In der Berliner Fasanenstraße ist am Mittwochabend ein Meer aus Kippas zu sehen. Es ist ein eher ungewöhnliches Bild in Deutschland. Aber heute demonstrieren hier rund 2000 Menschen vor dem Jüdischen Gemeindehaus. Es geht darum, ein Zeichen zu setzen – für Zusammenhalt und gegen Antisemitismus.
Die Kippa ist die Kopfbedeckung religiöser jüdischer Männer. Bei der Aktion "Berlin trägt Kippa" tragen sie jedoch auch Frauen und Nicht-Juden als Zeichen der Solidarität. Anlass der Kundgebung ist der Angriff auf einen Kippa-tragenden Israeli in der vergangenen Woche in Berlin.
Ist es gefährlich, in Deutschland als Jude erkennbar zu sein?
Die Antwort auf diese Frage muss nein lauten. Die Realität sieht jedoch leider anders aus. Allein für Berlin hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus im vergangenen Jahr 947 antisemitische Vorfälle erfasst.
Einen so großen Aufschrei und derart breite Solidaritätsbekundungen wie nach dem Angriff der vergangenen Woche gab es jedoch selten.
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Mike Samuel Delberg hofft, dass sich durch die Debatte nun etwas verändert. Der 28-Jährige ist Repräsentant der Berliner Jüdischen Gemeinde, die die Kippa-Kundgebung organisiert hat. Er selbst zeigt sein Judentum offen. "Ich
verstecke nichts", sagt er. "Ich verstehe
aber auch, dass einige das nicht mehr tun können, weil sie Angst haben. Diese
Bedrohung ist leider da."
Mike Samuel Delberg erlebt auch selbst immer wieder antisemitische Anfeindungen:
"Als
offen lebender jüdischer Mensch muss man sich leider mit Antisemitismus
auseinandersetzen. Sei es, auf der Straße angepöbelt zu werden, weil man ein
jüdisches Symbol trägt, auf Facebook angeschrieben zu werden, wenn man sich
pro-israelisch äußert, oder als bedrohte Person auf einer Liste des
Landeskriminalamts aufzutauchen, weil man sich für jüdische Studenten
engagiert. Das ist leider die traurige Realität."
Mike Samuel Delberg
So offen wie Delberg zeigen die meisten Juden in Deutschland ihre Religion nicht. Viele verzichten aus Angst auf das Tragen der Kippa. Sogar Rabbiner verstecken sie teilweise unter einem Basecap oder einem Hut.
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"Den Davidstern, den ich um meinen Hals trage, verstecke ich in der Öffentlichkeit auf jeden Fall", sagt ein Teilnehmer der Kundgebung. Seinen Namen will er nicht nennen. Er sei im Zuge von israelfeindlichen Demonstrationen bereits einmal in die Öffentlichkeit geraten und habe von der Polizei geschützt werden müssen.
Hat sich der Antisemitismus verändert? Nein, sagt er.
"Ich bin 1988 zum ersten mal in der U-Bahn attackiert worden. Ich habe mir direkt ein paar Schläge eingefangen. Aber die Aggressionen haben deutlich zugenommen."
Auch im Deutschrap gibt es ein Problem mit Antisemitismus:
Für den 22-jährigen Misha Yantian hängt es vor allem davon ab, wo er sich gerade befindet, ob er sein Judentum offen zeigt.
"Ich habe ein Jahr in Neukölln gewohnt, da habe ich nie offen einen Davidstern getragen. In der Uni habe ich aber kein Problem damit. Und hier in Charlottenburg oder auch im Prenzlauer Berg würde ich selbst nach dem Vorfall in der letzten Woche offen damit rumlaufen."
Misha Yantian
Julia Kildeeva und Misha Yantian.Bild: Felix Huesmann/watson.de
Zusammen mit der 19-jährigen Julia Kildeeva hält er auf der Kundgebung ein Plakat der "Jüdischen Studierendenunion Deutschlands" vor sich. "Berlin für Alle – Alle für Berlin" steht darauf. "Ich wünsche mir, dass wir mehr Zusammenhalt spüren", sagt Julia Kildeeva.
