Widerstand, bei dem sich Aktivisten mit einer breiten Mehrheit aus der Mitte zusammentun? Das geht. Im Kino läuft derzeit der Film "Wackersdorf", der den
erfolgreichen Protest gegen die Atomwiederaufbereitungsanlage (WAA) in Bayern
nacherzählt.
Wir haben mit Film- und Theaterregisseur Oliver Haffner über die Proteste und Ausschreitungen von damals, den Hambacher Forst und erfolgreichen Widerstand gegen Großprojekte gesprochen.
Haffner, geboren 1974 im pfälzischen Germersheim am Rhein, verließ im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie die Heimat und zog nach München. Unter anderem, weil im nahen Philippsburg der zweite Meiler eines AKW hochgezogen wurde.
Was war in Wackersdorf los?
Der Hambi der 80er
Im bayerischen Wackersdorf (Landkreis Schwandorf) sollte in den 80er Jahren auf Betreiben der Industrie und der CSU-Staatsregierung von Ministerpräsident Franz-Josef Strauß eine Atomwiederaufbereitungsanlage (WAA) für radioaktive Abfälle aus den deutschen AKW entstehen. Das Projekt stieß in der Region, in der gerade der Braunkohleabbau eingestellt wurde, auf überraschend großen Widerstand.
Am Bauort im Taxöldner Forst entstand ein Hüttendorf der Gegner, die "Freie Republik Oberpfalz“. Zentral war Landrat Hans Schuierer, der vom Befürworter des Projekts zu einem der einflussreichsten Kritiker der WAA wurde.
Vier Jahre nach Baubeginn wurde das Projekt 1989 eingestellt. Heute liegt auf dem Gelände ein Gewerbepark.
watson: Herr Haffner, was war das Besondere am Protest gegen die
Atomwiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf?
Haffner: Das Besondere war die Vielfalt des
Protests. Im Widerstand gegen die WAA haben ganz viele Gruppen
zusammengefunden, die sonst nichts miteinander zu tun gehabt haben: eher
Linksautonome aus der frühen Umweltbewegung, christliche Gruppen, Bürgerliche
aus der Region – die haben sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt. Das
Geheimnis des Erfolgs liegt im Wesen der Demokratie: einen Kompromiss zu finden
zwischen verschiedenen Gruppen und Interessen.
Das Hüttendorf "Wackerland" wird im Januar 1986 von der Polizei geräumt. Bild: dpa
Widerstand eint. Aber wie kam es zum Bündnis zwischen linken Umweltaktivisten
und der eher kleinbürgerlichen lokalen Bevölkerung in der bayerischen Oberpfalz?
Die Initialzündung war sicherlich eine
gewisse Heimatverbundenheit. Spätestens als klar wurde, dort sollte ein 200
Meter hoher Schlot entstehen sollte, um die radioaktive Abluft besser zu verteilen,
war klar, dass die WAA keine saubere Sache war. Das Erstaunliche ist: Im ersten
Widerstand waren sehr viele alte Menschen beteiligt, die sich im Durchregieren
der bayerischen Staatsregierung und dem Missachten des Rechts an den
Nationalsozialismus erinnert fühlten.
Die Wende kam dann mit dem Reaktorunfall
in Tschernobyl 1986, das hat damals dazu geführt, dass der Protest sich
bundesweit organisierte. Zu den Demonstrationen am Bauzaun kamen dann ja
Zehntausende aus der ganzen Bundesrepublik nach Wackersdorf.
Ein Landrat muckt auf: Der ehemalige Landrat Hans Schuierer, 88, (M.) mit der Filmcrew.
Zentral in Ihrem Film ist der SPD-Landrat Hans Schuierer, der damals erst
für das Projekt war und dann aber umschwenkte. Welche Bedeutung hatte das?
Hans Schuierer, heute 88, ist eine
beeindruckende Persönlichkeit: Er hat auf sein Gewissen gehört und sich
gefragt: "Kann ich das verantworten, was hier geschieht?" Das brachiale Vorgehen
von Ministerpräsident Franz-Josef Strauß hat ja einfach alles zerstört, woran
er geglaubt hat: Rechtstaat, Verwaltung, der bayerische Landtag hat eigens ein
Gesetz erlassen, um seine Zuständigkeit für die Bauaufsicht auszuhebeln.
Und
Hans Schuierer hat eine seltene Fähigkeit: Er konnte einen Irrtum öffentlichen
eingestehen. Das setzte bei vielen einen Umdenkungsprozess in Gang. Das öffnete
Schleusen ins bürgerliche Lager.
Ein umgestoßener Polizeiwagen in Wackersdorf: Bei einer Demonstration kam es am 21. Mai 1986 auf dem Gelände im Taxöldner Forst zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und militanten Atomkraftgegnern.Bild: dpa
Ceta, TTIP, Plastikmüll – heute kann man mit einem Click ständig
gegen irgendwas sein. Was macht den Unterschied aus zwischen Onlinepetition und
aktivem Bürgerprotest auf der Straße? Im WhatsApp-Zeitalter kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie mühsam es in
den 80ern war, Protest zu organisieren: Da gab es sowas wie Telefonketten, also
eine Liste, wer wen verständigte, wann was passierte. Über Festnetztelefon
wohlgemerkt.
Digital ist das einfacher mit Likes und
Don’t Likes, aber irgendwie verpufft diese Wut in den sozialen Medien.
Der
Protest gegen das Polizeigesetz in München, #Ausgehetzt, #WirSindMehr – ich
glaube, dass sich das gerade ändert. Viele Suchen das Gemeinschaftserlebnis und
die Erfahrung, ich bin in der digitalen Blase nicht allein.
#NoPAG oder Wie sich die Bilder gleichen
In den Niederlanden gibt es für Großprojekte sogenannte Technik-Mediatoren.
Wie lassen sich bei der Planung von Großprojekten die Bedenken der Menschen
berücksichtigen?
Es lässt sich ja vieles gegen Strauß
sagen, aber er hatte wenigstens eine Meinung. An der konnte man sich abarbeiten
und reiben. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet von der CDU tut ja gerade so, als ginge ihn
der Hambacher Forst nichts an, der macht sich zum reinen Sachverwalter und beruft
sich darauf, einen Beschluss umzusetzen. Ehrlich gesagt, brauche ich keine
Mediatoren. Die Politik muss mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen, das
reicht. Laschet ist der Vertreter des Volkes und nicht der Wirtschaft.
Die Räumung des Hambacher Forsts:
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Die Räumung des Hambacher Forsts
quelle: michael trammer/imago stock&people / michael trammer/imago stock&people
Holzhütten im Hambacher Forst (waren auch schon in Wackersdorf erfolgreich)
Was lässt sich denn aus Wackersdorf für den Protest im Hambacher Forst
lernen?
Vieles.
Erstens mal, dass erfolgreicher Widerstand Zeit braucht. In Wackersdorf waren
das 7 Jahre und auch im Hambacher Forst sind ja schon viele sehr lange im
Protest aktiv, auch wenn die Öffentlichkeit das jetzt erst registriert.
Das
zweite ist die Überzeugung zu friedlichem Widerstand. Die Polizei ist nicht der
Gegner, nicht in Wackersdorf, bei allem brutalen Vorgehen. Und nicht im
Hambacher Forst. Der Skandal liegt in der Politik, die den Willen der
Bevölkerung übergeht.