In der Affäre um voreilig bewilligte Asylbescheide beim Bundesamt für Migration (Bamf) hörte der Bundestag am Dienstag bei einer Sondersitzung des Innenausschusses Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, und Behörden-Chefin Jutta Cordt an.
Zudem rückt ein Untersuchungsausschuss näher.
Nach AfD und Liberalen stehen nun auch SPD und Grüne einem Untersuchungsausschuss offen gegenüber. "Bei uns ist die Tür grundsätzlich immer offen für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, weil er das Werkzeug der Opposition ist", sagte Renate Künast, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, zu watson.de.
Wir erklären den Skandal und zeigen, für welche 4 Politiker es jetzt so richtig ungemütlich werden könnte.
Die Antworten des Bundesinnenministeriums auf einen Fragenkatalog der Grünen-Fraktion:
In der Bremer Außenstelle des Bamf sind mutmaßlich Asylanträge gegen Geld bewilligt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die frühere Leiterin der Bremer Außenstelle Ulrike B. sowie 5 Anwälte und Dolmetscher. Flüchtlinge, die woanders eine Ablehnung fürchten mussten, sind demnach bewusst nach Bremen gekommen, um einen positiven Bescheid zu erhalten. Die Rede ist von 1200 fälschlicherweise ergangenen Asylbescheiden zwischen 2013 und 2016. Ein Okay soll es für 1000 Euro gegeben haben.
Auch gegen den Vize-Chef der Bremer Außenstelle wird nach Informationen des Magazins "Spiegel" vom Dienstag ermittelt. Demnach habe ein Bericht der Innenrevision ergeben, dass von 1371 Asylanträgen, die Bremen zwischen 2013 und 2017 bearbeitet wurden, die Außenstelle eigentlich nur für 142 Verfahren zuständig gewesen sei.
Die Skandal-Chronik in Kürze:
Zur Person: Der CSU-Chef ist seit März 2018 Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat. Praktisch für die bayerische Landtagswahl, die in diesem Jahr noch ansteht. So kann er im Bund die Politik machen, die der CSU in Bayern nützt. Wie zum Beispiel mit seinem Prestigeprojekt, den Ankerzentren.
Blöd nur, dass Seehofer auch für das Bamf zuständig ist.
Die Verteidigungslinie: Zunächst sieht er den Skandal gelassen.
Nach Angaben des Ministeriums wurde Seehofer erst am 19. April über die neuen Umstände in Bremen unterrichtet. (Merkur)
Der Vorwurf: Die Bremer Aufklärerin Josefa Schmid widerspricht.
Die Juristin aus Bayern (heute FDP, früher CSU) hat demnach versucht, Seehofer vor seinem Antrittsbesuch beim Bamf in Nürnberg am 6. April über die Missstände zu informieren.
Seehofer ließ erklären, er habe die SMS nicht erhalten. (Merkur)
Sein Ablenkungsmanöver: Der Minister verweist auf das mangelhafte Management von Bamf-Chefin Jutta Cordt.
Seine Unterstützer: Kanzlerin Angela Merkel. Seehofer genieße "die volle politische Unterstützung", sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert am Tag vor der Anhörung.
Merkels Unterstützung ist nicht ganz uneigennützig: Schließlich geht es um die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.
Die Gefahr: Josefa Schmid. Sie ist nicht nur eine kluge Juristin, sie ist auch unnachgiebig. Und: Sie kandidiert für die FDP für den Landtag von Bayern. Politisches Material gegen die CSU ist da willkommen.
Zur Person: Die Juristin hat im Dezember 2016 die Leitung des Bamf übernommen. Zuvor hatte sie in der Bundesanstalt für Arbeit Karriere gemacht. Cordt gilt als schnell und zielstrebig. Von Chefs wird das als Lob gesehen. Von Mitarbeitern eher als Last empfunden. So hatte sich zuletzt der Personalrat des Bamf über Cordts Stil beschwert.
