Raus aus der Groko – Ist diese rote Gang fähig zur politischen Sabotage?
31.10.2018, 20:1531.10.2018, 20:17
jonas schaible
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Die SPD will sich mit einem Fahrplan aus der Krise bringen. Die Gegner einer großen Koalition fordern einen politischen Sabotageakt. Doch ihnen läuft die Zeit davon.
Drei Möglichkeiten werden in der Partei nach den miesen Wahlergebnissen in Hessen und Bayern diskutiert:
Personelle Veränderungen an der Spitze.
Ein Bruch der schwarz-roten Koalition.
Oder die inhaltliche Neuaufstellung.
Nicht alle sind gleich wahrscheinlich. Aber vor allem die Diskussion um die Koalition hat wieder Brisanz gewonnen – und die kommenden Tage können dafür entscheidend sein.
Ein Blick auf die 3 Alternativen.
Ein Blick auf die Spitze
Andrea Nahles ist als Partei- und Fraktionschefin hauptverantwortlich für die Positionen der SPD. In den vergangenen Tagen hat sie auffällig wenig direkte Unterstützung bekommen, auch ihr langjähriger politischer Partner, der Vizekanzler Olaf Scholz, ist wieder auffallend still. Aber Forderungen nach ihrer Absetzung sind ebenfalls nicht zu hören. Im Parteivorstand sei das kein Thema gewesen, berichten mehrere Teilnehmer.
Vize Olaf Scholz und Parteichefin Andrea Nahles
Bild: dpa
Öffentlich und im Vertrauen argumentieren die Genossen, man habe eine Weile nach jedem Zank den Parteichef ausgetauscht, das habe auch nichts geholfen. Natascha Kohnen versucht offenbar, sich in Bayern zu halten. Thorsten Schäfer-Gümbel ist in Hessen immer noch unangefochten. Auch Nahles wird wohl erst einmal bleiben.
Die Wählerwanderung in Hessen
Einig sind sich die Genossen, dass die Partei sich inhaltlich ändern muss. Die Parteilinken und Gegner der Regierungskoalition wollen das schon lange. Schäfer-Gümbel fordert eine klare Ausrichtung auf wenige Themen, wie in seinem Wahlkampf. Nahles sagt, „die sozialdemokratischen Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit gehen noch nicht weit genug.“
Generalsekretär Lars Klingbeil schrieb in einem Grundsatztext auf t-online.de, es gebe „eine Notwendigkeit, die Daseinsberechtigung der SPD neu zu begründen. Sie muss sich radikal verändern.“Strittig ist aber, welche Positionen die SPD annehmen sollte – vor allem aber ist die inhaltliche Debatte zunehmend mit der Frage nach der Fortsetzung der Koalition verknüpft. Sie ist in diesen Tagen noch strategischer als sonst.Entscheidend wird sein, wie die SPD ihre konkreten Ziele für die kommenden Monate in der Regierung formuliert – die Parteispitze spricht von einem Fahrplan. Am Montag wird der Vorstand auf einer Klausurtagung wohl darüber entscheiden.
Gesucht: ein Exit aus der Groko
Die Kalkulation in der Partei lautet nämlich schon lange so: Die SPD ist in die Koalition eingetreten, weil sie das Land verantwortlich regieren und etwas verändern wollte. Deshalb kann sie die Regierung nicht kaputtmachen, nur weil sie keine Lust mehr hat, oder wegen schlechter Wahlergebnisse und mieser Umfragewerte. Schon lange ist die Parteispitze überzeugt, dass sie, wenn überhaupt, nur aus der Koalition austreten könnte, wenn es dafür einen triftigen inhaltlichen Grund gibt. Und, das ist die strategische Komponente, wenn die SPD in der Geschichte nicht die Böse ist.
Nur sind solche Gelegenheiten rar.Horst Seehofers Theaterstück im Sommer war so eine Gelegenheit. Viele SPD-Sympathisanten hätten es gut verstanden, vielleicht sogar begrüßt, hätte die Partei argumentiert, mit diesem erratischen Innenminister könne man nicht mehr arbeiten, mit einer derart zerstrittenen Union auch nicht, und eine Politik der Grenzkontrollen trage man nicht mehr mit.
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Aber der Streit kam nach wenigen Wochen in der Regierung, viel zu früh für alle, die immer für die Koalition waren.Der Streit um den Diesel, sagen einige in der SPD, hätte eine Gelegenheit sein können. Das Thema ist emotional. Man hätte argumentieren können, die SPD lehne eine Politik ab, die vor den Großunternehmen einknickt. Aber seit dem gemeinsam ausgehandelten Dieselkompromiss ist auch diese Gelegenheit vorbei.
Die Frage ist jetzt, wann eine solche Gelegenheit wiederkommt. Oder ob sie sich möglicherweise künstlich erzeugen lässt.Ob also der Fahrplan so gestaltet wird, dass die Koalition ihm folgen kann, oder ob die Forderungen so formuliert werden, dass die Union nicht mitgehen kann. Kevin Kühnert, der Juso-Chef und bekannteste Kritiker der Koalition, möchte über den Vertrag hinausgehen.
