Arnika, Alpen-Löwenzahn, Alpen-Rispengras: Auf europäischen Berggipfeln siedeln sich immer mehr Pflanzen an, die es dort früher nicht oder nur selten gab. Schön, denkst du vielleicht. Werden die kargen Gipfel mal ein bisschen bunter. Der Hintergrund ist aber weniger erfreulich: "Dahinter steckt der Klimawandel", sagt Manuel Steinbauer von der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).
Steinbauer arbeitete mit an der Studie, an der mehr als 50 Forscher aus elf Ländern beteiligt waren. Sie haben nachgewiesen, dass die Artenvielfalt auf Gipfeln in ganz Europa ansteigt. "Und die Etablierung von neuen Arten beschleunigt sich mit der Zeit", sagt Steinbauer. In diesem Jahrzehnt – 2007 bis 2016 – haben sich auf den Bergen fünfmal so viele Arten neu etabliert wie im gleichen Zeitraum vor 50 Jahren.
Grund dafür sei die Klimaerwärmung, die sich ebenfalls immer mehr beschleunigt. Je wärmer Gipfel war, desto größer die Zahl der Pflanzenarten dort. "Es ist das erste Mal, dass man eine solche beschleunigte Reaktion auf den Klimawandel für alpine Lebensräume nachweisen kann", sagt Sonja Wipf vom Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF), die ebenfalls an der Studie mitgewirkt hat. Bisher sei dies vor allem von unbelebten Systemen wie Gletschern bekannt.
Die Wissenschaftler zählten die Pflanzenarten auf 302 Berggipfeln in den Alpen, Pyrenäen, Karpaten sowie in schottischen und skandinavischen Gebirgen. Ihre Aufzeichnungen verglichen sie mit älteren Erhebungen auf denselben Gipfeln. Dadurch können die Forscher die Entwicklung über 145 Jahre nachvollziehen.
Diese Pflanzen machen sich auf den Gipfeln breit:
"Wenn man einen Gipfel hat, auf dem vorher keine Art war und jetzt finden wir 15, ist da erst einmal nichts Negatives dabei", sagt der Forscher. "Kritisch sind eher die Gipfel mit hochalpinen Spezialisten, die langfristig potenziell verdrängt werden." Diese Pflanzen haben sich an die rauen Bedingungen auf den Bergen perfekt angepasst, wachsen etwa in den engsten Spalten und bei Kälte. Die neuen Gipfel-Arten, sind tendenziell größer und somit konkurrenzstärker sowie wärmeliebender als die ursprünglichen.
Und unter letzteren gibt es bereits Verlierer: Die Verbreitung des Bayrischen Enzians etwa hat im Gegensatz zu den meisten anderen Arten etwas abgenommen. Da er vor allem auf gutem, humusreichem Boden wächst, bekommt er Konkurrenz von unten. "Die Sorge ist durchaus berechtigt, dass Arten verdrängt werden", sagt Steinbauer.
Steinbauer betont, obwohl die Gipfel fernab der menschlichen Zivilisation seien, sehe man hier "einen direkten, messbaren Effekt des durch den Menschen verursachten Klimawandels auf die Vegetation." Und der Effekt sei enorm. "Das trifft alle anderen Systeme auch – nur wir können es auf den Gipfeln besonders gut nachweisen."
Auch für Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist die im Fachmagazin "Nature" veröffentlichte Studie ein "Alarmsignal":
Die Studie zeige "eine äußerst besorgniserregende" Entwicklung, die allen Ökosystemen bevorstehe, wenn der Klimawandel ungebremst weiterläuft: "Man sieht, dass die Ökosysteme in Bewegung geraten – und zwar massiv." Diese komplizierten Netzwerke des Lebens könnten sich zwar an manche Veränderungen anpassen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Danach bestehe die Gefahr von "Umstrukturierung, Verdrängung, Aussterben". Lucht sagt:
Das heiße nicht, "dass nachher alles ausstirbt oder überall die Wüste kommt. Aber die Erde wird nicht mehr diejenige sein, die wir kennen", sagt Lucht.
(pbl/dpa)