Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, muss gehen, zumindest so halb.
Am Dienstagmittag war Innenminister Horst Seehofer für eine längere Besprechung in sein Ministerium gefahren, dann traf er die Kanzlerin zum Vorgespräch. Nach einer Stunde ging es weiter zum Koalitionspartner SPD, um dort eine Lösung in der Causa Maaßen zu präsentieren.
Danach gab es noch eine kurze Mitteilung an die Presse, und das wars: Der Präsident des Verfassungsschutzes wird versetzt. In Zukunft übernimmt er im Innenministerium ein Amt als Staatssekretär.
Der Gedanke dahinter:
Die SPD bekommt, was sie will: Maaßen ist nicht länger Chef des Verfassungsschutzes.
Auch CSU-Chef Seehofer kann sein Wort halten: Maaßen bleibt, zumindest irgendwie.
Angela Merkel hat die nächste Regierungskrise gemeistert und einen gemeinsamen Nenner gefunden.
Wir haben schonmal die Ausschreibung für Maaßens Nachfolger/in vorbereitet:
Oberflächlich betrachtet klingt das nach einer kreativen Lösung und einem politischen Kompromiss. Vor der Sommerpause gab es in der Regierung noch Streit bis zum Umfallen. Diesmal, so scheint es, haben die Koalitionäre die Kurve rechtzeitig gekriegt: Seehofer musste nicht mit seinem Rücktritt und die Kanzlerin nicht mit ihrer Richtlinienkompetenz drohen.
Jetzt kommt das Aber:
Beim Maaßen-Ergebnis handelt sich um einen Formelkompromiss, mit dem keine Seite wirklich zufrieden sein kann.
Nach großen Worten von Nahles und Seehofer zu Beginn hat keiner der Beteiligten sein ursprüngliches Ziel wirklich durchgesetzt.
Die GroKo hat nach den Ereignissen von Chemnitz viel Zeit mit Macht-Fragen verbracht, anstatt sich um die gesellschaftliche Spaltung zu kümmern.
Am Schluss steht da ein politischer Trick, der einen viel kritisierten hohen Beamten sogar noch mit einem anderen Amt belohnt.
Die Unsicherheit innerhalb der Regierungsparteien und deren Unsicherheit gegenüber den Bürgern lässt sich mit Händen greifen: Sie drückt sich aus im betont offensiven Verhalten der SPD, im politischen Schlingerkurs von CSU-Chef Seehofer, und im ewigen Schweigen Angela Merkels. Die Kanzlerin versucht gerne, Dinge hinter verschlossener Tür zu klären. Sie merkt aber nicht, dass sie dabei auch die Bürger vor eben dieser Türe warten lässt.
Woher kommt die Unsicherheit?
Vor wenigen Tagen haben wir bei watson die Lage der Großen Koalition am Beispiel einer Patt-Situation beschrieben. Sie ist der Grund dafür, dass es schon wieder zum Streit gekommen ist. Und, dass es jederzeit wieder zum Streit kommen kann.
Darin bedrohen sich drei Kontrahenten gegenseitig mit einer Pistole. Keiner kann abdrücken, ohne vom jeweils anderen erschossen zu werden. Man nennt das einen "Mexican Standoff" – einen Patt, in der
sich die Große Koaltion zwischen SPD, CDU und CSU seit Beginn ihrer gemeinsamen Regierung vor sechs Monaten befindet.
Kurz zusammengefasst:
Eine schwache Kanzlerin braucht ihre Koalitionspartner für die Regierung.
Diese Partner aber kämpfen selbst gegen den politischen Abstieg.
Das befördert neue Streitigkeiten in der Koalition, die in Stillstand oder Eskalation münden.
Die Causa Maaßen war nur eine neue Variante dieses Patts – und daraus gab es von Anfang an nur zwei Optionen.
Entweder einem rutscht in unserem Szenario der Finger aus und alle gehen zu Boden.
Oder es herrscht gespannter Stillstand, ohne die Probleme wirklichzu lösen.
Was heute passiert ist, scheint am Ehesten zur zweiten Alternative zu passen. Die Regierung hat die Maaßen-Affäre zur Seite gelegt, aber die Kontrahenten stehen eben noch immer da: Die Waffen fest in der Hand – weil es ja jeden Moment weitergehen kann.
