Immer mehr Pflanzen erobern die Berggipfel – das ist leider kein gutes Zeichen
02.08.2018, 21:0202.08.2018, 21:02
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Arnika, Alpen-Löwenzahn, Alpen-Rispengras: Auf
europäischen Berggipfeln siedeln sich immer mehr Pflanzen an, die es
dort früher nicht oder nur selten gab. Schön, denkst du vielleicht. Werden die kargen Gipfel mal ein bisschen bunter. Der Hintergrund ist aber weniger erfreulich: "Dahinter steckt der
Klimawandel", sagt Manuel Steinbauer von der Universität
Erlangen-Nürnberg (FAU).
"Durch die Zunahme der Temperatur können sich neue oder mehr Arten auf den Gipfeln etablieren."
Manuel Steinbauer
Das sind Arnika-Blumen. Sie kommen inzwischen in vielen Gipfel-Regionen vor.Bild: imago stock&people
Steinbauer arbeitete mit an der Studie, an der mehr als 50 Forscher aus elf Ländern beteiligt waren. Sie haben nachgewiesen, dass die Artenvielfalt auf
Gipfeln in ganz Europa ansteigt. "Und die Etablierung von neuen Arten
beschleunigt sich mit der Zeit", sagt Steinbauer. In diesem Jahrzehnt – 2007 bis 2016 – haben sich auf den Bergen fünfmal so viele Arten
neu etabliert wie im gleichen Zeitraum vor 50 Jahren.
Grund dafür sei die Klimaerwärmung, die sich ebenfalls immer mehr
beschleunigt. Je wärmer Gipfel war,
desto größer die Zahl der Pflanzenarten dort. "Es
ist das erste Mal, dass man eine solche beschleunigte Reaktion auf
den Klimawandel für alpine Lebensräume nachweisen kann", sagt Sonja Wipf vom Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF), die ebenfalls an der Studie mitgewirkt hat.
Bisher sei dies vor allem von unbelebten Systemen wie Gletschern
bekannt.
Die Wissenschaftler zählten die Pflanzenarten auf 302 Berggipfeln in
den Alpen, Pyrenäen, Karpaten sowie in schottischen und
skandinavischen Gebirgen. Ihre Aufzeichnungen verglichen sie mit
älteren Erhebungen auf denselben Gipfeln. Dadurch können die Forscher
die Entwicklung über 145 Jahre nachvollziehen.
Diese Pflanzen machen sich auf den Gipfeln breit:
Alpenrispengras: Früher auf 84 Gipfeln zu finden, heute auf 162 Gipfeln. Höchster Fundort war früher auf knapp 3300 Metern, heute auf mehr als 3500 Metern.
Arnika: Früher auf keinem einzigen Gipfel aus dem Datensatz der Forscher, heute auf 14 Gipfeln.
Auf drei Alpengipfeln, auf denen es in den ersten Erhebungen um das Jahr 1920 gar keine Pflanzenarten gab, gibt es inzwischen mehr als zehn.
"Wenn man einen Gipfel hat, auf dem vorher keine Art war und jetzt
finden wir 15, ist da erst einmal nichts Negatives dabei", sagt der
Forscher. "Kritisch sind eher die Gipfel mit hochalpinen
Spezialisten, die langfristig potenziell verdrängt werden." Diese
Pflanzen haben sich an die rauen Bedingungen auf den Bergen perfekt
angepasst, wachsen etwa in den engsten Spalten und bei Kälte. Die
neuen Gipfel-Arten, sind tendenziell größer und somit
konkurrenzstärker sowie wärmeliebender als die ursprünglichen.
Und unter letzteren gibt es bereits Verlierer: Die Verbreitung des Bayrischen Enzians
etwa hat im Gegensatz zu den meisten anderen Arten etwas abgenommen.
Da er vor allem auf gutem, humusreichem Boden wächst, bekommt er
Konkurrenz von unten. "Die Sorge ist durchaus berechtigt, dass Arten
verdrängt werden", sagt Steinbauer.
Sehr selten, aber auch schon am Aussterben? Der Bayrische EnzianBild: imago stock&people
Steinbauer betont, obwohl die Gipfel fernab der menschlichen
Zivilisation seien, sehe man hier "einen direkten, messbaren Effekt
des durch den Menschen verursachten Klimawandels auf die Vegetation." Und der Effekt sei enorm. "Das trifft alle anderen Systeme auch – nur
wir können es auf den Gipfeln besonders gut nachweisen."
Auch für Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
ist die im Fachmagazin "Nature" veröffentlichte Studie ein "Alarmsignal":
"Wir hören oft vom Anstieg des Meeresspiegels und der Eisschmelze, die man heute schon sehen kann. Aber noch wichtiger ist, was mit den Ökosystemen passiert – also der Umwelt, in der wir leben, mit all ihren Lebewesen – und das wird meiner Ansicht nach viel zu wenig diskutiert."
Wolfgang Lucht
Die Studie zeige "eine äußerst besorgniserregende" Entwicklung, die
allen Ökosystemen bevorstehe, wenn der Klimawandel ungebremst
weiterläuft: "Man sieht, dass die Ökosysteme in Bewegung geraten – und zwar massiv." Diese komplizierten Netzwerke des Lebens könnten
sich zwar an manche Veränderungen anpassen, aber nur bis zu einem
gewissen Punkt. Danach bestehe die Gefahr von "Umstrukturierung,
Verdrängung, Aussterben". Lucht sagt:
"Es wird tiefgreifende Verluste geben im Wandel, weil die Veränderung für viele Arten zu schnell geht."
Wolfgang Lucht
Das heiße nicht, "dass nachher alles ausstirbt oder überall
die Wüste kommt. Aber die Erde wird nicht mehr diejenige sein, die
wir kennen", sagt Lucht.
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