An diesem Sonntag ist der internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.
Vor einigen Tagen hat das Bundeskriminalamt Zahlen veröffentlicht, in denen das (ungefähre) Ausmaß an Gewalt gegen Frauen in Deutschland sichtbar wird.
147 Mal haben Männer im Jahr 2017 in Deutschland ihre Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen getötet. Zu versuchten Tötungen kam es im Schnitt sogar jeden Tag.
Fast 140.000 Fälle von Gewalt in der Partnerschaft wurden 2017 angezeigt. Nur jedes fünfte Opfer aber suche überhaupt Hilfe, sagte Frauenministerin Franziska Giffey, die die Zahlen vorstellte.
"Für diese Frauen ist das eigene Zuhause ein unsicherer Ort", sagte Giffey.
Doch was, wenn dieses "Zuhause" eine Not- oder Gemeinschaftsunterkunft ist? Wenn man sich den Wohnraum mit vielen anderen teilen muss? Wenn man nicht überall sichere Rückzugsorte findet? Für geflüchtete Frauen in Deutschland ist das oft Realität.
Was sind die besonderen Umstände von Frauen, die nach Deutschland gekommen sind, um Schutz zu suchen? Was, wenn sie hier Gewalt erfahren?
Bild: reuters
Die Frauen sind in der Unterzahl
Von Januar bis Oktober 2018 haben laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)138.655 Menschen in Deutschland erstmals einen Asylantrag gestellt. 56,8% Prozent aller Erstantragssteller waren männlich, 43,2% weiblich.
Das bedeutet, Männer, die in Deutschland einen Asylerstantrag stellen, sind in der Überzahl. Frauen kommen oft in Begleitung ihres Partners oder männlichen Verwandtens in Deutschland an und sind häufig von ihnen abhängig.
Frauenberatungsstellen berichten von Gewalt, die nicht nur vom Partner der Frau, sondern auch von Sicherheitsbeamten der Unterkünfte ausgingen.
Die Unterbringung kann Gewalt begünstigen
In den vergangenen Jahren seit 2015 ging es erstmal darum, den Geflüchteten, die in Deutschland ankommen, eine Unterkunft zu stellen. Kaum jemand dachte dabei an die Gefahren, die geflüchteten Frauen auch in Deutschland drohen.
Mittlerweile ist klar: Beengte Gemeinschafts- oder Notunterkünfte sind für niemanden gut, aber vor allem deshalb gefährlich für Frauen, da häusliche und auch sexualisierte Gewalt oft aus dem sozialen Nahraum hervorgeht. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gab 2017 Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften heraus. Frauenberatungsstellen berichten seither von vereinzelten Verbesserungen der Situation, zum Beispiel gebe es in den Unterkünften teils schon ein Beschwerdemanagement.
Trotzdem bleibt Privatsphäre in vielen Notunterkünften Mangelware, die beengte Wohnsituation kann Übergriffe begünstigen.
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Experten sehen gravierende Mängel und fordern mehr Unterstützung
Das sagen auch Frauenberatungsstellen wie der Berliner Verein BORA. Stefanie Soine ist seit über neun Jahren die Leiterin der Frauenberatung von BORA e.V.
Soine stellt jedoch bei allen "durchaus erfolgreichen Anstrengungen", das vorhandene Hilfe- und Unterstützungssystem ausbauen zu lassen, nach wie vor "gravierende Mängel" im System fest.
In Berlin und bundesweit gebe es viel zu wenig Frauenhausplätze, sagt die 57-Jährige. Es brauche zudem kleinere, geschützte Wohneinheiten für alle von Gewalt betroffenen Frauen und dringend mehr therapeutische und psychologische Unterstützung.
Gerade die Lebenssituation von geflüchteten Frauen in deutschen Not- oder Gemeinschaftsunterkünften stufen sie und ihre Kolleginnen – trotz der Verbesserungen im letzten Jahr – nach wie vor als problematisch ein.