Die Verteidigungslinie: Das Bamf konnte nur so schnell sein, wie die Politik. Und auch die wurde von den vielen Flüchtlingen im Herbst 2015 überrascht.
Der Vorwurf: Cordt habe nicht auf Hinweise auf Missstände in Bremen geachtet, auch die Warnungen der unliebsamen Josefa Schmid seien in Nürnberg unerhört geblieben.
Die Region Hannover behauptet, sie habe das Bamf schon im Juli 2016 über Missstände in Bremen informiert:
Das Manöver: Lückenlose Aufklärung versprechen. So sollen 8.000 Asylanträge überprüft werden.
Die Unterstützer: Frank J. Weise, der ehemalige Leiter der Bundesagentur für Arbeit und des Bamf, hatte Cordt stets gefördert.
Die Gefahr: Seehofer betreibt ihren Sturz nicht aktiv. Aber bevor es für den Minister brenzlig werden könnte, müssen andere gehen. So ist das im Leben.
Zur Person: Der Reserveoffizier machte erst in der Wirtschaft Karriere. Dann wurde er 2004 zur Bundesanstalt für Arbeit gerufen, der Bund brauchte jemand, der die Hartz-Reformen managte. Weise schaffte es. Zur Belohnung berief ihn die Bundesagentur in der Flüchtlingskrise im September 2015 auch zum Chef des Bamf. Im Dezember 2016 übergab er die Führung des Bamf an Jutta Cordt.
Die Vorwürfe: Der Skandal in Bremen fällt in Weises Amtszeit als Bamf-Leiter. Demnach seien erste Unregelmäßigkeiten schon im Juli 2016 aufgetaucht.
Auch er wird für seinen Führungsstil kritisiert. Bamf-Personalratschef Rudolf Scheinost sagte der Berliner Morgenpost:
"Falsch" und "böswillig", nennt Weise die Vorwürfe.
Die Verteidigungslinie: Weise stellt sich vor seine ehemalige Mitarbeiterin Jutta Cordt. Der Mann ist selbstbewusst genug, um andere zu stützen. Weise muss zwar nicht fürchten, ein Amt zu verlieren. Aber es geht auch um seinen Ruf.
Die Unterstützer: Weise ist nicht immer pflegeleicht mit anderen umgegangen. Das schafft nicht nur Freunde. Aber der damalige Kanzleramtsminister Peter Altmaier, CDU, wusste, was er an dem Planungstalent hatte.
Die Gefahr: Könnte seinen Ruf als hervorragender Organisator verlieren.
Zur Person: Peter Altmaier (CDU) ist seit März 2018 Wirtschaftsminister. Davor war er Chef des Bundeskanzleramts und Angela Merkels Flüchtlingskoordinator. Ein Amt, das ihn jetzt angreifbar macht.
Der Vorwurf: Altmaier ist ein enger Vertrauter Angela Merkel. Er gilt als kluger und gewiefter Jurist und die Ruhe in Person. Hat er im Herbst 2015 die Übersicht verloren? Noch halten sich alle mit direkten Vorwürfen zurück. Aber ein Parlamentsausschuss könnte auch seine Rolle näher beleuchten.
Die Verteidigungsstrategie: Schweigen. Schweigen. Schweigen. Der Mann ruht in sich selbst.
Die Unterstützer: Kanzlerin Angela Merkel, sie weiß, was sie an dem loyalen Mitarbeiter hat.
Die Gefahr: Seehofer kann darauf verweisen, dass er erst im März 2018 ins Amt des Innenministers kam. Cordt kam im Dezember 2016 an die Spitze des Bamf. Und Altmaier? War von Anfang an involviert in die Flüchtlingskrise. Das könnte ihn treffen.
Vor allem, wenn AfD und Liberale ernst machen und sich in einem möglichen Ausschuss nicht allein auf die Missstände in der Bamf beschränken, sondern Merkels gesamte Flüchtlingspolitik beleuchten.
SPD und Grüne lehnen dies allerdings ab.
(per/dpa/afp)