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Musk und Weidel: Harvard-Professor erklärt Strategie hinter den Aussagen

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Am Donnerstag bot Elon Musk Alice Weidel in einem Live-Talk auf seiner Plattform X eine enorme Reichweite.Bild: imago images / Andre M. Chang
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Manipulative Botschaften im Live-Talk: die Strategie hinter dem Plausch von Weidel und Musk

10.01.2025, 10:33
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Tech-Milliardär Elon Musk nutzt seine massive Reichweite, um in der deutschen Politik mitzumischen. Seine Wahlempfehlung: die AfD. Am Donnerstagabend gab er der Ganz-weit-rechtsaußen-Partei eine wertvolle Werbeplattform bei einem Live-Talk mit der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel.

Von der Perspektive der Reichweite aus betrachtet, mit Erfolg: Nach Ende der Aufzeichnung zeigte X an, dass rund zwei Millionen Menschen zwischenzeitlich eingeschaltet hatten.

Weidel ließ bereits zu Beginn des Gesprächs kein gutes Haar an den Zuständen in Deutschland. Das Land sei "ruiniert", Schulkinder und Studierende lernten "nichts mehr außer Gender-Studien" und die Regierung sei "dumm". Dazu gab es abstruse Hitler-Aussagen und dann Gespräche über Musks Weltraum-Ambitionen. Alles in allem war es ein holpriger Live-Talk.

Dennoch könnte das Gespräch eine gefährliche Wirkung haben, wie William Callison erklärt. Er ist Dozent für Sozialwissenschaften an der Harvard University in Cambridge und Experte für die extreme Rechte in Deutschland. Auf Anfrage von watson verweist er auf das massive Repertoire an Manipulationstechniken und rhetorischen Tricks im Live-Talk.

Weidel und Musk in Sachen Meinungsfreiheit

Weidel hatte zu Beginn des Gesprächs die Gelegenheit, die AfD vorzustellen. Dabei wetterte sie nicht nur gegen die deutsche Regierung, sie beschwerte sie sich auch darüber, dass ihre Partei in eine Schublade gesteckt werde und bei den "Mainstream-Medien" kein Gehör finde.

Live-Gespräch auf der Online-Plattform X vormals Twitter zwischen Alice Weidel, Kanzlerkandidatin der Partei Alternative für Deutschland, und dem US-amerikanischen Tech-Unternehmer Elon Musk. Auf eine ...
Weidel und Musk zeigten sich bei X auf einer Wellenlänge.Bild: imago images / Hanno Bode

Sowohl Weidel als auch Musk zogen Parallelen zwischen der modernen "Zensur" und den Maßnahmen der Nationalsozialisten. Der Milliardär etwa klagte über "die Linksaußen-Agenda, die überall in der westlichen Zivilisation durchgedrückt wird".

Der Experte Callison bezeichnete dies als einen "absurden Versuch, das völlige Fehlen von Regulierung und Faktenprüfung auf Social-Media-Plattformen zu rechtfertigen – zunächst auf X und nun, dank Musk und Trump, auch auf Facebook und Instagram."

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Mit dem Argument der Meinungsfreiheit behauptete Weidel, dass die AfD "das Gegenteil der Nazis" sei. Schließlich verböte die Partei niemandem den Mund. Dazu sagt Callison: "Diese Behauptung ist ein Trick, um zeitgenössischen Nazis zu erlauben, Hassreden zu verbreiten und soziale Medien unreguliert zu dominieren."

Hitler ist links und kommunistisch, sagt Weidel

Bei dieser Aussage mussten wohl viele Zuhörer:innen schlucken. Dabei überraschte die AfD-Kanzlerkandidatin mit einer Einordnung, die in Widerspruch zu den Erkenntnissen der historischen Forschung steht: Hitler sei ein "kommunistischer, sozialistischer Typ" gewesen und damit ganz anders als ihre AfD, die sie als "libertär-konservativ" positionierte.

Eine offensichtlich falsche Interpretation.

"Doch tatsächlich war dies eine gängige rhetorische Darstellung von Liberalen während des Kalten Krieges", sagt Callison dazu. Neoliberale und Libertäre hätten damals versucht, Faschismus und Kommunismus gleichzusetzen, um sich von beiden zu distanzieren und deren Bedeutung herunterzuspielen.

Der Harvard-Dozent erklärt: "Damit verfolgt sie zwei Ziele: Erstens, die AfD von jeglichem Bezug zum Faschismus abzukoppeln; und zweitens, sich mit Elon Musks antistaatlicher und antisteuerlicher libertärer Ideologie zu verbinden."

Diese Strategie kann ihm zufolge bei dem Publikum erfolgreich sein, wenn es nicht verstehe, dass sowohl die AfD als auch Musk "extrem rechte Positionen" vertreten. Sowohl in Sachen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit als auch bezüglich antidemokratischer und autoritärer Ansichten.

