Es ist keine vier Wochen her. Am Sonntag, den 22. Juli ist zum ersten Mal ein Bürgerentscheid gegen einen Moscheebau erfolgreich. Eine Mehrheit der Kaufbeurer stimmt dafür, dass die Stadt kein Grundstück an den Türkisch Islamischen Kulturverein e.V. – Ditib vergeben darf.
Über die Irrungen und Wirrungen im Vorfeld des Bürgerentscheids und sein Zustandekommen hatten wir ausführlich berichtet:
Zwei Begebenheiten aber fehlen in dieser Chronologie. Sie sind mehr als Fußnoten.
Denn: Der Bürgerentscheid beschäftigt auch die Staatsanwaltschaft.
Im Verlaufe des Bürgerbegehrens, also der Phase, in der die notwendigen Unterschriften eingesammelt wurden, um eine Abstimmung in Form eines Bürgerentscheids zu realisieren, gab es Unregelmäßigkeiten.
Und zwar in 27 Fällen. Denn: 27 der 705 ungültigen und aussortierten Unterschriften stammen von Kaufbeurern, die gar nicht mehr am Leben sind. 27 Unterschriften von Toten also. Das bestätigt die Staatsanwaltschaft Kempten watson auf Nachfrage. "Ein Verantwortlicher konnte jedoch nicht ermittelt werden", heißt es dort.
Ungültige Stimmen im Zuge von Bürgerbegehren sind erst einmal nichts Ungewöhnliches. Das sagt auch Anselm Renn von "Mehr Demokratie", einem Verein, der sich für direkte Demokratie und Bürgerbeteiligungen in Deutschland und der EU ausspricht und Bürgerbegehren und -Entscheide in Kooperation mit Universitäten wissenschaftlich auswertet. Die Initiatoren wissen von vornherein, dass unlesbare und ungültige Unterschriften dabei seien können, sagt Anselm Renn. Deswegen sammelten sie grundsätzlich mehr Unterschriften als unbedingt nötig. Es habe in Berlin beim Volksentscheid zum Tempelhofer Feld beispielsweise den Vorwurf der Urkundenfälschung gegeben.
Der Initiator Werner Göpel hält das auch für einen schlechten Witz. Die Kriminalpolizei sei deswegen bei ihm gewesen. Er glaubt nicht, dass die Unterschriften der Toten von einem der Unterschriftensammler käme. "Ich nehme an, irgendeiner wollte der Aktion einen Gefallen tun. Ein ziemlicher Dummkopf", sagt Göpel. Der ehemalige Kriminalbeamte Göpel hat auch noch einen Tipp für die Polizei. Diese Fälle müsse man graphologisch untersuchen, sagt er. "Mich hätte das gereizt, hier zu ermitteln."
Auch der Kaufbeurer Oberbürgermeister Stefan Bosse kann sich das Ganze nicht erklären. Die Stadtverwaltung habe wie bei vorherigen Bürgerentscheiden die Unterschriften auf Lesbarkeit überprüft, darauf, ob die Person tatsächlich existieren und ob sie stimmberechtigt und in Kaufbeuren gemeldet seien. Bei diesem Prozedere seien dann auch die Stimmen der Verstorbenen aufgefallen. Der Wahlleiter habe das dann der Polizei übermittelt.
Die 27 gefälschten Unterschriften waren auch dem Stadtrat bekannt. Wahlleiter und Rechtsrefent Thomas Zeh hatte diesen über die ungültigen Stimmen informiert, auch über die der bereits Verstorbenen. Für den Juristen war das auch neu. "Für uns war klar, dass wir Strafanzeige stellen." Die folgte im Juni.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Urkundenfälschung. Aber die Beurteilung, wie sich die ungültigen Unterschriften auf das Bürgerbegehren auswirken, obliege der Stadt Kaufbeuren und sei verwaltungsrechtlicher Natur, heißt es von der Staatsanwaltschaft.
Kommt da also noch was von Seiten der Stadt? "Nein“, sagt Bosse. Das hätte der Stadtrat zu einem früheren Zeitpunkt machen müssen. "Wir haben das bei zurückliegenden Begehren auch nicht gemacht", sagt der Oberbürgermeister. Eine vertiefende Überprüfung werde es auch jetzt nicht geben. Die 27 Stimmen seien nicht ausschlaggebend gewesen. "Es gibt ein deutliches Votum gegen die Moschee." Und das bei einer Wahlbeteiligung von fast 45 Prozent. Juristisch sei der Fall mit der Zulassung und Feststellung des Stadtrats erledigt.
Das sieht auch Anselm Renn von "Mehr Demokratie e.V." so. Urkundenfälschung betreffe ja den Weg zur Abstimmung, nicht die Abstimmung selbst. Es gibt keine Beispiele in Deutschland, wo so etwas ausschlaggebend gewesen wäre. "Das", sagt er "ist nicht das Problem der direkten Demokratie in Deutschland."
