Am Nachmittag kommen in Brüssel die Staats- und Regierungschefs zusammen, um über die Flüchtlingspolitik zu beraten. Zugesagt haben nur 16 der 28 EU-Staaten, deshalb mag sich die Runde auch nicht Gipfel nennen. Von einem informellen Treffen ist die Rede. Es geht um die Flüchtlingspolitik. Und um die politische Zukunft von Kanzlerin Angela Merkel.
Merkel kämpft
Die CSU erhöhte vor dem Treffen am Sonntag schon mal den Druck. Er werde sich auch durch die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin von seinem Kurs, die Grenzen zu schließen abbringen lassen, sagte Innenminister Horst Seehofer, zugleich CSU-Parteichef.
Ein Blick auf die Konfliktlinien beim Treffen in Brüssel und die 3 Gegner der Kanzlerin (außer der CSU).
Viktor Orban kommt erst gar nicht nach Brüssel am Sonntag. Ebenso wie die Regierungschefs aus Tschechien, Polen und der Slowakei. Die vier Staaten stimmen ihre EU-Politik seit Jahren ab, nach dem Gründungsort der Gruppe werden sie die Visegrad-Staaten genannt.
Ihr Anführer ist Orban. Er ließ vorab schon mal ausrichten, dass sämtliche Beschlüsse vom Sonntag als unrechtmäßig betrachtet, weil nicht alle EU-Staaten anwesend sind.
Rechtspopulist Orban ist der Erfinder der illiberalen Demokratie in Ostmitteleuropa. Polens Partei PiS von Jaroslaw Kaczynski ist seinem Beispiel nach der Machtübernahme 2015 gefolgt.
In der Flüchtlingspolitik hat Orban als erster Regierungschef in der EU umgeschaltet und die Grenzen seines Landes dicht gemacht: mit einem Zaun. Eine Quote zur Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten lehnt er strikt ab. (Derzeit lässt seine Regierung genau zwei Asylbewerber pro Tag ins Land.)
Orbans Ideal: Abriegeln nach außen mit
Orban arbeitet im EU-Parlament mit der CDU/CSU zusammen, im Januar 2018 war er Gastredner auf der Klausurtagung der CSU.
Italiens neuer Regierungschef Giuseppe Conte drohte mit Absage. Er komme nur, wenn es keinen von Deutschland und Frankreich vorgefertigte Erklärung gebe, sagte er. So wird es in Brüssel am Sonntag keine Beschlüsse geben.
Conte ist selbst nicht ganz Herr des Verfahrens. Die rechte Lega Nord von Innenminister Matteo Salvini musste ihn nach vorneschieben. Staatspräsident Sergio Mattarella mochte den Rechtsaußen Salvini nämlich nicht zum Regierungschef bestellen.
Ansonsten läuft es in Italien ganz nach Seehofers Wille und Vorstellung: der Innenminister bestimmt die Richtlinien der Flüchtlingspolitik.
Merkels Ziel bilateraler Vereinbarungen erteilte Salvine eine Absage: Es erscheint damit äußerst fraglich, dass Merkel ein bilaterales Abkommen mit dem Land zur Rücknahme von Migranten gelingen kann.
Der Minister ist ein Brandstifter. Salvini ist eine Art Orban des Südens. Auch er strebt Flüchtlingszentren in Nordafrika an.
31 Jahre alt ist Sebastian Kurz und schon Bundeskanzler in Österreich. Der Mann ist charmant, blitzgescheit und der Erfinder des neuen Konservatismus in Europa. Wo Orban und Salvini poltern, zeigt Kurz ein Schwiegersohnlächeln. Das Problem ist nur. Er sagt (und macht) dasselbe.
Sein Ziel: Ankerzentren für Flüchtlinge in Nordafrika, wer dort kein Asyl erhält, bekommt keinen Passierschein für Europa.
Kurz wird noch wichtig in Europa. Sein Land übernimmt zum 1. Juli für sechs Monate die wechselnde Ratspräsidentschaft in der EU. Er ist damit eine Art Geschäftsführer unter den Regierungschefs, er und sein Team leiten für sechs Monate die Verhandlungen und bestimmen die Tagesordnung. Das schafft viel Einfluss.
EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos deutete vergangenen Mittwoch schon mal seine Bereitschaft zu Ankerzentren in Nordafrika an.
Es ist einsam geworden um Angela Merkel. Nicht nur in Deutschland. Es rächt sich, dass die Kanzlerin in der Eurokrise in der EU durchregierte. Europa ist eben ein wechselseitiges System von Abhängigkeiten. Und Europa vergisst nichts.
Geben und Nehmen, heißt die Devise. Aber einer der wenigen, die sich darauf einlässt ist derzeit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Unterstützung für das einsame Duo kommt von
Andere Staaten wie Österreich und Schweden, die Merkels Politik im Herbst 2015 noch stützen, haben sich offen abgewandt wie Wien unter dem neuen Regierungschef Kurz oder stillschweigend wie Schweden, wo der sozialdemokratische Regierungschef Stefan Löfven bei den Parlamentswahlen im September ein kräftiges Erstarken der rechten Schwedendemokraten fürchten muss.
Es wird ungemütlich in Europa.
Frankreich dämpfte die Erwartungen vor der Spitzenrunde am Sonntag. "Momentan sind die Positionen noch weit von einer Übereinstimmung entfernt", sagte Macrons Regierungssprecher Benjamin Griveaux.
Macron und Spaniens Regierungschef Sanchez schlugen unmittelbar vor dem Gipfel Asylzentren auf dem Boden der EU vor. Zudem kritisierte er das Verhalten von Orban und seinen Verbündeten in Polen, Tschechien und der Slowakei, die eine Aufnahme von Flüchtlingen in ihrem Land grundsätzlich ablehnen. Macron sagte:
Am kommenden Donnerstag und Freitag tagt ein regulärer EU-Gipfel in Brüssel, Thema ist unter anderem die Flüchtlingspolitik. Unwahrscheinlich aber, dass bis dahin eine Lösung steht. Für Europa. Und für Merkel.
(per./dpa/afp)