Analyse
29.05.2018, 14:2829.05.2018, 17:11
In der Affäre um voreilig bewilligte Asylbescheide beim Bundesamt für Migration (Bamf) hörte der Bundestag am Dienstag bei einer Sondersitzung des Innenausschusses Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, und Behörden-Chefin Jutta Cordt an.
Zudem rückt ein Untersuchungsausschuss näher.
Nach AfD und Liberalen stehen nun auch SPD und Grüne einem Untersuchungsausschuss offen gegenüber. "Bei uns ist die Tür grundsätzlich immer offen für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, weil er das Werkzeug der Opposition ist", sagte Renate Künast, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, zu watson.de.
Wir erklären den Skandal und zeigen, für welche 4 Politiker es jetzt so richtig ungemütlich werden könnte.
Hier das watson-Interview mit Renate Künast
Das sind die ersten Ergebnisse der Befragung
Die Antworten des Bundesinnenministeriums auf einen Fragenkatalog der Grünen-Fraktion:
- Mit der Prüfung der rund 18.000 Fälle der Außenstelle Bremen werden rund 70 Mitarbeiter für ca. drei Monate betraut sein
- Bedingt durch diesen zusätzlichen Personalaufwand bestehe das Risiko, dass der Bestand an offenen Asylverfahren von aktuell rund 50.000 auf etwa 80.000 steigen könne
- Das Ziel einer Bearbeitungsdauer von drei Monaten bei neuen Verfahren sei dann nicht mehr zu halten.
- Das Innenministerium teilte mit, es werde aktuell auch geprüft, ob im Bamf-Datenbestand im Zusammenhang mit der Bremer Affäre Daten unrechtmäßig gelöscht worden seien.
- Bei der Suche nach den Motiven für die Manipulationen in Bremen tappt das Bamf noch im Dunkeln
Was war passiert?
In der Bremer Außenstelle des Bamf sind mutmaßlich Asylanträge gegen Geld bewilligt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die frühere Leiterin der Bremer Außenstelle Ulrike B. sowie 5 Anwälte und Dolmetscher. Flüchtlinge, die woanders eine Ablehnung fürchten mussten, sind demnach bewusst nach Bremen gekommen, um einen positiven Bescheid zu erhalten. Die Rede ist von 1200 fälschlicherweise ergangenen Asylbescheiden zwischen 2013 und 2016. Ein Okay soll es für 1000 Euro gegeben haben.
Auch gegen den Vize-Chef der Bremer Außenstelle wird nach Informationen des Magazins "Spiegel" vom Dienstag ermittelt. Demnach habe ein Bericht der Innenrevision ergeben, dass von 1371 Asylanträgen, die Bremen zwischen 2013 und 2017 bearbeitet wurden, die Außenstelle eigentlich nur für 142 Verfahren zuständig gewesen sei.
Die Skandal-Chronik in Kürze:
- Erste Berichte über Unregelmäßigkeiten soll die Bamf-Zentrale bereits 2014 erhalten haben.
- Im April 2017 wird die für Bremen verantwortliche Ulrike B. vom Dienst in Bremen suspendiert.
- Im April 2018 wird Josefa Schmid als Leiterin der Bremer Bamf-Außenstelle abgezogen und gegen ihren Willen zurück nach Bayern versetzt.
Die Juristin Schmid hatte eigene Untersuchungen zur Affäre angestellt und in einem 99-seitigen Bericht dokumentiert. Über die Missstände hat sie nach eigenen Angaben Horst Seehofer, seinen Staatssekretär Stephan Mayer sowie die Bamf-Zentrale informiert.
Josefa Schmid, die unerwünschte Aufklärerin in Bremen
- Am 20. Mai 2018 gibt das Bamf bekannt, dass es Ungereimtheiten in 13 weiteren Außenstellen des Bamf untersucht. Insgesamt geht es um 8.000 Fälle.
- Am 29. Mai 2018 hört der Bundestag Innenminister Horst Seehofer und Bamf-Chefin Jutta Cordt an.
