Eine aktuelle Umfrage zeigt: Markus Söders Kurs kommt in Bayern nicht wirklich gut an. Seine CSU verliert, er selbst ist unbeliebter als die Kanzlerin. Es ist nicht der einzige Grund zur Sorge für ihn.
Eines Nachts während der Jamaika-Sondierungen verbreiteten die Grünen, in der CSU gebe es Streit zwischen Alexander Dobrindt und Horst Seehofer. Die beiden arbeiteten gegeneinander, man wisse nicht mehr, wer das Sagen habe. Da erschien Andreas Scheuer, damals noch Generalsekretär, und teilte erbost mit, die CSU stehe einig "wie ein monolithischer Block".
So war es auch in den vergangenen Wochen. Man ahnte, dass nicht alle in der CSU glücklich sein können mit der Eskalation, mit dem unversöhnlichen Kurs. Manche deuteten es auch an. Aber öffentlich sprach niemand. Selbst die Alten, die nichts mehr zu verlieren haben, hielten sich zurück.
Doch das ändert sich – wie sich überhaupt die ganze Lage gerade ändert. Während die CSU die CDU zu beherrschen schien, indem sie eskalierte und ein Ultimatum setzte, dreht sich langsam der Wind. Wenn es zum viel zitierten Showdown kommen sollte, ist nicht mehr klar, wer gewinnt: die vermeintlich angezählte schwache Kanzlerin oder die kraftmeiernden CSU-Männer.
Das hat mehrere Gründe.
Manfred Weber, der noch etwas werden will, vielleicht sogar Parteichef, am liebsten EU-Kommissionspräsident, der dazu gern Viktor Orban lobt und sich früh an der sprachlichen Eskalation beteiligte, als er von der "finalen Lösung der Flüchtlingsfrage" sprach, dieser Manfred Weber sagte jetzt: "Europa darf keine Festung werden."
Alles andere, was er sagte, war auf Linie, aber dieser kleine Satz klang doch nach sanfter Distanzierung, nach maximaler Dissidenz, die für einen mit Ambitionen derzeit möglich ist.
Deutlicher wurden zuletzt die Alten, die lange auf die Zähne gebissen haben. Hans Maier, ehemaliger Kultusminister, sagte: "Ich vermisse die Sprache, die ich im Ohr habe seit meiner Jugend", eine christliche Sprache. Er fragte: "Seid ihr alle verrückt geworden?"
Alois Glück, wie Maier einst Vorsitzender des Zentralkomitees der Katholiken, warnt vor dem aktuellen Kurs. Der Preis eines Bruchs mit der CDU sei "unermesslich hoch". Theo Waigel schrieb, wer glaube, eine Spaltung der Union nütze den Parteien, sei "blind für die Realität und töricht in der Strategie." Peter Hausmann, bis 2014 Chefredakteur der Parteizeitung "Bayernkurier", schrieb für t-online.de, Seehofer und Söder rasten auf einen Abgrund zu.
Die alten Sozialkatholiken und Humanisten, sie haben ihre Courage gefunden und damit ihre Stimme, weil sie glauben, dass es ernst ist. In einer konservativen Partei, die viel auf Tradition, Lebensleistung und Erfahrung gibt, hat so etwas Gewicht.
Sie verändern damit die Balance, die Position, zumindest ein bisschen, weil sie die Hasardeure Hasardeure nennen.
Der "Spiegel" berichtet in seiner aktuellen Ausgabe eine Episode, die reichlich ungewöhnlich ist: Als Beobachter und Politiker noch rätselten, welche Gruppen von Asylbewerbern Seehofer an der Grenze zurückweisen wolle, und als Antworten nicht zu bekommen waren, erzählte Alexander Dobrindt bei seinem sitzungswöchentlichen Pressetermin der Hauptstadtpresse, es gehe um diejenigen, die in einem anderen EU-Land in der Eurodac-Datenbank registriert seien. So verbreitete sich diese Variante.