Die Staatsanwaltschaft Kempten beschäftigt allerdings noch ein weiterer Fall.
Ihr liegen sechs Anzeigen gegen Unbekannt wegen Briefen des sogenannten "Kommandos Hofanger" mit hetzerischem Inhalt vor. "Auch in diesen Fällen konnte ein Verantwortlicher bislang leider nicht ermittelt werden“, sagt die Staatsanwaltschaft.
Bernhard Pohl, der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler in Kaufbeuren und Abgeordnete im bayerischen Landtag, hat so einen Brief bekommen. Er war es auch, der als Erster Strafanzeige wegen Volksverhetzung und Beleidigung gestellt hat. "So ein Schreiben hat für mich eine andere Qualität. Da ist einer dagesessen und hetzt vorsätzlich und in vollem Bewusstsein“, sagt Pohl.
Alle Fraktionen im Stadtrat, die Initiative von Kaufbeurern Bürgern "Gestalten, statt Spalten" und auch die Moscheegemeinde erhielten Post vom "Kommando Hofanger".
Sagt Oberbürgermeister Bosse. Er bekommt Zuschriften, die verkürzt darstellten, er habe die Abstimmung verloren. Dabei ging es Bosse immer nur um Neutralität. Und dem Stadtrat darum, angesichts durchaus berechtigter Vorbehalte gegen den Ditib-Träger, Einfluss auf den islamischen Kulturverein nehmen zu können.
"Treten Sie zurück, bevor wir Sie aus dem Amt jagen." So klingen die harmloseren Botschaften, die Bosse erreichen. Der Bürgerentscheid sei offensichtlich ein Ventil gewesen, sagt Bosse. Auf dem Portal des islamfeindlichen Wanderpredigers Michael Stürzenberger wurde Bosses Kontakt veröffentlicht. Stürzenberger hatte im Vorfeld des Bürgerentscheids zwei Kundgebungen in Kaufbeuren abgehalten und zum "Widerstand" gegen "den" Islam als "faschistische Ideologie" aufgerufen. "Da habe ich dann bundesweit einen rechten Unmut abbekommen. Beleidigungen bis hin zu strafrechtlich relevanten Dingen“, sagt Bürgermeister Bosse.
Am heftigsten aber erwischt es eine andere: Die Krankenschwester Martina Wischhöfer. Sie sitzt für die SPD im Stadtrat Kaufbeuren. Als das Ergebnis für den Bürgerentscheid bekannt gegeben wird, antwortet sie auf die Frage des Morgen-Magazin-Moderators mit zittriger Stimme:
Es sind gerade einmal 20 Sekunden.
Es folgen Häme, Beleidigungen und Drohungen: Mehrere Versionen des Moma-Ausschnitts werden auf YouTube hochgeladen. Die meistgeklickte sehen mehr als 100.000 Menschen. Das Video geht viral. Auf der AfD-Seite Ostallgäu, bei der rechtsextremen NPD, in den üblichen ultrarechten Foren und Portalen für Verschwörungstheoretiker: Politikstube, PI-News, Journalistenwatch.com, Philosophia Perennis.
Äußern will sich Wischhöfer verständlicherweise nicht mehr.
"Überrascht hat diese Dimension alle", sagt Catrin Riedl. „Na klar, wer sich einsetzt, setzt sich aus.“ Aber das gehe darüber hinaus. Riedl sitzt ebenfalls für die SPD im Stadtrat und führt die Fraktion. Das sei heftig, was da gerade passiere. Und nennt ein Beispiel: Einmal habe sie eine weinende Stimme auf ihrem Anrufbeantworter gehört. Der Anrufer habe versucht, ihre Kollegin nachzuäffen.
Dass Politiker im Bund oder in führenden Positionen und auch Journalisten mittlerweile täglich solche Fanpost erhalten, ist das eine. Dass das auf lokaler Ebene passiert, hat allerdings eine andere Qualität.
Auch Oliver Schill, Fraktionschef der Grünen im Stadtrat Kaufbeuren, beobachtet das mit Sorge. "Das sind Grenzüberschreitungen." Die Post, die ihn erreicht, hat Namen und Adresse. Sie ist nicht mehr anonym. Die Schimpfenden schimpfen längst nicht mehr auf Distanz.
Einen "letzten Tipp" hat der Verfasser dann auch noch: "Verhalten Sie sich künftig unauffällig."
"Die Moschee war nur der Auslöser", sagt Schill. Es seien bereits bei den Bürgerentscheiden zuvor schon Grenzen überschritten worden. "Es gab keinen Dialog, sondern einen Austausch von Beleidigungen." Ein Anrufer meldet sich bei Scholl vor Kurzem mit: "Wer hat Ihnen denn ins Gehirn geschissen?"
Das, sagt Schill, sei keine Gesprächseröffnung.