Die Sozialdemokraten wollten mit ihrer harten Haltung Format zeigen und zogen in den vergangenen Tagen öffentlich eine rote Linie für ihre Regierungspartner. „Herr Maaßen muss gehen, und ich sage Euch, er wird gehen“, sagte Andrea Nahles erst am Wochenende auf einer Wahlveranstaltung.
Jetzt hat die SPD ihren Willen nur zum Teil durchgesetzt – der politische Sieg wird sich in Grenzen halten.
Es ist fraglich, ob die Debatte um Maaßen beim Wähler überhaupt verfängt und hilft, die SPD aus ihrem Umfragetief zu holen.
Am Ende ist ihr Sieg vielleicht sogar gar keiner – Maaßen muss nicht wirklich gehen. Strenggenommen wurde er sogar befördert und bekommt eine bessere Besoldung. Bleibt dies am Schluss beim Wähler hängen, hat Andrea Nahles kaum Punkte gut gemacht.
Der Druck historisch schlechter Umfragewerte wird also weiter anhalten. Oder um im Bild zu bleiben: Die SPD muss die Waffe geradezu oben lassen.
Die CSU und Horst Seehofer
Horst Seehofer gilt schon seit Monaten als angezählt. Seine Umfragewerte sinken. Seit seiner Ankündigung, selbst twittern zu wollen, gibt es sogar vereinzelte Vergleiche mit Donald Trump. Es steht öffentlich nicht gut um den Innenminister. Die CDU fremdelt heftig mit ihm, aber auch in der CSU ist er längst nicht mehr unumstritten.
Der aktuelle Fall verschlimmert seine Situation:
Konservative und Beamte werden ihm noch immer Wortbruch anlasten, weil ihr Mann Maaßen eben nicht mehr Chef des Verfassungsschutzes ist.
Der sowieso fallenden CSU hat Seehofer in dieser Woche einmal mehr die Show im Wahlkampf gestohlen.
Er selbst darf vielleicht nocht bleiben, bis der Urnen-Gang in Bayern vorbei ist. Aber wirklich erholen wird sich der Innenminister von den Geschehnissen wohl nicht mehr. Vor allem, wenn ihm der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ein historisch schlechtes Wahl-Ergebnis der Christsozialen anlasten wird.
Auch Seehofer wird nicht aus der Offensive gehen. Schließlich hat er kaum noch etwas zu verlieren. Viele sagen ihm nach, dass er mittlerweile vor allem für seine Überzeugungen und sich selbst kämpft. Und Seehofers Überzeugung ist denkbar einfach: Angela Merkel liegt beim Thema Migration falsch.
Die Kanzlerin
Durch die Verzögerungen und den Dissens hat Angela Merkel ihre Gegner alles andere als besänftigt.
Im Gegenteil:
Aus Hans-Georg Maaßen ist ein Märtyrer geworden, den die AfD für ihre Zwecke instrumentalisieren wird.
Einmal mehr haben die Koalitionäre und sogar ein Beamter ihres Staatsapparats der Kanzlerin das Ende ihrer Macht aufgezeigt.
Wenn Maaßen nicht einmal wirklich weg ist von der Staatsbühne, spricht auch nichts dagegen, dass er sich in Zukunft wieder gegen die Kanzlerin stellt.
Merkel muss schon bald mit dem nächsten, dann dritten Mexican Standoff dieser Legislatur rechnen und deshalb auf Abwehr getrimmt sein. Die Frage ist, wie viele dieser Patt-Situationen die Regierung noch überlebt.
Donald Trump wird US-Präsident: Deshalb gibt es "Cancel Culture" nicht
Die Grünen, die haben laut konservativen und rechten Kräften immer Schuld an allem. Oder der "woke Wahnsinn". Was für viele Revisionisten eigentlich dasselbe ist. Und was machen die Woken laut rechter und konservativer Ecke? Natürlich alles wegcanceln aka zensieren, was nicht in ihre "Ideologie" passe. Die böse "Cancel Culture" ist längst ein Kampfbegriff der Rechten geworden.