Soine fordert daher für die Gemeinschaftsunterkünfte:
„Eigene Räume für Frauen. Es muss eigene Sanitäranlagen geben, sodass
Frauen gar nicht erst in die Bredouille kommen, sich in den Duschräumen aufhalten zu müssen, in denen die Kerle rumrennen. Es muss abends eine
bessere Beleuchtung der Wege geben, auch in den Nacht- und Abendstunden muss Sicherheitspersonal da sein. Es müsste meiner Meinung nach eine
Rundumbetreuung geben. Und dafür muss man mehr Geld in die Hand nehmen.“
Jede Frau muss die Gewalt als solche erst einmal erkennen
Zu Soine kommen hilfesuchende Frauen aus Deutschland, aber auch Frauen mit Fluchterfahrung. Sie berichtet von unterschiedlichen Problemlagen:
„Manchmal haben sie
Kinder, manchmal nicht, manchmal „nur“ Ohrfeigen erlitten, manchmal
direkt einen Schädel-Basis-Bruch.“
Was alle Frauen – ob aus Deutschland oder nicht – eint, ist die erste innere Hürde, die sie auf dem Weg zur Beratung meistern müssen: Nämlich die Gewalterfahrung als solche überhaupt identifizieren.
Dieses Problem kennt auch Dr. Doris Felbinger, die seit zweieinhalb Jahren Geschäftsführerin von BIG e.V. ist, der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen.
BIG e.V. berät Frauen, die von Gewalt betroffen sind, bietet unter anderem Schulungen, Präventionskurse und eine eigene Hilfe-Hotline an. Doris Felbinger sagt:
„Viele Frauen stecken so tief in den Situationen, dass sie Übergriffe oder häusliche Gewalt gar nicht als solche bewerten. Das fängt mit Entwürdigen der Frau an, die Frau wird kontrolliert, hat kein eigenes Geld, darf Freunde nicht treffen, Stalking ist zudem oft ein Tatbestand. Es gibt da in der Bandbreite alles, bis hin zu schweren körperlichen Übergriffen."
In den Jahren 2015, 2016 und 2017 kamen bei der BIG-Hotline je über 9.000 Anrufe von Hilfesuchenden aus Berlin an. Das sind oft die Frauen selbst, oft aber auch Unterstützerinnen und Unterstützer, sowie Fachkräfte wie die Polizei.
Felbinger bezeichnet diese Zahl "auf hohem Niveau", außerdem sei sie von 2016 auf 2017 leicht angestiegen. Für 2018 gibt es noch keine abschließenden Zahlen.
Die Barrieren, sich Hilfe zu holen, sind für Frauen, die schon lange oder immer in Deutschland leben, bereits hoch. Viele Frauen schämen sich oder suchen die Schuld für den Übergriff bei sich, sehen sich als Auslöser für die Gewalterfahrung.
Für Frauen mit Fluchterfahrung kommen aber noch weitere Hürden hinzu. Behördengänge, die fremde Sprache, Unsicherheit über den eigenen Aufenthaltsstatus. Geflüchtete Frauen brauchen daher besondere Unterstützung.
Felbinger erklärt:
„Es braucht für Frauen mit Fluchterfahrung oft Sprachmittler, eine Aufklärung über die eigenen Rechte,
überhaupt: Wo geht man hin, an wen wendet man sich? Man ist mit dem
gewalttätigen Partner hier, an dem eventuell auch der Aufenthalt hängt. Die Angst davor, in das Land zurückgeschickt zu werden, aus dem man
geflohen ist, ist natürlich auch groß.“
Auch Stefanie Soine von BORA e.V. sieht darin – neben der Angst, dass ihnen nicht geglaubt oder geholfen wird – eine große Hürde für Betroffene: „Für die Frauen ist das ein unglaublich
befremdlicher Behördendschungel, es gibt Sprach- und
Verständigungshürden", sagt Soine. Viele Frauen hätten zudem Angst, dass ihnen die Kinder
weggenommen werden, sofern sie welche haben. Diese Angst teilen alle hilfesuchenden Frauen, so Soine.
Hinzukommt: Ein Großteil der Frauen (und Männer) sind bereits hochtraumatisiert, wenn sie in Deutschland ankommen, wie Soine berichtet.
"So viele Frauen haben auf der Flucht nach Deutschland Vergewaltigungen
erlebt oder mitgekriegt, wie andere Frauen vergewaltigt, Kinder
misshandelt oder andere Menschen getötet worden sind. Das Gros der
Menschen, die hier ankommen, sind hochgradig traumatisiert. Und gerade
diese Gruppe braucht so viel Unterstützung.“
Wie gelangt die Hilfe also zu geflüchteten Frauen?
Doch wie kann eine Frau, die in einer Geflüchtetenunterkunft lebt, überhaupt an Hilfe kommen? Selbst melden sich die Frauen in den seltensten Fällen. Oft sind es die Sozialarbeiterinnen in den Unterkünften vor Ort, die Kontakt zu den Frauen suchen und im Falle des Falles Übergriffe oder Ähnliches melden.