Die bekannten Forderungen aus dem Koalitionsvertrag „sollten klugerweise durch tagespolitische Tretminen wie den Umgang mit Automobilkonzernen im Dieselskandal und einen restriktiveren Umgang mit Waffenexporten ergänzt werden“, schreibt er im „Handelsblatt“.Das Ziel in dieser Metapher: die gezielte Sprengung der Koalition. Die Mehrheit der Anhänger hätte Kühnert einer aktuellen Umfrage zufolge auf seiner Seite.
Und noch ein Fahrplan
Ganz anders klingt der Entwurf von Andrea Nahles. Auf sechs Seiten nennt sie eine Reihe von Gesetzen, die verabschiedet oder durchs Kabinett gebracht werden sollen. Es handelt es sich um eine Auswahl von Projekten aus dem Koalitionsvertrag. Mehr könne man auch nicht fordern, sagen Unterstützer der Koalition. Ein solcher Plan dürfte mit der Union problemlos umsetzbar zu sein.
Setzt sich am kommenden Montag Nahles durch, könnte die SPD auf absehbare Zeit die große Koalition kaum beenden. Sie hätte sogar Probleme, nach der Hälfte der Legislaturperiode während der vereinbarten Überprüfung einen Schnitt zu machen – denn wenn der neue Fahrplan eingehalten würde, welches Argument sollte sie anführen?
Die Lage nach Hessen in den Umfragen
Setzen sich dagegen die Gegner einer Koalition durch, wird die SPD irgendwann Konsequenzen ziehen müssen, wenn die Koalition dem Fahrplan nicht folgt.Wie diese Agenda genau formuliert werden wird, ist deshalb von großer Bedeutung. Umso mehr, als die Zeit knapp wird für die Gegner einer Koalition.
Am 26. Mai kommenden Jahres stehen die nächsten Wahlen an. Die Europawahl, bei der sich die SPD mit der Spitzenkandidatin Katarina Barley zumindest ein respektables Ergebnis erhofft, aber in der jüngsten Umfrage bei nur 16 Prozent steht. Und die Bürgerschaftswahl in Bremen, wo die SPD seit dem Zweiten Weltkrieg immer stärkste Partei war, meist mehr als die Hälfte der Stimmen holte, zuletzt aber auch nur noch 32 Prozent, und wo sie in Umfragen zuletzt mit 26 Prozent gleichauf mit der CDU liegt. Schon im Frühjahr könnte die SPD also in einer der letzten Hochburgen massiv verlieren. Dann wird es eng, auch für Nahles.
Im Herbst stehen dann Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern an: In Brandenburg steht die SPD immerhin noch bei 23 Prozent, in Sachsen bei 11, in Thüringen bei 10. In den beiden südlichen neuen Ländern war sie immer schon extrem schwach, dort ist die Linke die stärkste linke Partei.Wenn es dabei bleibt, wird der Frust in der Partei immens sein. Der Druck, die Koalition zu beenden, wird wachsen.
Kluger Ratschlag aus dem Gestern (via Holz)
Hamburgs Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi,90, meldete sich am Mittwoch in einem bemerkenswerten Interview in der Welt zu Wort. Er empfahl der Partei weniger sozialpolitisches Klein-Klein als Antworten auf die großen strukturellen Fragen unserer Zeit. Als da wären:
Globalisierung
Digitalisierung der Arbeitswelt
Von Dohnanyis Vorschlag an die Partei und ein möglicher Ausstieg aus der Groko lautet:
"Die SPD würde sich damit [Groko-Aus] um das letzte Vertrauen bringen. Jetzt heißt es durchzuhalten, die Erneuerung der Partei außerhalb der großen Koalition deutlich zu machen und in der großen Koalition das miteinander Vereinbarte durchzusetzen."
Klaus von Dohnanyi, SPD,die welt
Der Mann von den Jusos
Statt dessen streitet die Partei mal wieder über ihr Personal. Und über die Groko. Die wird sich ohnehin strukturell ändern. Spätestens, wenn die CDU einen neuen Vorsitz hat.
Wenn die SPD die Koalition so verlassen will, dass sie davon profitieren kann, hat die SPD wahrscheinlich nur bis zum Frühjahr Zeit. Die Jusos scheinen das erkannt zu haben. Nahles fordert in ihrem Entwurf für den Fahrplan, man müsse „die Erneuerung der SPD beschleunigen“.
Kühnert reagierte sofort, sagte, das sei im Sinne der Jusos. Wenn der Erneuerungsprozess beschleunigt werde, müsse aber auch der Parteitag aus dem Winter 2019 ins Frühjahr vorgezogen werden, auf dem die Partei über den Prozess befinden soll. Das wäre dann wohl vor den Wahlen. Gerade noch rechtzeitig für einen selbstbestimmten Rückzug.
Dieser Text ist zuerst im Nachrichtenportal t-online.de erschienen.
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quelle: imago stock&people / imago stock&people
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