Verfassungsschutz-Chef befürchtete Desinformation – und verbreitete deshalb Desinformation
12.09.2018, 08:3612.09.2018, 09:11
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Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen hat
seine Äußerungen im Zusammenhang mit rassistischer Gewalt in
Chemnitz mit der Sorge vor einer Desinformationskampagne begründet.
In seinem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden vierseitigen
Bericht an Innenminister Horst Seehofer (CSU) erhebt Maaßen schwere
Vorwürfe gegen den Twitter-Account"Antifa Zeckenbiss". Es sei davon
auszugehen, dass dieser das Video, das eine "Hetzjagd" belegen
sollte, vorsätzlich mit der falschen Überschrift "Menschenjagd in
Chemnitz" versehen habe, "um eine bestimmte Wirkung zu erzielen".
Maaßen nimmt in seinem Schreiben zu sechs Fragen des
Innenministeriums Stellung – es geht um ihm vorliegende Belege oder
Indizien, die aus seiner Sicht für eine "Nichtauthentizität" des
19-sekündigen Bildmaterials sprechen. In seinen Ausführungen äußert
sich Maaßen ausführlich zu den Beweg- und Hintergründen seines
Interviews in der "Bild"-Zeitung vom 7. September.
Deutlich wird aber
auch, dass er keinen Anlass sieht, sich grundsätzlich von seinen
Äußerungen zu distanzieren. Nicht er, sondern der Urheber des Videos
habe zu belegen, dass damit "'Hetzjagden' in Chemnitz am 26. August
2018 dokumentiert werden".
Auf die Frage, was ihn vor dem Hintergrund laufender Ermittlungen in
Sachsen veranlasst habe, in der Öffentlichkeit eine Einschätzung
abzugeben, macht Maaßen deutlich, dass er Sachsens
Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) unterstützen wollte.
Anlass sei die Regierungserklärung Kretschmers gewesen, "in der er
feststellte, dass es keine Hetzjagd in Chemnitz gab". Diese
Feststellung entspreche auch den Erkenntnissen aller zuständigen
Sicherheitsbehörden, nämlich der sächsischen Polizei, der
Staatsanwaltschaft, des Landesamtes für Verfassungsschutz und der
Bundespolizei sowie des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV)
selbst.
#wirsindmehr – die Bilder des Konzerts
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#wirsindmehr – die Bilder des Konzerts
65.000 Menschen kamen nach Chemnitz
Angesichts dessen habe er es für richtig gehalten, "die bisherige
Berichterstattung über angebliche 'Hetzjagden' zu bewerten". Die
Zuständigkeit des BfV umfasse "auch die Aufklärung von
Desinformation" und sei "unabhängig von den Zuständigkeiten und
Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden".
Hans-Georg MaaßenBild: X02197
Maaßen betont, er habe "in keiner Weise in Zweifel gezogen, dass es
von Rechtsextremisten organisierte und durchgeführte Demonstrationen
und Straftaten in Chemnitz gab". Zugleich erklärt der BfV-Präsident,
anders als von Medien berichtet, habe er "zu keinem Zeitpunkt
behauptet, dass das Video gefälscht, verfälscht oder manipuliert
worden ist". Hätte er dies zum Ausdruck bringen wollen, hätte er auch
die entsprechenden Worte gewählt, schreibt Maaßen. Er habe dagegen in
Frage gestellt, dass das betreffende Video "authentisch" eine "Menschenjagd in Chemnitz" am 26. August belege.
Ein geleakter Polizeibericht lässt andere Schlüsse zu, als Maaßen und Kretschmer sie ziehen:
Verfassungsschutz hat keine Ahnung, wer "Antifa-Zeckenbiss" ist
Wer sich hinter "Antifa Zeckenbiss" verberge, sei dem BfV nicht
bekannt, schreibt Maaßen. Der Nutzer sei seit Oktober 2017 in
diversen sozialen Netzwerken aktiv und äußere regelmäßig linke und
linksextreme Ansichten. "Antifa Zeckenbiss" sei bislang kein
Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Es könne zudem "nicht ausgeschlossen
werden, dass es sich um eine Person, Gruppe oder Organisation
handelt, die nichts mit der linken oder linksextremistischen Szene zu
tun hat". Falls die Veröffentlichung des Videos nicht einen linken
Hintergrund haben sollte, komme als Motiv "auch ein Anheizen der
Stimmung in der Öffentlichkeit in Frage".
Maaßen wiederholt seine umstrittene These, falls "Antifa Zeckenbiss" der linksextremistischen Szene angehöre, "könnte es auf Grund der
bestehenden politischen Interessenlage der Szene möglich sein, dass
die Falschetikettierung des Videos dem Ziel diente, die öffentliche
Aufmerksamkeit von dem Tötungsdelikt abzulenken und auf angebliche
rechtsextremistische 'Hetzjagden' hinzulenken".
Seine Ausführungen verbindet Maaßen mit Erkenntnissen des BfV zum
Einsatz von Falschinformationen durch extremistische Gruppen. So
würden soziale Netzwerke von diesen "regelmäßig dazu genutzt,
bestimmte Stimmungen zu erzielen oder anzuheizen". Dazu bediene man
sich auch einer übertriebenen oder verzerrten Darstellung von
Tatsachen "bis hin zu Entstellungen der Faktenlage". Dabei würden
häufig Texte, Fotos und Videos in falschem Zusammenhang verwendet.
Seehofer hatte von dem ihm unterstellten Verfassungsschützer
Aufklärung verlangt, auf welche Indizien dieser seine öffentlich
geäußerte Skepsis zu Berichten über "Hetzjagden" in Chemnitz und den
Vorwurf von möglicherweise gezielten Falschinformationen stütze. Am
Nachmittag muss sich Maaßen im Bundestag in zwei Ausschüssen
erklären. Mit Spannung wird erwartet, ob Seehofer ihn trotz
Rücktrittsforderungen von SPD, Grünen und Linken sowie scharfer
Kritik auch aus den Reihen der CDU im Amt belässt.
(sg/dpa)
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