Andreas Lösche sagt, Björn Höcke habe seine Schwester für AfD-Zwecke missbraucht. Die 28-Jährige Sophia Lösche war im Juni dieses Jahres als Tramperin einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen, ihre Leiche wurde in Spanien gefunden. Die Behörden ermitteln seitdem gegen einen marokkanischen LKW-Fahrer.
Ein schrecklicher Fall für Lösche und seine Familie, der im Zuge der Demonstrationen von Chemnitz noch schrecklicher wurde. Dort nämlich hielten bisher Unbekannte ein Bild von Sophia in die Höhe, um auf die angebliche Messergewalt von Migranten aufmerksam zu machen. Höcke postete anschließend ein Foto von sich und einem Sophia-Plakat auf seiner Facebook-Seite.
Sofort erstatteten Eltern und Bruder Anzeige gegen Höcke. Er habe die Bilder "für die eigene Gesinnung instrumentalisiert" und "widerrechtlich öffentlich zur Schau" gestellt. Dies sei für die Eltern unerträglich, wie es in der Anzeige heißt. Sophia war aktiv bei den Jusos, Andreas Lösche ist bei den Grünen.
Aber erst jetzt ist offenbar der Weg für Ermittlungen gegen Björn Höcke frei.
watson: Herr Lösche, die Staatsanwaltschaft kann jetzt offenbar Ihrer Strafanzeige folgen und gegen Björn Höcke ermitteln. Was bedeutet das für Sie?
Andreas Lösche: Meinen Eltern und mir geht es darum, ein Zeichen zu setzen. Wir werden kaum verhindern können, dass Höcke sich in Zukunft besser benimmt. Er soll aber gezeigt werden, dass er das Andenken meiner Schwester völlig durch den Dreck gezogen hat. Was da in Chemnitz passiert ist, das steht diametral dem entgegen, wofür Sophia stand.
Jetzt könnten stattdessen die Ermittlungen gegen Höcke zum Vermächtnis Ihrer Schwester werden. Ist das in Ihrem Sinne?
Wenn Sie Anzeige gegen einen prominenten Politiker stellen, dann müssen Sie damit rechnen, dass das einen Wirbel verursacht. Höcke hat schon Mitte August angefangen, meine Schwester im Landtagswahlkampf in seinen Reden einzubauen. Und er hat sie auch damals schon als etwas hingestellt, was sie nicht ist. Sie ist kein Opfer irgendeiner Migration, sondern von Gewalt gegen Frauen. Der LKW-Fahrer ist diese Strecke auch schon vor 2015 gefahren.
Rechte haben den Fall Ihrer Schwester also schon öfter für ihre Zwecke herangezogen?
Mit Fällen wie ihrem wird etwas für das eigene Weltbild passend gemacht, was nicht passt. Es entstand eine verdrehte Geschichte des Schicksals meiner Schwester. Und die steht plötzlich gleichwertig neben all den anderen Lügen. Etwa, wenn man den Müll nach dem Wacken-Festival fotografiert, um dann zu behaupten, er stamme von Flüchtenden an der ungarischen Grenze. All das soll eine Wutspirale füttern.
Dann war Chemnitz nur der Höhepunkt?
Dieser vermeintliche 'Trauermarsch' in Chemnitz war absolut nicht im Sinne meiner Schwester. Mit Trauer hatte das alles überhaupt nichts zu tun.
Die Demonstrierenden würden jetzt so etwas sagen wie: 'Das Hochalten des Fotos ist sehr wohl eine Form des Trauerns.'
Wissen Sie, uns haben viele Menschen ihre Trauer ausgedrückt, sogar der spanische Ministerpräsident. Aber: Von der AfD hat uns niemand kondoliert. Uns hat auch niemand gefragt, ob man ihr Foto verwenden darf. Was für eine Form von Trauer soll das sein? Das ist Hass und Hetze. Das ist auch eine Pervertierung des Trauerbegriffs und ein Missbrauch meiner Schwester, nichts Anderes.
Haben Sie keine Sorge, dass Sie noch mehr Aufmerksamkeit auf ihre Schwester lenken, und dass beim nächsten 'Trauermarsch' noch mehr Menschen ihr Bild in die Luft halten?
Das wird kaum passieren. Wir haben die Anzeige kurz nach dem Marsch von Chemnitz und der anschließenden Pegida-Demo gestellt. In beiden Fällen wurde das Bild hochgehalten. Seitdem kam aber nichts mehr. Schon auf unsere Ankündigung hin, Anzeige zu erstatten, hat man den Trauermarsch nicht mehr wiederholt. Vermutlich waren sich die Veranstalter sehr bewusst darüber, dass sie Rechtswidriges tun. Mir kommt das so vor, als hätten die eine Art Versuchsballon starten wollen, wie weit sie gehen können.
Höcke selbst behauptet laut WDR, er habe in seinem Facebook-Post nur eine öffentliche Veranstaltung dokumentiert und weist alle Schuld von sich.
Das stimmt nicht. Unsere Anzeige geht außerdem nicht nur gegen seinen Post auf Facebook. Sie dreht sich auch um die Anmeldung der Demo, Höcke war wohl einer der Veranstalter. Und unsere Anzeige richtet sich auch gegen Unbekannt, also den Träger des Plakats mit dem Abbild meiner Schwester.
Erhoffen Sie sich auch einen Fahndungserfolg gegen ihn?
Das Verfahren ist zumindest nicht eingestellt. Das sollte nicht so schwer sein, den Schuldigen zu ermitteln. Er ist ja auf den Fotos eindeutig erkennbar. Eigentlich sollte die Polizei ihre Pappenheimer kennen.
In Folge der Suche nach Ihrer Schwester haben Sie viel Kritik an der Polizei geübt, weil die zu spät reagiert habe. Vertrauen Sie den Thüringer Ermittlern jetzt, ein 'Zeichen' in Ihrem Sinne zu setzen?
Damals blieb uns nichts Anderes übrig, als selbst aktiv zu werden. Wir wollten Sophia ja finden und ja: in dieser Situation hat uns der Staat anfänglich die Hilfe versagt. Da mussten wir die Ermittler quasi auf Knien anflehen, dass sie mit der Suche anfangen. Gegen Höcke ist das deutsche Recht gerade schlicht unser einziger Weg. Wir können ja nicht selbst zur Justiz werden.
Sind Sie denn froh, dass jetzt Bewegung in den Fall kommt?
Erst einmal soll ja offenbar nur seine Immunität aufgehoben werden. Die Bewegung durch die Ermittler muss noch kommen. Es ist aber gut, dass die Staatsanwaltschaft unserem Leitgedanken jetzt folgt. Sie kann unsere Situation offensichtlich zumindest in Teilen nachvollziehen: Dass wir uns die Verdrehungen Höckes nicht gefallen lassen wollen. Wir haben mit unserer Anzeige allerdings schon getan, was wir konnten.
Wie meinen sie das?
Wir haben ein Ausrufezeichen gesetzt. Ob uns die Rechtsprechung folgt, ist eine andere Frage. Aber es ist schon einmal gut, dass die Staatsanwaltschaft das Ganze nicht gleich vom Tisch räumt, das hätte ja auch passieren können. Wir denken jetzt darüber nach, eine Stiftung im Andenken an meine Schwester zu gründen. Sie soll Opfern von „Gewalt gegen Frauen“ helfen.