Bonn trägt am Donnerstag Kippa. Die Stadt setzt damit ein Zeichen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. In der Vorwoche war nahe der Bonner Universität der Gastdozent Yitzhak Melamed angegangen worden, weil er eine Kippa trug. Die hinzugerufene Polizei verwechselte ihn mit dem Angreifer und soll ihn nach Melameds Darstellung mehrfach geschlagen haben.
Der Hamburger Polizeiwissenschaftler Rafael Behr hat sich intensiv mit Polizeigewalt beschäftigt. Ein Gespräch über die harte Linie der Polizei, die fehlende Fehlerkultur nach dem G20-Gipfel in Hamburg und die Verschärfung der Polizeigesetze in Polizeigesetze in Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Herr Behr, Sie
unterscheiden in Ihrem Buch zwischen "Polizeikultur" und "Cop
Culture". Können Sie das näher erläutern?
Polizeikultur
beschreibt das offizielle Leitbild der Polizei, so wie die Gesetze und die
Führungsspitze die Polizei sieht oder gerne sehen möchte, also „Hüter des
Rechts“ oder „Freund und Helfer“. Das ist das offizielle Bild der
Führungsspitze. Cop Culture beschreibt die Alltagswelt an der „Front“, wie
viele Polizisten den Streifendienst auf der Straße noch immer nennen. Das ist
die raue Alltagswelt an der Basis, die auch die Handlungen prägt: „Wie eng
schließen die Handschellen?“, „Wann beginnt der Schmerz?“, „Wann höre ich auf?“. Und vor allem geht es dort um den Zusammenhalt in einer Gefahrengemeinschaft.
Die Alltagswelt an der Basis hat zuletzt viele aufgeschreckt. In Bonn wurde ein Gastprofessor wegen seiner Kippa attackiert, er wurde versehentlich festgenommen und malträtiert.
Wie bewerten Sie den Vorfall?
Es handelt sich hier um einen Sonderfall, weil der
Betroffene sich sehr gut ausdrücken kann und als Professor ein hohes soziales Ansehen
hat. Grundsätzlich ist zu fragen, was wäre, wenn es sich bei dem Opfer um einen
Obdachlosen handelt. Was tatsächlich passiert ist, kann ich aus der Ferne nicht beurteilen.
Melamed hat Anzeige erstattet, die betroffenen Polizisten sollen versucht haben, ihn davon abzubringen. Amnesty International hat in einer Studie zur
Polizeigewalt eine Mauer des Schweigens beklagt. Wie lässt sich dieser
Korpsgeist durchbrechen?
Mir gefällt der Ausdruck Korpsgeist nicht, Korps
kommt ursprünglich aus dem Französischen und Schweizerischen und beschreibt
einen Körper. In Deutschland ist mir der Begriff zu militärisch aufgeladen. Ich
bevorzuge den Begriff „Code of Silence“ – die Mauer des Schweigens. Und da sagt
die Cop Culture: „Ein Kollege wird nicht belastet.“ Die Bonner
Polizeipräsidentin hat sich ja umgehend entschuldigt, die betroffenen Beamten
schweigen. Auch hier steht oben gegen unten.
Wie lässt sich diese Mauer durchbrechen? Die englische Polizei
kennt eine Art Ombudsmann.
Das ist in der Tat schwierig. Sie haben bei der
Polizei nur den Polizeiseelsorger oder den psychosozialen Dienst. Wenn Sie mit
Religion nicht viel zu tun haben, wird das schwierig, weil alle anderen Stellen
innerhalb der Polizei unmittelbar dem Strafverfolgungszwang unterliegen. Da ist
Fehlerkultur schwierig. Und auch die Befreiung vom Gruppendruck oder vom schlechtem Gewissen gelingt nur schwer.
Wäre es sinnvoll bei den Länderpolizeien nach Vorbild des
Wehrbeauftragten einen Polizeibeauftragten einzurichten?
Den fordern wir schon lange. Der
Polizeibeauftragte hätte nicht nur die Aufgabe, gegen die Polizei zu
ermitteln, sondern auch intern eine Möglichkeit anzubieten, auf
Fehlentwicklungen hinzuweisen.
Sie unterrichten selbst an der Polizeiakademie. Wieviel Raum nimmt da
die Ethik ein?
Die Ausbildung dauert drei Jahre, die eine Hälfte
Theorie, die andere Hälfte Praxis. Zusammen für Ethik, Soziologie und Kriminologie
kommen da maximal 200 Stunden zusammen. Von ca. 3.000 Stunden Studiendauer.
Und wie ist das Standing der Fächer?
Ich nenne das mal Blumenfächer, wie viele das
noch von Ethik und Philosophie in der Schule kennen. Aber ich versuche den
Fächern schon ihre Bedeutung zu verleihen. Es geht nicht nur um
Handlungssicherheit im Dienst, sondern um eine moralische Haltung als Polizist
und Polizistin.
Gibt es denn für diesen Bereich auch Weiterbildungen? Wenig – und wenn, dann freiwillig. Wer in der Praxis angekommen ist, kriegt zunächst technische Fortbildungen: PC, Recht, Technik zum Beispiel. In der Schweiz ist das anders. Die Kantonspolizei Zürich etwa schult auch permanent in Ethik-Fragen nach.
Die Polizei steht derzeit unter Druck. Im Fall Sami A. etwa
begleiteten Polizisten den Flug nach Tunesien, der abgelehnte Asylbewerber
wurde überstellt, obwohl noch während des Flugs eine gegenteilige
Gerichtsentscheidung überstellt wurde. Im Fall der ermordeten Schülerin
Susanna in Wiesbaden reiste der Chef der Bundespolizei persönlich in den Irak, um den Tatverdächtigen auszufliegen – ohne Auslieferungsantrag. Täuscht der
Eindruck oder bleibt der Rechtsstaat auf der Strecke?
In beiden Fällen war das Ergebnis politisch
gewollt und das Recht wurde arg gedehnt. Da sind wir wieder bei Polizeikultur
und Cop Culture. Aber hier setzt ein Umdenken an der Führungsspitze ein. Der
Fall Daschner war bislang einmalig. Der Frankfurter Polizeivizepräsident, der
im Entführungsfall Metzler 2002 dem festgenommen Kidnapper Folter androhte, um
zu erfahren, wo das verschleppte Kind gefangen gehalten wird, hat bewusst das
Recht überschritten. Hier kam erstmals ein formales Fehlverhalten von oben.
Das
hat für heftige Diskussion in der Polizei gesorgt. Ich beobachte aber,
dass in der Sicherheitspolitik ein Umdenken einsetzt, das die tägliche
Polizeiarbeit an den Rand der Legitimität führt. Schauen Sie sich die
Polizeigesetze in Bayern und Nordrhein-Westfalen an, wo von „drohender Gefahr“ die
Rede ist und davon, dass die Polizei „robuster“ werden muss. Oder schauen wir
auf die juristische Aufarbeitung des G20-Gipfels.
Hat der G20-Gipfel die Ausbildung verändert?
Ja, ich denke schon. Da fast 30.000 Polizisten
davon erzählen können, „dabei“ gewesen zu sein, wird nun dieses Ereignis immer
zum Referenzpunkt für eine härtere Gangart genommen. In dem Sinne, in dem
berichtet wird: „Ich war beim Gipfel dabei – Ihr wisst ja nicht, wie schlimm das
damals war.“ Momentan ist in der Polizei ein Klima zu spüren, das Cop Culture sehr
viel Raum gibt.