Horst Seehofer
Zur Person: Der CSU-Chef ist seit März 2018 Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat. Praktisch für die bayerische Landtagswahl, die in diesem Jahr noch ansteht. So kann er im Bund die Politik machen, die der CSU in Bayern nützt. Wie zum Beispiel mit seinem Prestigeprojekt, den Ankerzentren.
Hier eine Erklärung zu den Ankerzentren:
Blöd nur, dass Seehofer auch für das Bamf zuständig ist.
Die Verteidigungslinie: Zunächst sieht er den Skandal gelassen.
- die Affäre fällt schließlich in die Zeit seines Vorgängers Thomas de Maizière (behördenintern wird der akkurate Jurist "Büroklammer" genannt)
- Die Misstände in den Bamf-Außenstellen stützen seine Forderung nach sogenannten Ankerzentren, große Flüchtlingsunterkünfte, an denen gebündelt über Asylanträge entschieden (und gegebenenfalls rasch abgeschoben) werden soll.
Nach Angaben des Ministeriums wurde Seehofer erst am 19. April über die neuen Umstände in Bremen unterrichtet. (Merkur)
Der Vorwurf: Die Bremer Aufklärerin Josefa Schmid widerspricht.
Die Juristin aus Bayern (heute FDP, früher CSU) hat demnach versucht, Seehofer vor seinem Antrittsbesuch beim Bamf in Nürnberg am 6. April über die Missstände zu informieren.
"Wir müssen Ihnen dringend persönlich und bitte absolut vertraulich (die Amtsleitung ist in verstörerischer Weise trotz Remonstrationen an Aufklärung nicht gewillt) ungeheuerliche Vorgänge in einer unglaublichen Dimension mit Beweismitteln übergeben, die man nicht ignorieren kann, um gewaltigen Schaden für das ganze Land abzuwenden."
Josefa Schmid per SMS an Horst Seehoferquelle: RND
Seehofer ließ erklären, er habe die SMS nicht erhalten. (Merkur)
Sein Ablenkungsmanöver: Der Minister verweist auf das mangelhafte Management von Bamf-Chefin Jutta Cordt.
Seine Unterstützer: Kanzlerin Angela Merkel. Seehofer genieße "die volle politische Unterstützung", sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert am Tag vor der Anhörung.
Merkels Unterstützung ist nicht ganz uneigennützig: Schließlich geht es um die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.
Die Gefahr: Josefa Schmid. Sie ist nicht nur eine kluge Juristin, sie ist auch unnachgiebig. Und: Sie kandidiert für die FDP für den Landtag von Bayern. Politisches Material gegen die CSU ist da willkommen.
Jutta Cordt, Bamf-Chefin
Jutta Cordt und der damalige Innenminister Thomas de Maizière.Bild: dpa
Zur Person: Die Juristin hat im Dezember 2016 die Leitung des Bamf übernommen. Zuvor hatte sie in der Bundesanstalt für Arbeit Karriere gemacht. Cordt gilt als schnell und zielstrebig. Von Chefs wird das als Lob gesehen. Von Mitarbeitern eher als Last empfunden. So hatte sich zuletzt der Personalrat des Bamf über Cordts Stil beschwert.
Die Verteidigungslinie: Das Bamf konnte nur so schnell sein, wie die Politik. Und auch die wurde von den vielen Flüchtlingen im Herbst 2015 überrascht.
Der Vorwurf: Cordt habe nicht auf Hinweise auf Missstände in Bremen geachtet, auch die Warnungen der unliebsamen Josefa Schmid seien in Nürnberg unerhört geblieben.
Die Region Hannover behauptet, sie habe das Bamf schon im Juli 2016 über Missstände in Bremen informiert:
"Jetzt so zu tun, als hätte man in Nürnberg nichts von den Verfehlungen gewusst, ist in höchstem Maße irritierend."
Hauke Jagau, Regionalpräsident Hannover
Das Manöver: Lückenlose Aufklärung versprechen. So sollen 8.000 Asylanträge überprüft werden.