Nur stimmte das nicht, berichtet jetzt der "Spiegel". Erst, als sich die öffentliche Diskussion dahin bewegte, nahm Seehofer diese Gruppe auf. In der CDU wird man das aufmerksam registriert haben: Der Riss zwischen Seehofer und Dobrindt, den die Grünen während der Sondierungen behaupteten, scheint jetzt auf jeden Fall zu existieren.
Monolithischer Block? Offenbar nicht.
Kürzlich rief Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, ein Liebling aller Rechten in der Union, eine "Achse der Willigen" zwischen Berlin (oder eher: München), Wien und Rom aus. Doch im Zuge des Mini-Gipfels am Wochenende wurde deutlich: Die Achse der Willigen ist eine Scharade. Die Mitglieder sind zwar sehr willig – sie wollen aber ganz Unterschiedliches.
Söders CSU, Österreichs Regierung und Italiens Regierung sind sich einig, dass Flüchtlinge am liebsten völlig aus Europa herausgehalten werden sollen. Aber wenn das nicht gelingt – und ganz kann es nie gelingen – haben sie unvereinbare Vorstellungen.
Söders CSU will zurück in die alte Dublin-Welt, in der im Zweifel die Mittelmeeranrainer Verantwortung übernehmen müssen; wenn alle Stricke reißen, soll nationales Recht gelten. Italien dagegen will nur weg von der Dublin-Welt, dafür braucht es aus geographischen Gründen europäische Abkommen, und es will sich um Flüchtlinge, die doch ankommen, überhaupt nicht kümmern.
Man wolle gar keine Flüchtlinge, sagte Salvini neulich, und Dublin müsse "überwunden" werden, sagte Premierminister Conte. Österreich wiederum steht dazwischen und bekäme es ab, wenn Italien weiter durchwinkt und Deutschland sich nach Süden abschottet.
Unterdessen bahnt sich eine Achse zwischen Deutschland, Frankreich und Spanien an, die deutlich leiser auftritt, aber deutlich weniger widersprüchliche Positionen vertritt.
Schließlich verbreitete sich am Montag eine "Forsa"-Umfrage für "RTL" und "n-tv". Die fällt einigermaßen verheerend aus für die CSU.
Nun sind einzelne Umfragen immer mit Vorsicht zu deuten, vor allem, wenn man nur einzelne Ergebnisse kennt. Aber die Tendenz ist doch klar: Söders Kurs schadet der AfD derzeit nicht, er bringt die CSU nicht nach oben und es deutet wenig darauf hin, dass er eine große Mehrheit der CSU-Anhänger damit überzeugt.
Auffallend ist zwar, dass Söder und Seehofer bei der AfD-Anhängerschaft gut ankommen und es ist möglich, dass sie darauf setzen, dass CSU-Stammwähler in Bayern schon weiterhin CSU wählen und nicht von Bord gehen, und dass sie die Umfrage gar so lesen, dass sie auf gutem Weg sind, AfD-Anhänger zu überzeugen (auch wenn davon noch nichts zu sehen ist).
Dafür müsste die CSU jetzt weiter hart auf Kurs bleiben und die Kanzlerin stürzen. Aus Sicht der CDU zeigt aber die Umfrage, dass ein größerer Teil der CSU-Wähler offen sein könnte für eine CDU, dass die Haltung der Menschen nicht so klar ist wie von der CSU behauptet. Die CDU hat zudem den strategischen Vorteil, im Fall der Fälle nur einen Landesverband gründen zu müssen, nicht 15 wie die CSU. Und sie müsste sich nicht neu erfinden, die auf bayerische Identität pochende CSU im Rest der Republik dagegen schon.
All das heißt erst einmal nichts. Es gibt Verdruss mit der Kanzlerin, in CDU, CSU und FDP und vor allem der Bevölkerung, die Regierung könnte immer noch zerbrechen und die Union auch.
Aber die Position der CSU ist in den vergangenen Tagen sehr schnell schlechter geworden.