machen?

Es fing an, Spaß zu machen, als wir gemerkt haben, dass es Spaß machen darf. Wenn ich mit jemandem am Infostand spreche, sind das genau die gleichen Themen, die ich auf Tiktok anspreche – mit dem Unterschied, dass man da noch ganz viele Memes einbauen kann, die die Inhalte noch etwas unterhaltsamer machen. Natürlich haben die vielen positiven Rückmeldungen geholfen, es war für uns aber vor allem wichtig, über die sozialen Medien wieder in die klassischen Medien reinzukommen. Dort wurden wir lange Zeit ignoriert – was ich verstehen kann, bei uns gab es ja auch nicht viel zu holen.

Die Linken sprechen Themen an, die alle betreffen. Warum können Sie trotzdem nur knapp ein Zehntel der Menschen hinter sich vereinen?

Immerhin ist es ein Zehntel, vor ein paar Monaten war es nicht mal ein Zwanzigstel. In kurzer Zeit haben wir viel erreicht, das muss jetzt kontinuierlich weitergehen. Wir haben es den Menschen in den letzten Jahren nicht leicht gemacht, uns zu vertrauen. Viele hatten das Gefühl, wir beschäftigen uns nur mit uns selbst. Das haben wir überwunden und jetzt gezeigt, dass unsere Art von Politik etwas bewegen kann.

"Dass das Finanzpaket durch den Bundestag geprügelt wurde, zeigt, dass wir wieder ein Faktor sind."
Heidi Reichinnek

Wie soll das langfristig anhalten?

Das alles passiert nicht über Nacht. Wir müssen schauen, wie wir unsere Erfolge ausbauen können. Im Bundestag haben wir jetzt ganz andere Möglichkeiten und die anderen Parteien haben wieder Respekt vor uns.

Woran macht sich das bemerkbar?

Allein die Tatsache, dass das Finanzpaket durch den Bundestag geprügelt wurde, weil die Union zu viel Angst vor Verhandlungen mit uns hatte, zeigt, dass wir wieder ein Faktor sind. Wir haben vorher schon mit ganz wenig viel erreicht, da wird jetzt also noch mehr kommen.

War der Austritt von Sahra Wagenknecht womöglich das Beste, was den Linken passieren konnte?

Ja. Es hat sich gezeigt, dass das eine gute Sache war.

Die Linke ist keine Regierungspartei. Wie kann es gelingen, in der Opposition eigene Themen durch den Bundestag zu bringen?

Wir haben im Wahlkampf gesagt: ‘Alle wollen regieren, wir wollen verändern.‘ Wir verändern unser Land schon damit, dass wir überhaupt im Bundestag vertreten sind und linke Schwerpunkte setzen. Dann muss sich die Regierung dazu verhalten und erklären, was sie stattdessen bietet. 2015 haben wir es als Oppositionspartei auch geschafft, den Mindestlohn durchzusetzen. Wir waren diejenigen, die immer darauf beharrt haben und sind dafür ausgelacht worden. So erfolgreich wollen wir wieder sein, unter anderem beim Thema Miete.

Den Mindestlohn hat damals die SPD als ihren Erfolg verbucht. Droht es womöglich wieder, dass Menschen solche Erfolge der Regierung zuschreiben?

Ich glaube nicht, dass die unionsgeführte Regierung den Mindestlohn spürbar erhöhen wird. Aber wenn das passieren sollte, trinke ich auf jeden Fall einen Schnaps drauf.

Bei anderen Themen wäre ein solches Szenario denkbarer.

Ich bin immer dafür, dass andere Parteien unser Wahlprogramm abschreiben – es ist nämlich unglaublich gut. Das Spannende ist ja, dass viele Parteien unsere Positionen im Wahlkampf vertreten und am Wahltag um 18:01 Uhr auf einmal eine Kehrtwende machen. Natürlich frustriert das die Leute. Da müssen wir auf das verweisen, was wir in Regierungskoalitionen geschafft haben. Zum Beispiel in Berlin, wo eine Regierung mit linker Beteiligung unter anderem die Kitas kostenlos und für Grundschulkinder das Mittagessen kostenfrei gemacht hat. Um das zu erklären, dafür sind dann wieder die sozialen Medien wichtig.

Experten zufolge leidet die Linke bei älteren Wähler:innen oft unter dem negativen Image der PDS-Nachfolge. Können Sie das nachvollziehen?

Wir sind die einzige Partei, die sich mit ihrer Vergangenheit intensiv auseinandergesetzt hat. In meinen Augen war die PDS als Nachfolgerin der SED dringend notwendig, weil die Menschen im Osten genau so eine Partei gebraucht haben. CDU und die FDP haben übrigens unfassbar gerne Leute aus dem SED-Kader aufgenommen. Darüber wird nicht geredet. Das alles ist der Versuch, meine Partei zu delegitimieren. Aber ich sage ganz klar: Wir haben dieses Erbe angetreten, wir haben uns damit auseinandergesetzt und wir haben unsere Konsequenzen daraus gezogen. Und das würde ich mir von anderen Parteien auch wünschen.

Fällt Ihnen mit Blick auf die Union denn eine positive Sache ein?

Bisher haben sie noch nichts gemacht, wo ich sage: 'Mensch, das ist ja klasse.' Aber wenn ich einmal im Leben die CSU loben soll: Im Sondierungspapier ist die Mütterrente wirklich wichtig. Ich finde es hochproblematisch, dass das aktuell als Klientelpolitik angriffen wird. Sie ist ein wichtiges Element, um die Leistung von Frauen anzuerkennen. Aber das reicht natürlich bei weitem nicht. An allen anderen Ecken und Enden braucht die CSU eine Revolution.

Zum Schluss müssen wir noch einen Blick auf die aktuelle Eskalation in der Ukraine werfen. Warum ist die Linke gegen Aufrüstung in Deutschland?

Wir sagen ganz klar, dass es zwischen Nichtstun und Waffenlieferungen einen riesigen Korridor gibt, der nicht ausgeschöpft ist. Nachdem Putin diesen barbarischen Angriffskrieg befohlen hat, hätte man sofort die Oligarchenkaste hinter ihm in die Verantwortung nehmen müssen. Man sollte deren Geld nicht nur einfrieren, sondern direkt konfiszieren für den zivilen Wiederaufbau. Deren Immobilien in Deutschland sollte man auch sofort konfiszieren. Ohne Immobilienregister wissen wir aber nicht, welche Immobilien denen genau gehören.

Ist es für Maßnahmen wie das Immobilienregister nicht längst zu spät?

Das kann man immer noch machen. Auch jetzt kann man den Druck noch erhöhen. Als Linke haben wir ein solches Register beantragt und es wurde immer wieder abgelehnt. Jeden Tag sterben in der Ukraine mehr Menschen, eine militärische Lösung ist nicht in Sicht. Immer nur auf die Waffenlieferungen zu schauen, halte ich für einen fatalen Fehler.

Aber würde es wirklich zu einer Lösung im Ukraine-Krieg beitragen?

Wir merken doch gerade, dass immer weitere Lieferungen diesen Krieg zwar verlängern, aber eben nicht zu seinem Ende beitragen. All diese Punkte, die ich genannt habe, würden dazu führen, dass Putin weiter unter Druck kommt. Wir müssen Putin an den Verhandlungstisch zwingen, der kommt nicht aus Nettigkeit. Aber diesen Zwang muss man erstmal aufbauen.

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