Migration und Klima-Politik: Fokus auf Gemeinsamkeiten

Viel Gelächter, viel Zustimmung, viele Komplimente: Im Gespräch fiel auf, dass die AfD-Kanzlerkandidatin dem US-Milliardär Honig ums Maul schmierte. Man wollte Gemeinsamkeiten und ähnliche Ansichten hervorheben, etwa in Sachen Migration und Energiepolitik.

Weidel kritisierte die Regierungen der letzten Jahrzehnte in Deutschland massiv. "Dieser Ansatz basiert darauf, Gemeinsamkeiten zu betonen und gleichzeitig herunterzuspielen, wie radikal und klimaskeptisch die AfD tatsächlich ist", interpretiert der Experte diese Elemente des Gesprächs.

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AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel ist für ihre extremen Ansichten bekannt.Bild: imago images / Bernd Elmenthaler

"Ihre Strategie bestand darin, Merkel, die Grünen und die Ampelkoalition zu kritisieren, Emissionen und Kernenergie als Lösung zur Reduktion von CO₂- darzustellen", sagt Callison. Der eigentliche Plan ähnele jedoch dem von Trump: Eine "Alles-ist-erlaubt"-Energiepolitik zu fördern, die die Förderung und Verbrennung von Öl, Gas und Kohle einschließt.

Sie verteufelte Migrant:innen, genauso wie Musk. Die typische Rhetorik der Partei. Eine Auffälligkeit aber gab es dem Experten zufolge: An einigen Stellen wirkte demnach Weidels Verzicht auf radikale Äußerungen effektiv, um die Partei "normal und legitim erscheinen zu lassen, statt extrem".

Elon Musk huldigt der AfD – mit enormen Auswirkungen

Elon Musk bietet der Weidel-Partei nicht nur eine riesige Plattform. Nach Weidels extrem negativer Darstellung von Deutschlands Regierung hat Musk auch erneut ausdrücklich erklärt: "Nur die AfD kann Deutschland retten."

Für viele Menschen mag das absurd klingen. Doch dem Experten zufolge kann die Wahlkampfhilfe einer global einflussreichen Persönlichkeit wie Musk "erhebliche Auswirkungen" auf die Wahrnehmung der AfD in Deutschland und international haben.

Denn: Musk profitiere trotz seiner Radikalisierung immer noch von seinem jahrzehntelang aufgebauten Image als erfolgreicher Unternehmer. Und viele seiner Unternehmen sind tatsächlich erfolgreich.

09.01.2025, Berlin: Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin der AfD, sitzt vor dem Live-Talk mit dem US-Milliardär Elon Musk auf der Plattform X an Mikrofonen und e ...
Der Live-Talk mit Elon Musk bot Alice Weidel eine enorme Plattform.Bild: dpa-POOL / Kay Nietfeld

"Was jedoch oft übersehen wird, ist, dass Musks Unterstützung für Trump, Nigel Farage und Tommy Robinson ihn politisch eigentlich völlig disqualifizieren sollte und der AfD eher schaden als helfen müsste", erklärt Callison. Leider verstünden viele nicht, dass Musk nicht nur die internationalen extremen Rechten unterstütze, sondern sie weiter radikalisieren wolle.

Plausch über Weltraum-Visionen und Gott

Abrupter Themenwechsel am Ende des Live-Talks: Plötzlich befragte die AfD-Kanzlerkandidatin den Milliardär nach seinen Visionen mit dessen Weltraum- und Telekommunikationsunternehmen SpaceX. Musk sprach einige Minuten über seine Vision für den Mars und die Zukunft der Menschheit: "Wir Menschen wollen keine dieser lahmen Ein-Planeten-Zivilisationen sein. Jede Zivilisation, die etwas auf sich hält, sollte mindestens zwei Planeten haben. Das ist unser Ziel." Dann sprach das Duo über den Glauben an Gott.

Themen, die durchaus spannend sind.

Der Harvard-Dozent bezeichnet diesen Wechsel als "typischen Podcast-Stil, wie ihn Joe Rogan (Anm. d. Red.: amerikanischer Podcaster) populär gemacht hat: Gespräche über zufällige Themen, die für die breite Öffentlichkeit interessant sind."

Themen wie Aliens, das Weltall oder Spiritualität lassen laut Callison die Gesprächspartner nachvollziehbar wirken und ihre radikale Politik schnell unpolitisch erscheinen. "Leider haben wir gesehen, wie erfolgreich dies bei den letzten US-Wahlen war, bei denen Trump in vielen Podcasts auftrat und letztendlich gewann", sagt der Sozialwissenschaftler.

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