Die CSU und die Union, das wird gerne vergessen, standen schon einmal vor dem Aus. 1976 wollten Franz Josef Strauß und seine Christsozialen ihre Minister aus der Regierung abziehen. Auch damals ging es um die Asylpolitik. Und auch Strauß ging es so sehr um seinen Konkurrenten Helmut Kohl, wie es Seehofer heute um seine Konkurrentin Merkel geht. Aber, auch das ist Geschichte, auch damals gab die CSU klein bei.
Das große Rätselraten, wie der Streit zwischen CDU und CSU weitergehen wird, beherrscht dennoch die Schlagzeilen – und wie sich dies auf die Bundesregierung auswirken könnte.
CSU-Chef Horst Seehofer hat sich und der Schwesterpartei nun eine neue Frist bis zum Mittwoch gesetzt – dem 4. Juli, sein 69. Geburtstag. Aber das ist Zufall.
Denkbar sind mehrere Entwicklungen, je nachdem, ob die von Seehofer angekündigten neuen und letzten Einigungsversuche mit der CDU-Spitze am Montag im Konrad-Adenauer-Haus erfolgreich sind.
Die Politiker der CDU und CSU haben am Montagvormittag mehr oder weniger hektisch versucht, doch noch Wege für einen Kompromiss zu finden. Denn laut Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble steht die Union "am Abgrund".
Viele Mitglieder zeigen sich erschrocken über die Entwicklung und Seehofers Rücktrittsdrohung. Mehrere CDU-Politiker sprechen davon, der CSU noch einmal "Brücken" bauen zu wollen – über die bayerische Regionalpartei dann aber auch gehen müsse.
Wahrscheinlichkeit: Zwar
betonen sowohl CDU- als auch CSU-Politiker, dass das
gegenseitige Misstrauen selbst bei einer Einigung bleiben werde.
Aber der Bruch der Regierung und der Fraktionsgemeinschaft wäre
abgewendet – erst einmal. Das macht das Szenario durchaus zu einer Möglichkeit.
Die zweite Variante wäre, dass Seehofer zurücktritt – entweder weil eine Einigung zwischen den beiden Parteien misslingt oder weil ihm der Kompromiss anders als anderen in der CSU nicht ausreicht.
Seehofer hat mehrfach betont, dass es ihm um seine persönliche "Glaubwürdigkeit" gehe – und er ficht seit 2015 einen auch persönlichen Kampf mit Merkel in der Flüchtlingspolitik aus.
Denkbar wäre, dass die CSU einen anderen Innenminister – etwa Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann oder Staatsekretär Stephan Mayer – nominiert, der dann den "Masterplan Migration" umsetzen könnte.
Als Kandidaten für den Parteivorsitz werden eigentlich nur Alexander Dobrindt und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder genannt. Inhaltlich aber wäre der Asylstreit damit nur aufgeschoben: Auch ein künftiger CSU-Bundesinnenminister würde in der Sache wohl kaum zurückweichen, der Konflikt mit Merkel um Zurückweisungen bestimmter Flüchtlinge an den Grenzen ginge unvermindert weiter.
Wahrscheinlichkeit: Der Rückzug Seehofers könnte es auch der SPD erleichtern,
weiter die große Koalition mitzutragen und den
sogenannten Masterplan mitzutragen. Den Sozialdemokraten wird
in der Union unterstellt, sie habe keine Alternative zur
weiteren Regierungsbeteiligung.
Wer immer dann neuer CSU-Chef würde, müsste allerdings eine harte Linie gegenüber CDU-Chefin Merkel fahren, um das auch durch schlechte Umfragen angeknackste Selbstbewusstsein der stolzen bayerischen Regionalpartei zu pflegen.
Die dritte Variante wäre, dass die CSU nach einem Rücktritt oder Rausschmiss Seehofers durch die Kanzlerin die Regierung verlässt. Dies könnte eintreten, wenn sich die Unions-Spitzen nicht einigen – oder wenn der Innenminister doch die nationalen Zurückweisungen gegen den erklärten Willen der Koalitionspartner CDU und SPD anordnen sollte.
Wahrscheinlichkeit: Aus Sicht der CSU wäre dies reizvoller als ein bloßer Rücktritt Seehofers, weil der Kanzlerin dann eher die Verantwortung für den Bruch der Schwesterparteien angehängt werden könnte.
Auf der anderen Seite würden mit dem Bruch der Union auch in Bayern zwei Parteien zur Wahl antreten müssen, und die CSU müsste sich auf Bundesebene ausdehnen. Das würde viele Karrieren innerhalb der Partei betreffen und die Wahlergebnisse auf jedenfall nach unten drücken.
Welchen Weg man gehen würde, hänge sehr stark von den Umständen ab, heißt es in der CDU. Wenn die Verantwortung für den Bruch der Union klar bei der CSU festgemacht werden könne, festige dies eher Merkels Position, so die Vermutung – dies könnte eine Minderheitsregierung oder eine neue Koalition etwa mit der Hereinnahme der Grünen oder der FDP denkbar machen.
Wahrscheinlich wäre in diesem Fall aber, dass es kurz- oder mittelfristig zu einer Neuwahl des Bundestags kommt. Dieses Szenario gilt aber als höchst unwahrscheinlich. Niemand wolle den Bruch, betonten CSU-Spitzenpolitiker in den vergangenen Tagen gebetsmühlenartig.
Am Montag stellte Söder erneut klar: "Die Stabilität der Regierung steht für uns nicht infrage, auch ein Aufkündigen einer Fraktionsgemeinschaft ist nicht der richtige Weg. Man kann in einer Regierung viel erreichen, aber nicht außerhalb."
Wichtig ist auch der Blick auf die EU: Denn schon auf dem EU-Gipfel wurde allgemeine Besorgnis geäußert, dass ein gelähmtes Deutschland die Europäische Union ins Chaos stürzen könnte.
Entscheiden müsste die CDU in diesem Fall, ob sie noch bei der bayerischen Landtagswahl im Oktober antreten will. Sie müsste sich bis zum 2. August entsprechend erklären.
Spätestens nach der Landtagswahl könnte dann auch eine Ausweitung der CSU auf das Bundesgebiet folgen – was allerdings organisatorisch sehr viel aufwendiger wäre als der Aufbau eines CDU-Landesverbands in Bayern. Sollte sich im CDU-Teil der Bundestagsfraktion aber der Eindruck festsetzen, Merkel habe nicht alles unternommen, um die CSU an Bord zu halten, könnte die Position der CDU-Chefin und Kanzlerin in den eigenen Reihen nachhaltig geschädigt werden.
(mbi/gam/rtr/dpa)