Weil sich der Polizeikommissar L. B. Sullivan von einer Werbeanzeige in der "New York Times" diffamiert gefühlt hatte, verklagte er die Zeitung wegen Verleumdung. Nach einer längeren juristischen Auseinandersetzung landete der Fall 1964 schließlich beim Supreme Court. Das höchste Gericht der USA entschied einstimmig zugunsten der "New York Times".
Der Fall gilt heute als Meilenstein für die Pressefreiheit in den USA. Vor über 60 Jahren wurde in dem Urteil der "actual malice"-Standard eingeführt. Er besagt, dass öffentliche Personen nur dann erfolgreich auf Verleumdung klagen können, wenn sie nachweisen, dass die falsche Aussage wissentlich oder grob fahrlässig verbreitet wurde. Damit wurde das Recht verankert, dass Medien auch über mächtige Personen kritisch berichten können – ohne Angst vor vernichtenden Klagen zu haben oder eingeschüchtert zu werden.
Ein Präzedenzfall. Ein zentraler Pfeiler des amerikanischen Presserechts. Und Donald Trump möchte ihn abschaffen.
Seit Donald Trump wieder im Oval Office sitzt, hat es in den USA etliche Angriffe auf den freien, unabhängigen Journalismus gegeben. Die Nachrichtenagentur Associated Press ist etwa dauerhaft aus dem Weißen Haus verbannt worden, nachdem sie sich geweigert hatte, den Golf von Mexiko – wie von Trump gefordert – als "Golf von Amerika" zu bezeichnen.
Die Nachrichtenagentur Reuters und die Tageszeitung "Politico" hat er mit hanebüchenen Vorwürfen überzogen, gegen diverse Medien führt er bereits Gerichtsverfahren. Zudem hat er damit gedroht, gegen Medien, Autor:innen und Verleger:innen vorzugehen, die sich auf anonyme Quellen berufen – und angekündigt, künftig selbst zu bestimmen, welche Medien Zugang zu bestimmten Veranstaltungen und Reisen des US-Präsidenten erhalten.
Die Medienstrategie Trumps führt schon jetzt dazu, dass Menschen wie Brian Glenn, Moderator beim ebenso nischigen wie rechtsextremen Sender Real America's Voice ins Weiße Haus dürfen. Glenn stellte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office die Frage, ob er keinen Anzug besitze. Viele störten sich an dem fehlenden Anzug, behauptete er.
Der renommierte Journalist J. J. Green sagte dem "Spiegel": "Das ist vielleicht die kritischste Zeit in der Geschichte des amerikanischen Journalismus."
Es ist eine paradoxe Entwicklung der neuen Trump-Administration: Ausgerechnet jene, die zuvor eine vermeintlich eingeschränkte Meinungsfreiheit angeprangert haben, arbeiten nun aktiv daran, journalistische Medien an ihrer Arbeit zu hindern.
Wir erinnern uns: Elon Musk, der X in eine Art Maga-Megafon verwandelt hat, hatte Twitter mit dem Vorwand gekauft, die "freedom of speech", also die Meinungsfreiheit, wieder zu garantieren. "Der Vogel ist frei", hatte er damals gesagt. Und Vizepräsident J.D. Vance kritisierte kürzlich bei der Münchner Sicherheitskonferenz Europa für eine angebliche Unterdrückung von Meinungen.
Um den Vorgang zu verstehen, muss man sich einmal in Trumps Gedankenwelt hineinversetzen: Für ihn sind die etablierten Medien, "legacy media", wie er sagt, links-woke Propaganda-Maschinen, denen die vermeintliche Stimme des Volkes entgegengesetzt werden müsse. "Wir werden die Macht denjenigen Menschen zurückgeben, die Ihre Zeitungen lesen, Ihre Fernsehshows ansehen und Ihre Radiosender anhören", sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt.
"Reporter ohne Grenzen" hingegen stellte fest: "Trumps Vision von Meinungsfreiheit geht auf Kosten der Pressefreiheit."
