Der Sieg Donald Trumps bei der US-Wahl kommt für viele Menschen in Europa Tiefschlag gleich. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen könnte es in den USA jetzt ungemütlich werden: Betroffen sind von den Frauen über Minderheiten und Homosexuellen bis hin zu Personen mit Vorerkrankungen viele.
Der potenziellen Willkür des alten und neuen US-Präsidenten sind aber nicht nur US-Amerikaner:innen ausgeliefert. Denn die USA waren bisher die größten Unterstützer der Ukraine im Krieg gegen Russland. Die ersten, die den Machtwechsel in den USA am eigenen Leibe zu spüren bekommen könnten, sind wahrscheinlich ukrainische Frontsoldaten.
In der zweitgrößten Zeitung des Landes kamen einige von ihnen zu Wort. Sie schwanken zwischen Verzweiflung, Zweckoptimismus und Gelassenheit.
Dem "Kyiv Independent" gegenüber brachten fünf Mitglieder des Militärs ihre Zweifel, Ängste und Überzeugungen zur Sprache. Juri*, der mit 52 Jahren noch an der Front im südostukrainischen Saporischschja dient, zeigte sich pessimistisch in Bezug auf Donald Trumps Wahlsieg: "Ich glaube nicht an das Wunder von Trumps Fähigkeit, Putin in Angst zu versetzen."
Juri fürchtet gravierende Auswirkungen der US-Wahl auf den weiteren Verlauf des Kriegs in der Ukraine. "Es könnte zu einem Desaster kommen, wenn er wieder so seltsame Entscheidungen trifft, wie wir es zuvor bei ihm beobachtet haben." Als Beispiel der Trump'schen Volten nennt er dessen frühere Andeutungen, die Nato verlassen zu wollen.
Wie wichtig das Rennen ums Weiße Haus für den Krieg gegen Russland ist, untermauert mit dem 44-jährigen Sergej* ein weiterer Soldat: "Die ganze Ukraine hat auf diese Wahl gewartet, als wäre sie ihre eigene." Er fürchtet, die Unterstützung des wichtigsten militärischen Partners zu verlieren: "Es ist klar, dass uns die Demokraten mehr unterstützt haben."
Doch komplett verantwortlich will er den Machtwechsel in Washington für den potenziellen Ausgang des Krieges nicht machen: "Wir waren nicht Teilnehmer, sondern nur Beobachter." Nun müsse man sich ein Stück weit emanzipieren, vom Einfluss des Weißen Hauses Abstand nehmen.
Sergej ruft zur Selbstverantwortung auf: "Wir müssen uns zuerst auf uns selbst verlassen, nicht auf jemand anders, (...) nur auf uns selbst."
Weiter in die Zukunft blickt der 35 Jahre alte Unterfeldwebel Spys*. Er glaubt nämlich nicht Donald Trumps überhebliches Wahlkampfversprechen, den Krieg innerhalb seines ersten Tags im Amt zu beenden. "Wenn der Krieg jetzt zu Ende geht, wird er dann in zehn oder zwanzig Jahren wieder beginnen?"
Seine Befürchtung ist, dass das Einfrieren des Krieges zu einem ständig köchelnden Konflikt führen würde. Das würde "für die Ukraine und all seine Verbündeten eine Niederlage bedeuten".
"Will ich, dass der Krieg aufhört?", fragt Spys rhetorisch und liefert die Antwort selbst:
Eine Stufe höher in der Hierarchie steht der Offizier Myroslav Hai. Er versucht, der Situation Gutes abzugewinnen. Gleich mehrere positive Aspekte hat Hai in Trumps Wahl gefunden: "Trump war der Präsident, der einen großen Luftwaffenstützpunkt der Russen in Syrien zerstört hat", zählt er auf.
Außerdem habe Trumps Regierung einst die Freigabe für die sogenannten Javelins, also Panzerfäuste mit Lenkraketen erteilt. "Das öffnete die Tür für die anderen Verbündeten, uns Waffen zu liefern."
Zudem verlässt sich Hai unabhängig vom Amtsinhaber im Weißen Haus auf die Solidarität des amerikanischen Volkes "in der Schlacht um Freiheit und Demokratie". Hinzu kommt laut Hai die "große Diaspora" ukrainischer Auswanderer in den USA. "Die sind sehr in die Politik involviert und werden uns helfen."
An die Busenfreundschaft zwischen Putin und Trump glaube er ohnehin nicht. Wenn der US-Präsident Russlands Machthaber überhaupt leiden könne, dann höchstens "wie einen Gegner im Boxen".
Oleksej*, der einer Panzerbrigade als Sanitäter untersteht, macht aus seinem Misstrauen keinen Hehl. Er sagt: "Ich vertraue unseren Politikern nicht, weil sie überraschende Sachen machen. Das gilt für Donald Trump doppelt."
Einen weiteren Aspekt des Machtwechsels bringt der verwundete Scharfschütze Bart* zur Sprache. Denn die bisherige Unterstützung aus den USA war seiner Meinung nach ein Offenbarungseid: "Biden und seine Regierung sind ohnmächtig", glaubt er. Unter seiner Führung sei das Land von einer "Supermacht" abgestiegen zu einem Zustand, an dem man Unrecht einfach toleriere.
Von Trump verspricht sich Bart Grünes Licht für weitreichendere Attacken. "Zum Beispiel, um auf russisches Territorium mit dem ATACMS-Waffensystem zu feuern, oder eine ernstzunehmende Reaktion auf die Entsendung nordkoreanischer Truppen". Eine Einschränkung macht Bart aber doch: "Vielleicht bin ich ja nur ein Optimist."
*Namen abgeändert