Özil geht, der Hambacher Forst bleibt, Chemnitz schreckt auf – 2018 war turbulent. Auch für uns: watson.de startete im März. Auf einige Geschichten sind wir seitdem besonders stolz. Wie auf diese hier:
Erst im Oktober hat die Bundesanwaltschaft sieben mutmaßliche Rechtsterroristen in Chemnitz und Bayern festnehmen lassen. Sie sollen als Gruppe bewaffnete Angriffe auf Migranten und politisch Andersdenkende geplant haben.
Doch nicht nur von terroristischen Gruppen geht eine Gefahr aus. Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb sieht eine große Bedrohung in einer "neuen Art des globalen Rechtsterrorismus": "Einsame Wölfe", terroristische Einzeltäter, die sich über das Internet radikalisieren und zu den Waffen greifen, um für die "weiße Rasse" zu töten.
In seinem neuen Buch "Einsame Wölfe – Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter" erklärt Florian Hartleb, wie der rechtsextreme Ein-Personen-Terrorismus entsteht – und warum der Staat die Gefahr in seinen Augen immer noch unterschätzt.
Im watson-Interview erklärt der Wissenschaftler und Autor, was einen "Einsamen Wolf" von einem Amokläufer unterscheidet – und wieso es für Sicherheitsbehörden so schwer ist, die Täter frühzeitig zu identifizieren.
Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich mit rechtem Terrorismus.Bild: privat
watson: Wenn es um
Terroranschläge rechtsextremer Einzeltäter geht, denken wir vor allem an Anders
Breivik, der 2011 77 Menschen in Norwegen getötet hat. Welche weiteren Fälle
gab es in den vergangenen Jahren?
Florian Hartleb: Es gab schon in den 90er Jahren den
Briefbomber Franz Fuchs in Österreich, der jahrelang für Aufsehen gesorgt hat. Es
gab außerdem zahlreiche Fälle in Skandinavien, wie etwa den "Heckenschützen von
Malmö" Peter Mangs und den als "Laserman" bekannten Schweden John Ausonius, der
auch in Frankfurt eine Frau ermordet hat. Es gab den Anschlag auf die Kölner
Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker. Und dann gibt es David Sonboly aus
München, der durch Bayerns Behörden fälschlicherweise als unpolitischer Amokläufer
eingestuft wurde, nicht als Rechtsterrorist.
Amoklauf oder Terroranschlag?
Florian Hartleb und zwei weitere unabhängige Gutachter im Auftrag der Stadt München kamen zu dem Schluss: Bei der Tat des 18-jährigen David Sonboly am Münchener Olympia-Einkaufzentrum handelt es sich um Rechtsterrorismus. Das bayerische Landeskriminalamt zieht in seinem Abschlussbericht im März 2017 einen anderen Schluss: Es handele sich um einen Amoklauf. Anhaltspunkte für eine politische Motivation lägen nicht vor. Viel eher sei davon auszugehen, dass jahrelanges Mobbing zu der Tat geführt habe.
Lassen Sie uns genauer
über den Fall Sonboly in München sprechen. Der 18-Jährige hat 2016 in und an
einem Münchener Einkaufszentrum neun Menschen erschossen. Sie haben den Fall als Gutachter untersucht und sagen: Es war
Rechtsterrorismus. Wie unterscheidet sich so ein Fall für Sie von einem
Amoklauf?
Terrorismus ist durch ein überlegtes Vorgehen gekennzeichnet.
Amok steht schon rein vom Begriff her für blinde Wut und für ein pathologisches
Vorgehen. Das heißt auf gut Deutsch gesagt, beim Terrorismus steht die
Übermittlung einer politischen Botschaft im Vordergrund, während es beim Amok
eher um die persönliche Ebene geht, also etwa um Menschenhass oder um Rache.
Ein weiteres Kriterium ist die Opferauswahl, gerade beim
Rechtsterrorismus. Es werden etwa wie in München gezielt Menschen einer anderen
Ethnie attackiert, oder Prominente, wie im Fall von Köln. Dort traf es
Henriette Reker, die für eine humanitäre Flüchtlingspolitik stand. Beim Amok
ist die Opferauswahl hingegen eher willkürlich.
Der Fall von München war sehr deutlich, weil David Sonboly
gesagt hat, er will München und sein Vaterland befreien und ein Zeichen gegen
Menschen mit anderem Migrationshintergrund setzen – was dann auch in der
Opferauswahl deutlich wurde.
Es kann zwar Überschneidungen zwischen Terrorismus und Amoklauf
geben, aber dennoch ist die Trennlinie durch diese Faktoren relativ klar.