"Seit dem vierten Jahrhundert leben Juden in Deutschland. Und seitdem werden sie angegangen. Das kann einfach nicht wahr sein."
Julia Kildeeva
Ändert die Kundgebung etwas?
Zusammenhalt soll auch die Berliner Kundgebung widerspiegeln. Vertreter mehrerer Parteien stehen auf der Bühne, tragen Kippa. Sie halten nacheinander ihre Reden und bekommen dafür teilweise viel Applaus.
"Antisemitismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben", sagt etwa Anette Widmann-Mauz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Es brauche das klare Bekenntnis jener, die politische Verantwortung tragen, aber auch die Zivilcourage aller in unserer Gesellschaft.
Bild: Carsten Koall/Getty Images
Cem Özdemir von den Grünen hält eine Rede, für die er viel Applaus bekommt. Er wendet sich gegen alle Formen von Antisemitismus, der oft auch als vermeintliche "Israelkritik" daher komme.
"Jeder Mensch muslimischer Herkunft, ob praktizierend oder nicht, muss heute an der Seite der Juden stehen,"
Cem Özdemir
Doch trotz dieser Worte werden viele, die sich am Mittwochabend trauen, eine Kippa zu tragen, dabei am nächsten Tag wieder ein mulmiges Gefühl haben.
Synagogen und andere jüdische Einrichtungen erkennt man häufig vor allem an Überwachungskameras und Polizisten – wie hier vor der Hauptsynagoge in München.Bild: Stephan Jansen/dpa
Was es bedeutet, als Jüdin in Deutschland aufzuwachsen, erklärt Dalia Grinfeld, die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion:
"Wir sind eine Generation, die nichts anderes kennt, als Sicherheitsschleusen vor Kindergärten und Schulen – und das freitägliche 'Hallo Heinz' zum Polizisten vor der Synagoge."
Dalia Grinfeld
Was braucht es also wirklich, um Antisemitismus in Deutschland zu bekämpfen?
"Es sind viele verschiedene Dinge, die getan werden müssen", sagt Mike Samuel Delberg.
"Einerseits in der Bildungspolitik, wir brauchen Lehrerfortbildungen und mehr Begegnungen. Vor allen Dingen brauchen wir aber ein positiv besetztes Bild vom Judentum in der Gesellschaft."
Meist
würde nur über den Holocaust, die Politik Israels oder über Antisemitismus
gesprochen.
"Es muss aber mehr bedeuten, ein Jude in Deutschland zu sein, als diese drei Themen."
Mike Samuel Delberg
Jüdisches Leben müsse auch in Deutschland wieder zu etwas "ganz Normalem" werden.
Gepöbel und Gespucke bei Kundgebung in Berlin-Neukölln
Wie gefährlich das Zeigen jüdischer Symbole und der israelischen Nationalfahne in Deutschland sein kann, zeigt sich jedoch auch am Mittwochabend.
Während die Kundgebung vorm Jüdischen Gemeindehaus in Charlottenburg friedlich verläuft und unter gut organisiertem Polizeischutz steht, muss eine Demonstration einige Stadtteile entfernt nach kurzer Zeit abgebrochen werden. Ein paar wenige hatten sich in Neukölln versammelt, dem Stadtteil, in dem sich viele Berliner Juden am unsichersten fühlen.
Dort wollten sie ein Zeichen setzen. Wie das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus berichtet, dauerte es jedoch nur Minuten, bis die Demonstranten bepöbelt und bespuckt werden. In einem Video ist zu sehen, wie ein junger Mann einem Kundgebungsteilnehmer seine Israel-Fahne entreißt und damit weg rennt.
Auch andere Städte tragen Kippa
Friedliche Kundgebungen fanden hingegen noch in weiteren Städten statt. Auch in Köln, Erfurt, Magdeburg und Potsdam gingen am Mittwoch Menschen aus Solidarität mit Kippa auf die Straße.
Hunderte Menschen versammelten sich vor dem Kölner Dom:
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