Erdogan bleibt viele Antworten schuldig – eine Bilanz des Staatsbesuchs
30.09.2018, 09:1930.09.2018, 10:33
Carsten Hoffmann und Jörg Blank / dpa
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Es bleibt frostig zwischen Angela Merkel und Recep
Tayyip Erdogan. Selbst als die Kanzlerin beim Auftritt mit dem
türkischen Präsidenten nach dem Mittagessen von vielen
Gemeinsamkeiten redet und davon, dass man sich sehr für die 3,5
Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland einsetze, macht
Erdogan ein versteinertes Gesicht. Leichenbittermiene.
Das ändert sich natürlich erst recht nicht, als Merkel ein paar
Minuten später davon spricht, dass es im deutsch-türkischen
Verhältnis in den vergangenen Jahren "auch tiefgreifende Differenzen
gab und es sie heute auch noch gibt". Erdogan blättert demonstrativ
in seinen Manuskripten herum.
Schon am Freitag: Eisige Stimmung
Merkel und Erdogan schenken sich bei ihrer gemeinsamen
Pressekonferenz am Freitag im Kanzleramt nichts. Die Kanzlerin zählt
die Gründe für die Entfremdung beider Länder auf: Die mangelnde
Rechtsstaatlichkeit, die Fragen von Pressefreiheit und natürlich die
aus politischen Gründen in der Türkei inhaftierten deutschen
Staatsbürger. Zwar sei die Bundesregierung froh, "dass einige
konkrete Fälle" auch gelöst werden konnten und einige Menschen frei
seien.
"Aber wir haben nach wie vor einige deutsche Staatsbürger in Haft."
Angela Merkel
Bild: imago stock&people
Sie glaube, dass "die Möglichkeit, ausführliche Gespräche miteinander
zu führen, eine große Bedeutung hat und auch die Chance mit sich
bringt, auch über strittige Dinge, aber auch über gemeinsame Projekte
miteinander ins Gespräch zu kommen", sagt Merkel nüchtern. An diesem
Samstag sollen die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen
fortgesetzt werden, dann soll es nochmal um die in der Türkei
verhafteten Deutschen gehen. Ausgang offen.
Wütender Erdogan auf dem Staatsbankett
Doch schon der Freitagabend verheißt nichts Gutes: Wütend weist
Erdogan bei einem Staatsbankett im Berliner Schloss Bellevue deutsche
Kritik an der Menschenrechtslage zurück und verweist auf "Hunderte,
Tausende" von Terroristen, die in Deutschland frei herumliefen.
Bild: imago stock&people
Erdogan, dessen Land wegen der Auseinandersetzung mit der
US-Regierung unter Präsident Donald Trump in wirtschaftlichen Nöten
steckt, ist eigentlich zum Schulterschluss nach Deutschland gekommen.
Doch er bleibt sich in der Sache treu – und kommt der Kanzlerin nicht
entgegen.
Der türkische Präsident bringt vor allem Forderungen mit
Der islamisch-konservative Politiker verweist auf gemeinsame
Wirtschaftsinteressen, hat aber vor allem Forderungen mit nach
Deutschland gebracht. Dazu gehört ein entschlossener Kampf gegen die
verbotene kurdische PKK. Zudem seien Hunderte Anhänger der
Gülen-Bewegung in Deutschland. Diese wird von der Türkei als
Drahtzieher des Putsches im Jahr 2016 eingestuft und muss laut
Erdogan in Deutschland als Terrororganisation eingestuft werden.
Erdogan besteht aber auch auf der Auslieferung des türkischen
Journalisten Can Dündar, der sich nach Deutschland ins Exil abgesetzt
hatte.
"Das ist unser natürliches Recht."
Recep Tayyip Erdogan
Er bezeichnet
Dündar als "Agenten", der Staatsgeheimnisse öffentlich gemacht habe
und dafür verurteilt sei. Fast wäre die Pressekonferenz geplatzt,
weil Dündar sich angemeldet und die türkische Seite mit Absage
gedroht hatte.
Im Zentrum steht der Fall Dündar
Vor allem an der Personalie Dündar zeigt sich an diesem Mittag, wie
weit Merkel und Erdogan voneinander entfernt sind.
"Dass es eine Kontroverse in dem Fall des in der Türkei wegen Spionage gesuchten türkischen Journalisten Dündar gibt, das ist kein Geheimnis."
Angela Merkel
Nachdem es schon vor der Pressekonferenz eine größere öffentliche
Aufregung darüber gegeben hatte, ob Dündar eine Frage stellen dürfe,
betont Merkel noch, dieser habe letztlich selbst entschieden, nicht
ins Kanzleramt zu kommen. Natürlich könne aber grundsätzlich jeder
akkreditierte Journalist eine Frage stellen. Da gebe es keine
Zwei-Klassen-Gesellschaft, "dass die einen Fragen stellen dürfen und
die anderen nicht", schiebt sie hinterher. Soll heißen: Auch Dündar
hätte fragen dürfen, ob das Erdogan nun passt oder nicht.
Die Bundesregierung verteidigt aber den Rauswurf eines Journalisten
"Gazetecilere Özgürlük – Freiheit für Journalisten in der Türkei" – dass ein türkischer Journalist mit ausgerechnet dieser
T-Shirt-Aufschrift aus der Pressekonferenz geführt wurde, passt zum
Thema. Regierungssprecher Steffen Seibert weist im Anschluss darauf
hin, dass im Kanzleramt wie im Bundestag Kundgebungen politischer
Anliegen nicht akzeptiert würden. "Das gilt völlig unabhängig davon,
ob es sich um ein berechtigtes Anliegen handelt oder nicht", twittert
Seibert.
Am frühen Abend protestieren in Berlin Tausende gegen Erdogan und
seine Politik. Das Motto: "Erdogan not welcome". Der türkische
Präsident wird kurz darauf mit einem Staatsbankett im Schloss
Bellevue geehrt. Eine geplante Großveranstaltung zur Eröffnung einer
Moschee mit Erdogan am Samstag in Köln sagt die Stadt wegen
Sicherheitsbedenken kurzfristig ab. Die Kölner Oberbürgermeisterin
Henriette Reker (parteilos) sagt:
"Das ist sehr bedauerlich, aber eine unüberschaubare Menschenansammlung dürfen wir einfach nicht akzeptieren."
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