Auch die Ukraine macht von Häftlingen als Ressource für die Front Gebrauch.Bild: imago images / NurPhoto
Ukraine
Dass der russische Machthaber Wladimir Putin auch verurteilte Serienmörder und sogar Kannibalen an die Front schickt, ist kein Geheimnis. Doch nicht nur Russland setzt auf verurteilte Straftäter im Ukraine-Krieg. Denn die Ressourcen sind begrenzt.
Auch die Ukraine macht von Häftlingen als Ressource für die Front Gebrauch. Allerdings gibt es dort Einschränkungen, wie ein aktueller Bericht zeigt. Darin kommen die ehemaligen Häftlinge zu Wort und geben Einblicke in ihr Leben und der Front.
Ukraine: Soldaten hoffen durch Krieg auf neue Chance im Leben
Einige der Männer haben jahrelang hinter Gittern verbracht und sehen im Militärdienst eine Chance auf Wiedergutmachung und ein neues Leben. In den Wäldern nahe Pokrowsk sind einige von ihnen für das Shkval-Bataillon der 59. Brigade im Einsatz.
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Die 15 Infanteristen der Einheit haben demnach die unterschiedlichsten Verbrechen begangen, von Raub bis hin zu schwerer Körperverletzung. Jetzt kämpfen sie an vorderster Front gegen die russischen Invasionstruppen.
Verurteilte Straftäter sehen im Militärdienst eine Chance auf Wiedergutmachung und ein neues Leben.Bild: imago images / ZUMA Wire
Für die meisten ist dieser Einsatz dem Bericht zufolge nicht nur eine Möglichkeit, ihre Freiheit zurückzugewinnen, sondern auch eine Art Neuanfang. Vitaly ist 41 Jahre alt und einer davon. Einst Drogensüchtiger und Vater von fünf Kindern, will er nach Jahren im Gefängnis ein neues Kapitel aufschlagen. "Ich muss ein neues Leben beginnen. Es ist besser, hier nützlich zu sein, mit Brüdern zusammen zu kämpfen", sagt er dem Sender CNN.
Vitaly hat nach einer 21-tägigen Ausbildung bereits drei Monate im Schützengraben hinter sich und räumt ein, dass er den Krieg unterschätzt hat: "Das Leben hier ist hart, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so hart sein würde." Trotz der schwierigen Bedingungen bedauert er seine Entscheidung nicht.
Ukraine-Krieg: Sexualstraftäter werden nicht rekrutiert
Das ukrainische Verteidigungsministerium startete im Juni eine Initiative, die es Strafgefangenen erlaubt, in der Armee zu dienen. Die Belohnung: Freiheit nach dem Ende des Krieges. Diese Initiative ist Teil eines umfassenden Versuchs, die schrumpfenden Reihen der ukrainischen Streitkräfte aufzufüllen.
Allerdings gibt es strikte Einschränkungen: Verurteilte wegen sexueller Gewalt dürfen nicht in die Armee aufgenommen werden. Häftlinge, die wegen anderer Straftaten, wie Mord, verurteilt wurden, könnten jedoch, laut Aussagen des Shkval-Bataillons, bald ebenfalls rekrutiert werden. Denn man glaubt offenbar, dass sie über wertvolle Fähigkeiten für das Schlachtfeld verfügen könnten.
Laut offiziellen Angaben wurden bisher 4.650 Häftlinge, darunter 31 Frauen, freigelassen und in die Armee einberufen. Von den 5.764 Sträflingen, die sich gemeldet haben, ist jedoch nicht bekannt, wie viele tatsächlich an der Front kämpfen.
Ukraine-Soldat schildert tragische Momente von der Front
Das Leben als Infanterist in der Ostukraine ist besonders gefährlich. Soldaten wie Vitaly müssen sich nicht nur russischen Drohnenangriffen stellen, sondern auch den ständigen Gefahren bei Angriffen auf Schützengräben. Vitaly erinnert sich an einen besonders brutalen Drohnenangriff auf einen Kameraden: "Er wurde auseinandergerissen. Es ist so schwer, das mit anzusehen … aber man kann nichts tun."
Viele der Soldaten geben zu, dass sie während ihrer kurzen Ausbildung nicht ausreichend vorbereitet wurden. "Wir waren dumm und haben es nicht ernst genommen", sagt Vitaly. Auch andere Soldaten an der Front beklagen unzureichende Ausrüstung und die knappen Ressourcen. Ein anonymer Offizier berichtet, dass die besten westlichen Waffen in andere Gebiete umgeleitet wurden, was die Logistik und Evakuierung erschwere.
Der Kommandant der Einheit, Oleksandr, kennt sich mit seinen Männern aus – er war vor dem Krieg Gefängniswärter. Er sieht sich nicht nur als Kommandant, sondern auch als "Psychologe, Vater, Mutter, alles". Oleksandr ist CNN zufolge überzeugt, dass die Ex-Häftlinge über Fähigkeiten verfügen, die normalen Soldaten oft fehlen. "Die Sträflingssubkultur ist es gewohnt, zu überleben. Das bedeutet körperliche und moralische Ausdauer sowie Schlauheit und logisches Denken."
Ukraine-Krieg: Aufenthalt im Gefängnis bringt Vorteil an der Front
Oleksandr erwartet in den kommenden Wochen weitere 25 Häftlinge aus dem Gefängnis, in dem er früher gearbeitet hat. Für viele von ihnen sei der Militärdienst eine Möglichkeit, sich selbst zu rehabilitieren und ihre Familien zu rehabilitieren. "Sie haben Kinder, denen erzählt wird, ihr Vater sei ein Sträfling. Wenn er dann zur Armee geht, ist er kein Sträfling mehr, sondern ein Held", sagt Oleksandr.
Häftlinge haben nach Meinung Oleksandrs Fähigkeiten, die ihneen an der Front helfen können. Bild: AP / Evgeniy Maloletka
Pokrowsk, eine wichtige Versorgungsstadt für die ukrainischen Streitkräfte, liegt nur acht Kilometer von den russischen Linien entfernt. Die Stadt hat in den vergangenen Wochen eine zunehmend strategische Bedeutung erlangt, da die russischen Truppen auf dem Vormarsch sind. Sollte Pokrowsk fallen, könnte dies weitreichende Folgen für die ukrainischen Streitkräfte haben, die die Region verteidigen.
Trotz der schwierigen Lage glaubt Oleksandr, dass seine Einheit über spezielle Fähigkeiten verfügt, die sie von anderen Einheiten unterscheiden. Doch die Moral ist angeschlagen. Ein weiterer Offizier spricht offen über die Herausforderungen: "Die Moral schwindet, die besten Waffen sind woanders im Einsatz." Und dennoch bleibt die Moral möglicherweise die größte Hoffnung der Ukraine in diesem Krieg.
Mehr als zweieinhalb Jahre nach Wladimir Putins Ankündigung, Kiew innerhalb weniger Tage einzunehmen, setzt sich das Töten, Sterben und Verwunden an der ukrainischen Front ungebremst fort. Den gefährlichen Kampfeinsatz versüßt der russische Machthaber seinen Soldaten mit stetig steigenden Solden.