Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel einen CSU-Minister aus dem Amt entlässt, sieht das erfahrungsgemäß so aus: Am späten Abend bittet sie ihn ins Kanzleramt in Berlin. Dort sagt sie ihm ihre Unterstützung zu, falls er sich angemessen in der Öffentlichkeit erklärt. Dann lässt Merkel durch einen Sprecher mitteilen: Der Minister habe ihr „volles“ oder gar „vollstes“ Vertrauen. Und dann?
Dann ist die Karriere des Betroffenen erst einmal vorbei – in diesem Fall die von Karl Theodor zu Guttenberg, der 2011 über eine Plagiatsaffäre bei seiner Doktorarbeit gefallen war. In Trumpschen Zeiten klingt das fast albern. Damals allerdings reichte eine abgeschriebene Doktorarbeit aus: Merkel ließ den prominenten Polit-Star aus Bayern fallen.
Heuer scheint alles umgekehrt zu sein: Der CSU-Innenminister Horst Seehofer droht damit, die Kanzlerin fallen zu lassen. Zwei Wochen gibt er Angela Merkel. Findet sie bis dahin keine Antwort auf den Asylstreit mit den Christsozialen, will Seehofer den Alleingang antreten und die Grenzen per Ministerdekret dicht machen.
Aber Seehofer ist nicht der erste Politiker, der der Kanzlerin eine Kampfansage gemacht hat – viele Unionsmänner hat Merkel politisch überlebt.
Ihr subtiles „volles Vertrauen“ von damals hat Merkel gerade gegen eine neue Strategie eingetauscht: gegen eine rote Linie. Die hat sie ihrem renitenten Innenminister gezogen, indem sie ihn öffentlich an ihre „Richtlinienkompetenz“ als Bundeskanzlerin erinnerte.
Damit sagt sie ihm sehr direkt: Ich
bin die Chefin der Regierung. Wenn du nicht Ruhe gibst, dann gibt es Probleme. Aber geht es wirklich so einfach?
Angela Merkel kann einen Minister durchaus entlassen, wenn dieser gegen die Grundsätze der Regierungsarbeit verstößt – etwa gegen einen bestehenden Koalitionsvertrag. Auch hierfür gibt es einen Artikel im Grundgesetz: Art. 64 (1) GG.
Entlässt Merkel den wichtigsten Vertreter der CSU in der Regierung, der gleichzeitig Parteivorsitzender der Christsozialen ist, ist der Fraktionsbruch wahrscheinlich. Das bedeutet:
Das wäre eine katastrophaler Schock für die Union. Und natürlich nicht im Sinne Merkels. Im Sinne Horst Seehofers übrigens auch nicht.
Bei allen Drohungen, die da gerade im Raum stehen, muss man all diese Punkte im Hinterkopf behalten. Geht es wirklich darum, irgendwen zu feuern oder aus dem Kanzleramt zu drängen? Nein.
Sie gehört zu einer doppelten Strategie, die die Bundeskanzlerin gerade fährt.
Nach außen gibt Merkel das Bild der Bemühten. In den ersten Tagen des CSU-Ultimatums hat sie sofort die wichtige Unterstürzung der französischen Regierung eingefahren. Außerdem telefonierte sie mit dem neuen italienischen Ministerpräsidenten und sie spricht kommende Woche sogar mit dem Problem-Partner in der Flüchlingsfrage: Viktor Orbán in Ungarn.
Auch ein Treffen der besonders betroffenen EU-Staaten soll es offenbar schon am Wochenende geben. Angela Merkel handelt also, egal welche politischen Deals sie hinter den Kulissen schließen muss, am Schluss wird sie konkrete Ergebnisse päsentieren.
Man merkt schon jetzt, dass Seehofer dadurch in die Defensive gerät. Die CSU und ihr Chef echauffierten sich am Mittwoch geradezu plakativ darüber, dass sie nicht über die deutsch-französischen Absprachen informiert gewesen seien. Sofort soll sogar ein nächstes Krisentreffen kommenden Dienstag her.
Nach innen demonstriert Merkel derweil Härte. Denn, ihre Aussagen zur "Richtlinien"-Kompetenz dienen nicht wirklich dazu, ihren Innenminister feuern zu wollen. Merkel nimmt Seehofer schlicht ein wichtiges Druckmittel weg.
Man könnte es so sehen: Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Taktik der roten Linie den Innenminister und seine gesamte Partei in die Enge getrieben, mehr als dass es irgendeine Vertrauens-Ansage je hätte machen können.