Schaut man von den Zugbänken in die Gesichter, ergibt sich eher der Eindruck einer Klassenfahrt denn eines politischen Besuchs: In der Nacht zu Samstag brachen Großbritanniens Premierminister Keir Starmer, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu einer gemeinsamen Zugreise nach Kiew auf.
Dokumentiert wird die Fahrt von zahlreichen Fotos, auf denen die drei – vor allem Macron und Starmer – köstlich amüsiert miteinander feixen. Natürlich dürfte ihnen der Ernst der Lage längst nicht entgangen sein. Dennoch sind die Aufnahmen Ausdruck einer neuen Einigkeit.
Einerseits kamen am Samstag zum ersten Mal die Staats- und Regierungschefs der größten europäischen Ukraine-Unterstützer gemeinsam nach Kiew – darunter neben Merz, Macron und Starmer auch Polens Premierminister Donald Tusk. Daneben gibt es für die Partner aber auch ein zweites Novum zu feiern.
Kurz vor der Abreise hatte Merz nämlich mit US-Präsident Donald Trump telefoniert. Dieser hatte in den vergangenen Monaten eher für eine Distanzierung der USA gegenüber der Ukraine und ihren europäischen Partnern gesorgt. Trump wollte zwischen Russland und der Ukraine einen Frieden um jeden Preis aushandeln, auch wenn die Gerechtigkeit und das Völkerrecht dabei auf der Strecke blieben.
Trump schmiss bei einem historischen Treffen Selenskyj aus dem Weißen Haus und äußerte sich mehrmals eher kritisch gegenüber der Ukraine als dem Aggressor aus Russland. Doch nun scheint sich das Blatt wieder zu wenden. Denn die Ukraine hat mit den europäischen Verbündeten und der USA zum ersten Mal wieder ein gemeinsames Ziel: eine 30-tägige Waffenruhe. Diese solle für weitere Verhandlungen genutzt werden.
Dies unterstreicht auch eine am Samstagmorgen gemeinsam verfasste Erklärung von Frankreich, Deutschland, Polen und Großbritannien. Dort heißt es auch:
Auch für Sicherheits- und Militärexperte Nico Lange ist die Situation beispiellos: "Zum ersten Mal gibt es große Einigkeit zwischen der Ukraine, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen und den USA, um Putin zu einem 30-tägigen Waffenstillstand zu drängen", schrieb er auf X.
Zugleich äußerte er große Zweifel daran, wie viel Einfluss auch die nach Trumps Amtsübernahme zum ersten Mal wiedergefundene Einigkeit der Ukraine-Verbündeten hat, um einen Waffenstillstand zu erwirken. Es sei fraglich, "ob der Druck auf Russland durch niedrige Ölpreise und Sanktionen ausreicht".
Von sich aus verfüge Russlands Präsident Wladimir Putin über "keinerlei guten Willen", einem solchen Vorschlag zuzustimmen, erklärte Lange zuvor beim Nachrichtensender Phoenix. Daher zeigte sich Lange auch recht unbeeindruckt von der gemeinsamen Erklärung Macrons, Merz', Starmers und Tusks:
Aufschluss zu Langes Frage könnte ein vor der Abfahrt gegebenes Interview bringen. Gegenüber der "Bild" betonte Kanzler Merz die neue Einigkeit mit den USA. Der Ball liege daher nun bei Putin.
Würde sich Russland gegen den Vorschlag wehren und dementsprechend nach dem Wochenende kein 30-tägiger Waffenstillstand stehen, planten die europäischen Partner sowie die USA, den Druck auf Russland zu erhöhen.
Laut Merz würde es dann "eine massive Verschärfung der Sanktionen geben und es wird weiter massive Hilfe für die Ukraine geben. Politisch ohnehin, finanzielle Hilfe, aber auch militärische." Ihm zufolge verliere mittlerweile auch Trump "offensichtlich die Geduld mit Putin".