Der Fußball kann der Politik dieses Mal nicht helfen. Deutschland ist raus bei der WM, sogar schon in der ersten Runde. Manchmal passiert eben Unvorstellbares. Nicht nur im Fußball.
Für Angela Merkel geht es um viel, wenn sie am Donnerstag zum EU-Gipfel nach Brüssel reist. Die Kanzlerin braucht eine europäische Einigung in der Flüchtlingspolitik. So hat sie es angekündigt.
In einer Regierungserklärung am Donnerstagmorgen forderte Merkel deshalb für ihre Verhältnisse laut ein einheitliches Europa. Den kommenden Gipfel erhob sie zum Schicksalstreffen:
Klare Ergebnisse, vor allem in der Grenzfrage, muss sie liefern. So will es die CSU. Sonst droht sie mit Alleingängen, mit unabsehbaren Konsequenzen – für die Union. Und für die Kanzlerin.
Über Jahre hinweg hat Merkel auf den EU-Gipfeln die Politik bestimmt. Nun ist sie selbst plötzlich abhängig von Europa.
Die Kanzlerin und ihre EU-Politik – ein Blick auf das Asyltreffen und 5 weitere ihrer Schicksalsgipfel in Brüssel.
Jahrelang war es Angela Merkel, die das Schicksal in Europa entscheidend bestimmte, nun bestimmt Europa über Merkels Schicksal mit.
Die Kanzlerin sucht nach entscheidenden Reformen im EU-Asylrecht. Sonst droht Bundesinnenminister (und CSU-Chef) Horst Seehofer mit einseitigen Grenzschließungen. Seehofer versuchte, den Konflikt am Mittwochabend in der ARD zu entschärfen. "Wir wissen, wie man verantwortlich mit der Situation umgeht", so Seehofer.
Vom Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel sind nur kleine Fortschritte zu erwarten. Unklar ist, ob das reicht für die Kanzlerin in Europa. Und für ihre Auseinandersetzung mit Horst Seehofer.
Wieder Sommer, wieder eine entscheidende Frage: Soll Griechenland im Euro bleiben? Merkels Finanzminister Wolfgang Schäuble war für Abschied, die Kanzlerin entschied auf Bleiben. Und hatte einen wichtigen Helfer: EU-Ratspräsident Donald Tusk.
In der entscheidenden nächtlichen Runde im Juli 2015 wollte Griechenlands Premier Alexis Tsipras schon den Raum verlassen, das wäre das Ende im Euro gewesen. Ratspräsident Tusk stellte sich ihm kurzerhand in der Tür in den Weg. Tsipras machte kehrt, sein Land blieb im Euro.
Merke: Man braucht Verbündete – nicht nur in Brüssel.
Noch ein Gipfel im Juni, noch ein Schicksalstag. Im Halbfinale der EM kickt Italiens Stürmer Balotelli die DFB-Elf aus dem Turnier, in Brüssel berieten der EU-Staats- und Regierungschefs zeitgleich mal wieder über die Euro-Krise.
Der Gipfel dauerte. Lange. Die Sonne blinzelte schon am nächsten Morgen, als Italiens Premier Mario Monti vor die Presse trat und Hilfen für die kriselnden Banken versprach.
Die Kanzlerin war in der Nacht ohne Pressestatement ins Hotel abgerauscht. Und sie war überrumpelt von Monti und den Ländern des Südens.
"Morgengrauen" wurde der Gipfel noch jahrelang in Berlin genannt. Merkel hat ihre Lehren gezogen. Sie beendet seither keinen Gipfelabend ohne ein eigenes Pressestatement. Worte sind Deutungshoheiten.
Merke: Die Kanzlerin lernt – auch aus Niederlagen.
Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy war Angela Merkel nie ganz geheuer. Angeblich studierten sie im Kanzleramt Filme des Komikers Louis de Funès, um den hippeligen französischen Präsidenten zu verstehen.
Es brauchte ein wenig, bis das Duo Merkozy geboren war. Der Anfang liegt in der Eurokrise. Merkel und Sarkozy trafen sich im Oktober 2010 im französischen Seebad Deauville und entwickelten beim Strandspaziergang den Rettungsschirm.
Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker wusste von nix und empörte sich: "Der Stil ist schlicht unmöglich." Fortan aber galt nicht nur für die Euro-Krise: Notfalls macht’s die Kanzlerin auch im Alleingang.
Angela Merkel kam 2005 ins Kanzleramt. In Europa war wieder mal Krise, die angestrebte EU-Reform war in Frankreich und Holland in Referenden gescheitert. Europa musste sich neu sortieren.
Es kam der Vertrag von Lissabon und die schwierige Frage, wie viel Stimmgewicht jedes Land in der EU erhalten sollte. Vor allem Polens Premier Jaroslaw Kaczyński beharrte auf Einfluss und einer komplexen Formel mit der Quadratwurzel aus der Einwohnerzahl eines Landes.
Merkel zeigte sich auf dem Juni-Gipfel 2007 nachsichtig, ebenso wie später bei den schwierigen EU-Etatberatungen.
Merke: Als Novizin gab Merkel die erfolgreiche Vermittlerin.
Bei CDU-Kanzler Helmut Kohl (1982-98) war alles noch einfach. Die Walz aus der Pfalz löste europäische Fragen mit Wucht – und mit Geld. So war das im Zeitalter der Scham, als der Zweite Weltkrieg (und die deutschen Versprechen) noch unausgesprochen die deutsche Europapolitik bestimmten.
Für SPD-Regierungschef Gerhard Schröder (1998-2005) war das anders. Europa zählte hier wie manch anderes zum "Gedöns". "Die verbraten unser Geld", maulte Schröder über die EU. Also galt: Rausholen, was möglich ist.
Merkel sah Europa immer sehr pragmatisch. Und sie machte, was sie gerne tut. Zu warten, bis der Gegenüber die Geduld oder die Nerven verliert. Dieses Mal ist anders. Merkel braucht eine Lösung. Eine neue Rolle für sie in Brüssel.
(mit dpa)