Sie kritisieren die
Arbeit der bayerischen und der Bundesbehörden in ihrem Buch. Sie hätten sich
auf die These des nicht politisch motivierten Amoklaufs versteift…
Nicht nur das. Die Behörden haben gesagt, sie hätten alle
Spuren sorgfältig geprüft und hervorragend gearbeitet. Es wurde behauptet, Sonboly
habe keinen Kontakt zu anderen rechten Tätern gehabt. Mittlerweile ist jedoch
bekannt, dass er mit dem späteren Schul-Attentäter William Atchison aus New
Mexico in Kontakt stand, der im Dezember 2017 zwei Schüler erschossen hat, und
sich als Verteidiger der „Weißen Rasse“ sah. Die beiden standen über eine
Chatgruppe der Spieleplattform Steam in Kontakt – mit dem Namen „Anti-Refugee
Club“. Und diese virtuellen Spuren wurden offensichtlich nicht ausreichend
berücksichtigt, obwohl Atchison für Sonboly sogar eine virtuelle Ahnengalerie
anlegte.
Sie werfen den Behörden
also massive Fehler vor. Wird die Gefahr durch rechtsextreme "Einsamer-Wolf-Terroristen" von den deutschen Sicherheitsbehörden unterschätzt?
Ein Problem ist, dass rechtsextreme Taten gar nicht als
solche gekennzeichnet werden. In Bayern hat selbst der Innenminister Herrmann
gesagt: Alle sind sich einig, dass der Täter ein geschlossenes rechtsextremes
Weltbild hatte. Und dennoch taucht diese Tat nicht im Verfassungsschutzbericht
auf und wird nicht in der Statistik der "politisch motivierten Kriminalität" gemeldet. Herrmann meinte, der Täter sei kein Rechtsextremist, da es keine
Mitgliedschaft in einer Partei oder Organisation gebe. Das ist eine antiquierte
Ansicht im virtuellen Zeitalter. Stattdessen wird gesagt, ein angebliches
Schulmobbing sei Auslöser für die Tat gewesen. Ich kritisiere, dass die
eindeutige politische Motivation hier nicht berücksichtigt wird und die Tat als
willkürlicher Amoklauf dargestellt wird. Und das scheint mir generell ein
Problem im Umgang mit Rechtsextremismus und speziell mit Rechtsterrorismus zu
sein.
Sogar die Taten des NSU werden nicht als politisch motiviert in der Statistik aufgeführt:
Warum werden Menschen
zu terroristischen Einzeltätern, anstatt sich etwa in einer Gruppe
zusammenzuschließen? Gibt es da einen bestimmten Typus?
Die Einzeltäter sind Männer, sind beziehungsunfähig und auch
aufgrund ihrer Persönlichkeit nicht in der Lage, Mitglied in einer Gemeinschaft
zu sein. Es gibt zahlreiche persönliche Frustrationen, aber eben auch eine
politische Motivation. Diese Einzeltäter sind sehr stark politisch
interessiert, mitunter auch durchaus politisch gebildet. Das heißt, sie sind
überdurchschnittlich politisch sozialisiert und es findet ein gewisser
Radikalisierungs- und Isolationsprozess statt.
Ein Terroranschlag, das
haben die vergangenen Jahre gezeigt, braucht heute nicht mehr unbedingt viel
technisches Verständnis. Es gibt auch keinen Mangel an radikalisierten
Rechtsextremen. Gibt es in Zukunft mehr solcher Taten?
Natürlich schreitet nicht jeder von den Worten zu den Waffen.
Aber Barack Obama sagte schon nach den Breivik-Anschlägen, dass eine besondere
Bedrohung von „Einsamen Wölfen“ ausgeht. Und mit dieser Prophezeiung hat er
Recht behalten. Und wenn sich die Gesellschaft weiter polarisiert, wenn der
Verbalradikalismus sich weiter breitmacht und wenn die Migrations- und
Flüchtlingsthematik weiter so aufgeladen ist wie derzeit, dann ist es relativ
wahrscheinlich, dass die Zahl rechtsextremer Einzeltäter, die dagegen „ein
Zeichen setzen“ wollen, größer wird.
Dazu kommt, dass es sehr schwierig ist, diese Einzeltäter
frühzeitig zu erkennen, weil Täter wie etwa Breivik oder Sonboly vorher gar
nicht polizeilich erfasst wurden, oder vorbestraft waren. Die waren überhaupt
nicht auf dem Radar.
Was müsste getan
werden, um solche Taten zu verhindern?
Da sind nicht nur die Behörden gefragt. Es geht hier nämlich
sehr stark um Auffälligkeiten im sozialen Umfeld, in der Familie oder in der
Schule. Bei all diesen Tätern finden sich zahlreiche Spuren, wo Gleichaltrige
merken, dass sich jemand radikalisiert. Darum ist es wichtig, auch politische
Aussagen im Schulunterricht oder im familiären Umfeld ernst zu nehmen. Es geht
da oft in erster Linie um pädagogische Maßnahmen, die Sicherheitsbehörden
können oftmals erst im Nachhinein weiter ermitteln.
"Einsame Wölfe – Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter" ist am 4. Oktober 2018 bei Hoffmann und Campe erschienen.