Es geht um Milliarden Euro, Tausende Kilometer Rohre und politischen Einfluss: Seit Jahren wird über die Ostsee-Pipeline "Nord Stream 2" gestritten. Es gibt zwar bereits eine Leitung namens "Nord Stream 1", doch künftig sollen jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas zusätzlich von Russland nach Deutschland transportiert werden können.
Am Freitag haben Deutschland und Frankreich ihren Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2 beigelegt. Berlin und Paris stellten am Freitag den anderen EU-Staaten einen neuen Vorschlag zur Überarbeitung der europäischen Gasrichtlinie vor, welcher der Nachrichtenagentur AFP vorliegt. Demnach läge die Zuständigkeit für Pipelines mit Drittstaaten wie Russland bei dem EU-Land, wo die Leitung erstmals auf das europäische Netz trifft.
Die rund 1.200 Kilometer lange Leitung auf dem Grund der Ostsee soll Erdgas von den gigantischen Gasfeldern der arktischen Jamal-Halbinsel bis an die deutsche Küste bei Greifswald transportieren, wo es in die europäischen Netze eingespeist wird. Der Bau unter der Federführung des russischen Staatskonzerns Gazprom soll Ende 2019 beendet sein.
Bei Nord Stream 2 ist Gazprom zwar formal einziger Anteilseigner. Dazu kommen aber die deutschen Konzerne Wintershall (Tochter der BASF) und Uniper (Abspaltung von Eon) sowie die niederländisch-britische Shell, Engie (einst GDF Suez) aus Frankreich und OMV aus Österreich. Nord-Stream-Aufsichtsratschef ist der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, bei Nord Stream 2 ist er Präsident des Verwaltungsrats.
Der Bau würde die strategische und wirtschaftliche Bedeutung alternativer Pipelines und traditioneller Transitländer weiter schwächen. Das betrifft das ukrainische Leitungsnetz und die quer durch Weißrussland und Polen verlaufende Jamal-Europa-Pipeline. Russische Gasimporte durch die Ukraine sanken schon nach Einweihung der Nord-Stream-Pipeline merklich.
Für die betroffenen Staaten, die außerdem selbst von Lieferungen russischen Erdgases abhängig sind, ist das ein großes Problem. Die Transitgebühren sind für sie ein wichtiger Einnahmefaktor. Die Ukraine, Weißrussland, Polen, die Slowakei und die baltischen Staaten werden politisch erpressbar. Parteiübergreifend haben deswegen Europapolitiker der Union, der Grünen und der FDP das Projekt scharf als unsolidarisch kritisiert. Nun stellt sich Frankreich ebenfalls gegen das Projekt.
Derzeit deckt Russland fast ein Drittel des EU-Gasbedarfs. Eigentlich will die EU ihre Abhängigkeit reduzieren. Dem könnte das besonders von Deutschland vorangetriebene Nord Stream 2 aber zuwiderlaufen – auch die EU-Kommission ist daher gegen den Bau, weil sie Erpressung mit Gaslieferungen fürchtet.
Am deutschen Erdgasimport hatte russisches Gas im Jahr 2017 sogar einen Anteil von 40 Prozent. Das Wirtschaftsministerium verweist auf eine "diversifizierte Struktur" bei der Versorgung. Allerdings dürfte Russland seine Stellung als wichtigster Energielieferant Deutschlands durch die neue Pipeline noch ausbauen.
Drei US-Botschafter warnten zuletzt in einem Gastbeitrag für die "Deutsche Welle": Russland werde mehr als nur Gas liefern. Die Pipeline werde es Moskau ermöglichen, die Souveränität und Stabilität der Ukraine weiter zu untergraben. Zudem könnten mit den Milliardeneinnahmen aus Europa Desinformationsfabriken finanziert werden, die sich gegen demokratische Institutionen in Europa und den Vereinigten Staaten richteten.
Sie sehen in der neuen Ostsee-Pipeline eine sinnvolle, von rein wirtschaftlichen Überlegungen mit Blick auf Marktentwicklungen motivierte Investitionsentscheidung. Gazprom argumentiert mit einem steigenden Bedarf an russischen Gasexporten in die EU, da die innereuropäische Erdgasförderung künftig zurückgehen werde. Der Verband der deutschen Energiewirtschaft wertet Zweifel an der Zuverlässigkeit russischer Gaslieferungen als übertrieben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betont, dass man das russische Gas zur Überbrückung als Rohstoff im Kampf gegen den Klimawandel brauche. Auch die Kritik aus den USA lässt die Befürworter des Projekts kalt: Die USA würden gerne selbst mehr Flüssiggas nach Europa verkaufen.
Rund ein Viertel der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ist nach Angaben des Investors OMV bereits fertig. Etwa 600 der insgesamt 2.400 Kilometer Rohre seien bereits zwischen Russland und Deutschland verlegt. Die Arbeiten sollen Ende des Jahres fertig sein.
Die Genehmigungen der vier Ostsee-Anrainer Russland, Finnland, Schweden und Deutschland sind da, nur Dänemark fehlt noch. Nord Stream 2 beantragte deshalb bereits vorsichtshalber eine Alternativroute, die auch ohne Zustimmung der Dänen genutzt werden kann.
Die Änderung der EU-Richtlinie würde es der EU-Kommission ermöglichen, Nord Stream 2 neue Bedingungen aufzuerlegen. Dazu gehört die unternehmerische Trennung von Gaslieferung und Netzbetrieb. Bei Nord Stream 2 liegt beides in der Hand des russische Energiekonzerns Gazprom. Durch die Auflagen könnte Nord Stream 2 weniger profitabel werden – oder sogar unwirtschaftlich.
Für Russland ist Deutschland als weltweit größter Brutto-Importeur von Gas ein wichtiger Handelspartner. Rund 125 Milliarden Kubikmeter werden laut neuester Zahlen jährlich importiert. Russlands mächtiger Gas-Monopolist Gazprom hat eigenen Angaben zufolge rund 194 Milliarden Kubikmeter an Staaten vor allem in der EU verkauft – mehr als 40 Prozent seiner Förderung 2017. Davon allein ein Viertel nach Deutschland.
(pb/hd/ dpa/afp)