Trump arbeitet bereits im Hintergrund auf verschiedene Weisen daran, den Sullivan-Präzedenzfall abzuschaffen, beziehungsweise den "actual malice"-Standard aufzulösen, wie die "New York Times" berichtet. Diese Unsicherheit beeinflusst bereits jetzt die Medien. Viele beugen sich freiwillig, in vorauseilendem Gehorsam.
So auch der Amazon-Gründer Jeff Bezos, der Herausgeber der "Washington Post" ist – einst Flaggschiff des investigativen Journalismus. Er verkündete unlängst in einer Mitteilung an die Redaktion, dass man im Meinungsressort nur noch ein eingeschränktes Themenspektrum kommentieren dürfe: persönliche Freiheiten und freie Märkte. "Standpunkte, die diesen Säulen widersprechen", werde man "anderen zur Veröffentlichung überlassen". Der Ressortleiter David Shipley trat daraufhin zurück.
Der Fernsehsender CBS verhandelt aktuell über einen Vergleich mit Trump. Er hatte den Vorwurf gegen den Sender erhoben, ein Interview mit Kamala Harris zu ihren Gunsten manipuliert zu haben. ABC hingegen hat mit dem US-Präsidenten bereits einen Vergleich geschlossen. Grund war ein Moderator, der Trumps Verurteilung wegen sexuellen Übergriffs als Vergewaltigung bezeichnet hatte. Und CNN hat die Sendung des Trump-kritischen Moderators Jim Acosta so weit in die Nacht verschoben, dass er kündigte.
"Die Medien buckeln alle vor ihm", sagt der Trump-Biograf Michael Wolff gegenüber "Zeit Online". "Die haben alle Angst." Als Wirtschaftsunternehmen sind die auf Gunst der US-Regierung angewiesen.
Donald Trumps Kampf gegen die liberalen Medien ist ein Krieg gegen die Wahrheit. Schon sein erster Wahlkampf, 2016, hat ein postfaktisches Zeitalter eingeläutet. Seine Wahlkampfberaterin Kellyanne Conway prägte den Begriff der "alternativen Fakten". Und sein einstiger Berater Steve Bannon rief die Devise "flood the zone with shit" aus – den Diskurs mit so viel Schwachsinn zu überfluten, dass es liberale Medien schwer haben, dagegen anzukommen.
"Donald Trump hat es längst geschafft, die Idee einer freien Presse zu verteufeln", sagt Jeffrey Goldberg, der Chefredakteur des "Atlantic", gegenüber "Zeit Online". Die Dämonisierung der Medien passiere auf eine geradezu stalinistische Weise. Das heißt:
Weite Teile der Medienmacht liegen in den Händen weniger Männer, die sich allesamt vor Trump in den Sand geschmissen haben. Mark Zuckerberg und Meta, Elon Musk und X, Jeff Bezos und Amazon, Sundar Pichai und Google.
Sie alle unterstützen Trump und tragen – manche mehr, manche weniger – dazu bei, dass bestimmte, oft falsche Nachrichten bevorzugt verbreitet werden. So gesehen braucht Trump den klassischen Journalismus nicht mehr. Dessen Gatekeeper-Funktion hat stark an Bedeutung verloren – Trump kommuniziert einfach an den etablierten Medien vorbei.
Es wird in Zukunft also nicht nur schwieriger, überhaupt herauszufinden, was Donald Trump und sein Umfeld aushecken, und darüber zu berichten. Es wird auch schwieriger, eine Leserschaft zu finden, die das überhaupt noch glaubt.
Was Trump erkannt hat: Aufmerksamkeit ist die wichtigste Währung unserer Zeit. Wenn er ankündigt, Grönland annektieren zu wollen oder sich vor der versammelten Presse mit Wolodymyr Selenskyj streitet, dann dürfte es ihm auch darum gehen, einen Zirkus zu veranstalten, auf den sich seine Kritiker:innen stürzen – was seine Anhängerschaft wiederum feixend bejubelt.
"Das Medium ist die Botschaft", so hat es der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan schon vor knapp 60 Jahren beschrieben. Mehr denn je geht es jetzt also darum zu entscheiden, was eine Botschaft ist und was nicht.