Die Unterstützer: Frank J. Weise, der ehemalige Leiter der Bundesagentur für Arbeit und des Bamf, hatte Cordt stets gefördert.
Die Gefahr: Seehofer betreibt ihren Sturz nicht aktiv. Aber bevor es für den Minister brenzlig werden könnte, müssen andere gehen. So ist das im Leben.
Frank-Jürgen Weise
Bild: dpa
Zur Person: Der Reserveoffizier machte erst in der Wirtschaft Karriere. Dann wurde er 2004 zur Bundesanstalt für Arbeit gerufen, der Bund brauchte jemand, der die Hartz-Reformen managte. Weise schaffte es. Zur Belohnung berief ihn die Bundesagentur in der Flüchtlingskrise im September 2015 auch zum Chef des Bamf. Im Dezember 2016 übergab er die Führung des Bamf an Jutta Cordt.
Die Vorwürfe: Der Skandal in Bremen fällt in Weises Amtszeit als Bamf-Leiter. Demnach seien erste Unregelmäßigkeiten schon im Juli 2016 aufgetaucht.
Auch er wird für seinen Führungsstil kritisiert. Bamf-Personalratschef Rudolf Scheinost sagte der Berliner Morgenpost:
"Jetzt zahlen wir mit den vielen Gerichtsurteilen gegen Bamf-Entscheidungen sowie den Pannen, Fehlern und Unregelmäßigkeiten bei den Außenstellen die Rechnung für diese Behördenpolitik."
Rudolf Scheinost, Bamf-Personalratschef
"Falsch" und "böswillig", nennt Weise die Vorwürfe.
Die Verteidigungslinie: Weise stellt sich vor seine ehemalige Mitarbeiterin Jutta Cordt. Der Mann ist selbstbewusst genug, um andere zu stützen. Weise muss zwar nicht fürchten, ein Amt zu verlieren. Aber es geht auch um seinen Ruf.
Die Unterstützer: Weise ist nicht immer pflegeleicht mit anderen umgegangen. Das schafft nicht nur Freunde. Aber der damalige Kanzleramtsminister Peter Altmaier, CDU, wusste, was er an dem Planungstalent hatte.
Die Gefahr: Könnte seinen Ruf als hervorragender Organisator verlieren.
Peter Altmaier, Flüchtlingskoordinator
Bild: dpa-Zentralbild
Zur Person: Peter Altmaier (CDU) ist seit März 2018 Wirtschaftsminister. Davor war er Chef des Bundeskanzleramts und Angela Merkels Flüchtlingskoordinator. Ein Amt, das ihn jetzt angreifbar macht.
Der Vorwurf: Altmaier ist ein enger Vertrauter Angela Merkel. Er gilt als kluger und gewiefter Jurist und die Ruhe in Person. Hat er im Herbst 2015 die Übersicht verloren? Noch halten sich alle mit direkten Vorwürfen zurück. Aber ein Parlamentsausschuss könnte auch seine Rolle näher beleuchten.
Die Verteidigungsstrategie: Schweigen. Schweigen. Schweigen. Der Mann ruht in sich selbst.
Die Unterstützer: Kanzlerin Angela Merkel, sie weiß, was sie an dem loyalen Mitarbeiter hat.
Die Gefahr: Seehofer kann darauf verweisen, dass er erst im März 2018 ins Amt des Innenministers kam. Cordt kam im Dezember 2016 an die Spitze des Bamf. Und Altmaier? War von Anfang an involviert in die Flüchtlingskrise. Das könnte ihn treffen.
Vor allem, wenn AfD und Liberale ernst machen und sich in einem möglichen Ausschuss nicht allein auf die Missstände in der Bamf beschränken, sondern Merkels gesamte Flüchtlingspolitik beleuchten.
SPD und Grüne lehnen dies allerdings ab.
(per/dpa/afp)
AfD wegbassen? Das geht so!
Video: watson/Felix Huesmann, Leon Krenz