Er kam vor 20 Jahren nach Deutschland, um als Rabbi zu praktizieren. Seitdem, so erzählt Mendel Gurewitz, werde er regelmäßig antisemitisch angefeindet. Er trägt seine Kippa offen, sucht immer wieder den Dialog.
Jetzt, so berichtet er auf seiner Facebook-Seite, sei er auf dem Weg zur Synagoge in Offenbach von Jugendlichen angegriffen worden – und dieses Mal traf es ihn besonders. Die Polizei, die eingriff und die Personalien der Täter feststellte, ermittelt gegen zwei 20 Jahre alte Männer aus Offenbach. Im Interview mit watson.de spricht Mendel Gurewitz über seine Arbeit und seinen Frust.
watson: Was genau ist am Freitag passiert?
Mendel Gurewitz: Ich war zu
Fuß auf dem Weg zur Synagoge – zum Glück ohne meine Kinder – als eine Gruppe
Jugendlicher mich sah. Sie riefen "Scheiß Jude", "Free Palästina" und "Gaza".
Ich ging auf sie zu, um mit ihnen zu reden und ein Jugendlicher sagte "Mein
Freund meint das nicht so". Der erwiderte: "Doch, ich meine es so". Dann
rannten sie weg, die Polizei fand sie und ich sollte sie identifizieren.
Da sagt einer von ihnen: "Du kennst mich doch aus dem KOMM-Center von vor 5 Jahren."
Das KOMM-Center ist das Offenbacher
Einkaufszentrum, in dem sie 2013 von einer Gruppe Jugendlicher antisemitisch beschimpft
und bedrängt wurden.
Genau. Ich
lud die Jugendlichen damals zu einem Gespräch über jüdische Religion und
Toleranz in die Synagoge ein. Sie entschuldigten sich, darüber war ich sehr
glücklich. Ich dachte kurz, wir können vielleicht friedlich in einer toleranten
Gesellschaft zusammenleben. Ich zog meine Anzeige zurück. Dass es sich
eventuell um denselben Jungen handelt, wie damals, verletzt mich sehr. Er hatte
sich doch entschuldigt.
In Ihrem Post benutzen Sie mehrmals die
Worte "BLABLABLA". Ist das ein Ausdruck von Frustration?
Mein Sohn, der in Frankreich lebt, rief gestern
an, weil er von dem Vorfall am Freitag in den Medien gelesen hatte. Ich
sagte nur: "Das ist doch nichts Besonderes, das passiert mir jeden Tag."
Der Präsident des Zentralrats der
Juden, Josef Schuster, rät Juden, ihre Kippa in Vierteln mit vielen Muslimen zu
verstecken, indem sie zum Beispiel eine Mütze drüber tragen. In Offenbach sind
14% der Bevölkerung Muslime. Tragen Sie auf der Straße Kippa?
Ja, immer, und daran werde ich nichts ändern. Ich weiß, dass meine Kippa und mein Bart
provozieren, aber das ist, wer ich bin. So sind meine Vorfahren rumgelaufen und
deswegen tue ich es auch.
Wie erklären Sie sich das
antisemitische Verhalten junger Menschen in Deutschland?
Schuld ist weder die deutsche Regierung, noch die Gesellschaft, sondern allein die Eltern.
Eltern, die ihren Kindern keine Toleranz beibringen. Und dagegen kann ich nichts
unternehmen. Ich bin nur eine Einzelperson und ich bin meistens das Opfer.
Was sind das für Eltern, die ihre
Kinder so erziehen?
Ich wünschte,
ich wüsste es. Ich bringe meinen Kindern bei, jeden für das zu respektieren, was er ist.
Der Fall von
2013 hat international für Aufsehen gesorgt. Der damalige Offenbacher
Oberbürgermeister Horst Schneider war danach mit Ihnen in Schulen gegangen, um mit
Jugendliche über religiöse Toleranz zu sprechen. Waren diese Maßnahmen umsonst?
Nein,
aber viele Kinder trauen sich nicht, alle Fragen in einer Unterrichtssituation zu stellen, weil sie mich nicht verletzten wollen. Viele Leute
glauben zum Beispiel, dass Juden in Deutschland keine Steuern zahlen, aber sie
wagen nicht, danach zu fragen.
Was wäre ein
guter Weg, Kindern Toleranz beizubringen?
Ich
glaube, das geht nur im Elternhaus. Trotzdem habe ich einen Traum.
Haben Ihre Kinder Angst um Sie?
Ja, haben
sie. Meine Söhne tragen Baseball-Kappen über ihren Kippas, weil sie sich
fürchten. In der Schule, wissen viele Kinder nicht, dass sie Juden sind. "Jude" ist auf Schulhöfen ein ganz normales Schimpfwort.
Wieso kamen Sie vor 20 Jahren von Frankreich nach Deutschland?
Ich dachte ich kann die Welt verändern. Ich war Idealist.