Ein Quantensprung sei es gewesen, da war sich Franz Josef Strauß sicher. Zwischen den Generationen sei die SPD plötzlich ins Linksradikale gekippt, sagte Strauß 1986. Und der Saal lachte begeistert.
Ja, das waren noch andere Zeiten. Als Strauß beim politischen Aschermittwoch in Niederbayern am Rednerpult stand, schwitzend gegen Sozialisten und Kommunisten wetterte, unter johlendem Applaus eines bierseligen Publikums. Lang ist's her. Als "politisches Hochamt der CSU" sehen die Christsozialen den Aschermittwoch zwar immer noch. Doch der Aschermittwoch von heute hat nicht mehr allzu viel mit dem Aschermittwoch von früher gemein.
Tatsächlich verbinden viele den Aschermittwoch mit CSU-Übervater Strauß. Kein Wunder, schließlich trat dieser zwischen 1953 bis zu seinem Tod 1988 insgesamt 35 Mal als Redner auf – als CSU-Generalsekretär, Bundesminister, Ministerpräsident, CSU-Chef. Und bei Strauß ging es in der Regel kräftig zur Sache. 1975 zum Beispiel, da schleuderte er der damaligen SPD/FDP-Bundesregierung entgegen, diese hätte in Deutschland einen riesigen "Saustall" angerichtet.
Er wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Und die Geburtsstunde war nicht in Passau, wo die CSU inzwischen Jahr für Jahr zu Gast ist, sondern im niederbayerischen Vilshofen. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich dort an diesem Tag die Bauern zum Viehmarkt getroffen. Dabei feilschten sie nicht nur um Tierpreise, sondern nahmen beim Bier auch die königlich-bayerische Regierung ins Visier. 1919 lud der bayerische Bauernbund anlässlich des Viehmarkts dann erstmals zu einer Kundgebung – das Politspektakel war geboren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der politische Aschermittwoch von der Bayernpartei wiederbelebt, die ihre Veranstaltung zu deftigen Angriffen auf die CSU nutzte. Die stieg wenig später in die Tradition ein: Am 18. Februar 1953 lud die CSU zu ihrer ersten Aschermittwochs-Kundgebung: in den "Wolferstetter Keller" in Vilshofen. Strauß, damals CSU-Generalsekretär, war einer der Redner.
Das Traditionslokal war am Aschermittwoch viele Jahre lang die Heimat der CSU – und proppenvoll. So voll, dass die CSU 1975 schließlich in die Passauer Nibelungenhalle ausweichen musste. "Vilshofen müssen wir jetzt denen überlassen, die es schwer haben, den kleinen Saal dort zu füllen", spottete Strauß unter lautem Gelächter. Er meinte die SPD.
Heute ist der politische Aschermittwoch längst ein mediales Politspektakel, das keine Partei, die etwas auf sich hält, auslassen kann. Nicht nur CSU und SPD und nach wie vor die Bayernpartei laden ihre Anhänger an diesem Tag in der Regel nach Niederbayern ein, sondern auch Grüne, FDP, Linke, Freie Wähler, AfD und ÖDP.
Auch in einigen anderen Bundesländern ist der politische Aschermittwoch ein kleiner Exportschlager geworden. Kanzlerin Angela Merkel beispielsweise trat in den vergangenen Jahren immer am Abend im mecklenburgischen Demmin auf. Diesmal tritt dort die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in Merkels Fußstapfen.
Aber hat sich die Tradition des politischen Aschermittwochs nicht längst überholt? Seit einigen Jahren schon wird diese Frage immer wieder aufs Neue gestellt und diskutiert – nicht erst, seit bei der CSU Horst Seehofer ans Rednerpult musste, der mit dem Aschermittwoch nie warm wurde.
Tatsächlich hat sich das Wesen der Veranstaltung insgesamt deutlich gewandelt.
Meist stehen bei den verschiedenen Parteien nicht mehr einzelne große Reden im Mittelpunkt (wie bei Franz Josef Strauß oder Edmund Stoiber), sondern es gibt teils lange Rednerlisten. Doch nur die prominentesten Redner oder die knackigsten Zitate schaffen es von Niederbayern in die bundesweiten Nachrichten – und das ist die einzige Währung, die für viele Parteistrategen zählt.
In diesem Jahr dürfte der politische Aschermittwoch unter anderem im Zeichen der bevorstehenden Europawahl stehen. Deshalb spricht etwa bei der CSU nicht nur Neu-Parteichef und Ministerpräsident Markus Söder, sondern auch der europaweite EVP-Spitzenkandidat und CSU-Vize Manfred Weber. Der kennt sich als ehemaliger niederbayerischer CSU-Bezirkschef zwar aus mit dem politischen Aschermittwoch – und ist doch ein Politiker der leiseren Töne geblieben.
Es könnte also auch bei der CSU wieder ein Aschermittwoch mit angezogener Handbremse werden in der Passauer Dreiländerhalle, einer gesichtslosen Messehalle, in der die CSU seit einigen Jahren zu Gast ist. Doch, und das gilt für Fans und Kritiker des politischen Aschermittwochs gleichermaßen: Nach ein paar Stunden ist wieder alles vorbei.
(mbi/Christoph Trost, dpa)