Dieses Bild ging um die Welt: Das Fachwerkhaus der türkischen Familie Genç ist ausgebrannt, die Fassade rußgeschwärzt, das Dach nur noch ein Gerippe aus schwarzen Balken. Das Foto entstand am 29. Mai 1993, dem Samstag, an dem die rassistische Gewalt nach Rostock, Hoyerswerda und Mölln einen neuen Namen bekam: Solingen.
Bei dem Brandanschlag wurden fünf Mädchen und Frauen zwischen vier und 27 Jahren getötet. Vier junge Rechtsextremisten hatten das Haus in Brand gesetzt. 1995 wurden sie zu langen Freiheitsstrafen verurteilt.
Zum 25. Jahrestag des Attentats wird am Dienstag in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf und in Solingen der Opfer gedacht. Angela Merkel, Außenminister Heiko Maas und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet nehmen an den Gedenkfeiern teil. Auch der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu ist aus der Türkei angereist.
Er war fünf Jahre alt, als das Haus der Familie Genç angezündet wurde und wohnte keine 15 Kilometer entfernt in Remscheid.
20 Jahre später verarbeitete er den Brandanschlag in seinem Dokumentarfilm "93/13". "Ich wusste, dass ich etwas machen muss, vielleicht auch als Eigen-Therapie", sagt er.
Im watson-Interview erzählt der Filmemacher, wie der Anschlag von Solingen sein Leben beeinflusst hat.
Du wurdest 1988 in der Nachbarstadt Remscheid geboren und warst, als der Brandanschlag in Solingen verübt wurde, noch ein kleines Kind. Welche Bedeutung hatte der Anschlag für dich in deiner Kindheit und Jugend?
"Es war für mich definitiv ein Trauma-Erlebnis. Genauso für viele meiner Familienmitglieder und alle Menschen um mich herum. Als ich später mein Abi in Solingen gemacht habe, habe ich gemerkt, dass ich diese Geschichte nie vergessen habe. Spätestens mit der Aufdeckung der NSU-Mordserie ging die Wunde wieder auf."
Als Fünfjähriger versteht man vermutlich noch nicht so richtig, was da gerade passiert. Wie hast du das damals wahrgenommen?
"Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es damals türkische Jugendliche in meiner Stadt gab, die nach Solingen gefahren sind. Die hatten sich für diesen Tag extra T-Shirts machen lassen, mit dem ausgebrannten Haus drauf.
Obwohl wir in Remscheid im fünften Stock wohnten, habe ich damals bestimmte Symbole aus der Nähe meines Fensters entfernt, um nicht als Türke aufzufallen. Ein Emblem meiner türkischen Lieblingsfußballmannschaft zum Beispiel. Das finde ich schon sehr absurd, wenn ich heute daran zurückdenke."
Der Anschlag in Solingen war Teil einer ganzen Serie rassistischer Brandanschläge und Gewalttaten in Deutschland. Hat sich unsere Gesellschaft seitdem verändert?
"Ja, und zwar in beide Richtungen. Wir haben innerhalb der Gesellschaft eine gewisse Sensibilität aufbauen können – egal ob man einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Anschläge wie der in Solingen waren ein wichtiges Ereignis für ganz viele Menschen in Deutschland. Als ich Cem Özdemir für meinen Film interviewt habe, hat er mir gesagt, dass das für ihn der Grund war, in die Politik zu gehen.
Aber unterm Strich haben wir immer noch Extremismus in alle Richtungen, der sich weiter ausbreitet und stärker wird."
Begleitet dich die Angst, selber Opfer rassistischer Gewalt zu werden, heute immer noch?
"Nein, überhaupt nicht. Ich habe in meinen 30 Jahren hier in Deutschland nicht im Ansatz physische Gewalt erlebt. Natürlich gibt es hin und wieder vorurteilsbelastete Sprüche oder so. Das hängt aber auch davon ab, wo man lebt, wie man lebt und in welchem Umfeld. NSU und rechter Terror sind natürlich ebenfalls eine Realität, in der wir uns befinden. Ich denke aber, dass diese Art von Ängsten uns nicht zu sehr beeinflussen sollte."
Heute wird – sehr öffentlichkeitswirksam – den Opfern von Solingen gedacht. Erhalten die Betroffenen rassistischer Gewalt in Deutschland auch sonst genug Unterstützung?
"Das kann ich im Detail nur schwer einschätzen. Aber ich glaube, dass die Opfer von Anschlägen wie in Rostock-Lichtenhagen, Mölln oder Solingen zumindest an den Gedenktagen schon den nötigen Respekt bekommen. In Solingen beharrt die türkische Community auch sehr stark darauf, das aufrecht zu halten und in die Medien zu tragen.
Egal wie nah wir dem sind, geografisch oder emotional. Egal ob jemand Deutscher oder Türke ist. Niemand von uns kann es nachvollziehen, was die Opfer dieser Anschläge empfinden. Aber wenigstens an den Gedenktagen sollten wir daran erinnern. Das ist auch ganz wichtig, um aus der Vergangenheit lernen zu können."
(mit afp)