Stefanie Soine erklärt: „Eine Frau in der Flüchtlingsunterkunft kann sich aufgrund der Asylauflagen nicht einfach sonst wo hinbewegen. Wir werden informiert, bekommen einen Hilferuf und schauen, was wir für Möglichkeiten haben.“
Diese Möglichkeiten reichen von einer Wegweisung des Täters, bis zur Verlegung der Frau in ein Frauenhaus (sofern dort Platz ist) oder in eine andere Unterkunft. Klar ist: Die betroffene Frau muss so schnell wie möglich vom Täter getrennt und in Sicherheit gebracht werden.
Auf dem Weg vom Täter weg müssen die Frauen auch eine Vielzahl von Behördengängen absolvieren. Dort stoßen die Frauen aber so manches Mal auf "Unfreundlichkeit" und "Rassismus", berichtet Soine.
"Menschen, die als wahrnehmbar aus einem arabischen Land kommen, werden von
vornherein in deutschen Behörden oft deutlich schlechter behandelt. Sie werden weggeschickt, unfreundlich behandelt, man muss oft
viel mehr machen, um an die Mittel zu kommen, auf die die Frauen einen
Anspruch haben.“
Nicht alle Behörden, aber auch nicht wenige seien so, sagt Soine. Deswegen brauchen die Frauen eine gute Beraterin an ihrer Seite, die um ihre Rechte weiß und diese auch durchsetzt.
Ein neues Leben – hoffentlich in Deutschland
Für jede Frau, die von Gewalt jeglicher Art betroffen ist, ist die endgültige Trennung vom Täter eine der letzten Hürden. Sowohl innerlich, als auch organisatorisch. Der mangelnde Platz in Berliner Frauenhäusern ist aktuell eines der größten Probleme, manchmal müssen auch Frauenberatungsstellen wie BORA e.V. die hilfesuchenden Frauen vertrösten oder an andere Stellen verweisen, sofern der Weg dorthin machbar ist.
Wenn der Täter der eigene Partner ist, ist es für viele Frauen noch schwieriger, sich zu trennen. Doris Felbinger von BIG sagt:
„Es braucht im Schnitt sieben Anläufe zu gehen, bis eine Frau ihren gewalttätigen Partner wirklich verlässt"
Doris Felbinger, BIG e.V.
Und im Fall von geflüchteten Frauen stellt sich oft die Frage: Gehen, aber wohin?
Von Gewalt betroffen zu sein, heißt für Asylbewerberinnen nämlich nicht automatisch, dass man in Deutschland bleiben darf. Es kann aber in einigen Fällen zu einem Abschiebeverbot führen, wie der Bundesverband der Frauenberatungsstellen (bff) schreibt. Nämlich dann, "wenn sie zu einer starken physischen und/oder psychischen Verletzung der
betroffenen Person führt, die ein (Über)Leben im Herkunftsland
unmöglich macht."
Viele Frauenberatungen arbeiten daher mit Rechtsanwältinnen und Anwälten zusammen, die sich auf Asylrecht spezialisiert haben und die Möglichkeiten der Frauen kennen.
Aber auch das hilft manchmal trotzdem alles nichts, wie Stefanie Soine berichtet:
"Wir haben schon die Erfahrung gemacht, dass Frauen, die in unserem
Hilfe- und Schutzsystem sind, abgeschoben werden. Obwohl wir alles tun,
um die größtmögliche Unterstützung zu stellen. Und sie werden dann doch
abgeschoben. Weil der politische Wille gerade in eine andere Richtung
geht.“
Auch Doris Felbinger von BIG würde sich neben einem schnelleren Asylverfahren und mehr mobiler Beratung für die Frauen wünschen, dass der Tatbestand häusliche Gewalt ein eigenes Aufenthaltsrechtsverfahren für die Frau rechtfertigt.
„Wenn sich eine Frau vom Täter trennen und eine gewaltfreie Zukunft möchte, ist das, wie ein komplett neues Leben aufzubauen", sagt Soine.
Und dieses neue Leben müssen viele der Frauen jetzt in Deutschland aufbauen.
Warum Grenzkontrollen nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich ein Fehler sind
Selten war Konsens trauriger. Alle Spitzenparteien sind sich einig, dass die Migrationspolitik noch ein paar Zähne mehr vertragen könnte. Die CDU setzt für den merz'schen Fünf-Punkte-Plan auf Unterstützung von Rechtsaußen, die Grünen mit ihrem habeck'schen Zehn-Punkte-Pendant versuchen es ganz demokratisch, frei nach dem Motto: Solange die AfD nicht mitmacht, ist es schon okay.