Özil geht, der Hambacher Forst bleibt, Chemnitz schreckt auf – 2018 war turbulent. Auch für uns: watson.de startete im März. Auf einige Geschichten sind wir seitdem besonders stolz. Wie auf diese hier:
Was sind die Alternativen zu Hartz IV? Die Debatte darum wird größer. Zwei Umfragen lassen in diesen Tagen aufhorchen:
Jens Spahn hatte die Debatte mit seinen Äußerungen über Hartz IV ausgelöst.
Der Bürgermeister von Berlin Michael forderte daraufhin Hartz IV abzuschaffen und durch ein „solidarisches Grundeinkommen“ zu ersetzen.
Jetzt wird in ganz Deutschland über das Grundeinkommen diskutiert.
Es feiert gerade so etwas wie eine Renaissance. Je nach Modell hat es Anhänger in nahezu allen politischen Lagern. Was früher als linke Utopie verschrien war, wird heute unter liberalen Ökonomen diskutiert.
Die Schweiz kennt diese Diskussion. 2006 hat sie als erstes Land weltweit über ein ein bedingungsloses Grundeinkommen abgestimmt. Die Initiative ist gescheitert. Das Thema bleibt.
Daniel Häni hat die Kampagne für das bedingungslose Einkommen in der Schweiz iniitiert. Er sieht die Diskussion um das Grundeinkommen weltweit auf dem Vormarsch. Den Vorschlag der SPD hält er für einen Etikettenschwindel. Unser Interview:
Watson: Die Schweiz war das
erste Land weltweit, das über die Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens abgestimmt hat. 77 Prozent stimmten dagegen. Was glauben Sie, warum die Menschen es in
der Mehrheit abgelehnt haben?
Daniel Häni: Weil viele denken, das bedingungslose Grundeinkommen wäre
ein zusätzliches Einkommen, das man nicht finanzieren kann. Das ist überhaupt das
größte Missverständnis in der Debatte. Dabei geht es nicht um mehr Geld, sondern
darum, das bestehende Einkommen in der Höhe des Grundeinkommens ohne Bedingungen
zu gewähren. Der zweite wirkliche Grund ist, dass viele es den anderen nicht
gönnen können. So gesehen sind 23 Prozent Zustimmung doch eigentlich sehr
positiv.
Verstehe ich Sie
richtig? Sie wussten eigentlich von vornherein, dass das zum Scheitern
verurteilt ist?
Nicht zum Scheitern verurteilt. Demokratie ist kein
Gewinnspiel. Demokratie ist eine Volkshochschule. Sie ist das Instrument, über
das wir uns gegenseitig austauschen und lernen. Auch darüber, wie Andere anders
denken. Das ist der Gewinn der Demokratie, dass sich Bewusstsein bildet und
ändert. So gesehen war die Volksinitiative sehr erfolgreich, übrigens mit
großer internationaler Ausstrahlung.
Ihre Initiative hatte
vor allem Zuspruch in den Städten. Die große Mehrheit im ländlichen Bereich
stimmte dagegen. Lässt sich daraus ablesen, dass die Idee zwar intellektuell
ihren Reiz hat, aber im Grunde am Menschen vorbeigeht?
Nein. Richtig ist, dass die Zustimmung dort am größten war,
wo gehäuft individuelle Lebensentwürfe zu finden sind. Das ist im urbanen Raum.
Das Grundeinkommen ist noch ein Pionierprojekt. In Deutschland sei allerdings
schon jeder zweit dafür, wurde gerade veröffentlicht.
Die Idee eines
bedingungslosen Grundeinkommens ist ursprünglich eine linke Idee, heute finden
wir sie in allen politischen Lagern. Und bei Unternehmern:
Angefangen mit Götz Werner, Gründer der Drogeriekette dm, dem Siemens-Chef Joe
Kaeser oder Ebay-Gründer Pierre Omidyar. Was macht das Grundeinkommen parteiübergreifend interessant?
Es ist attraktiv, weil es die Gegensätze von links und
rechts überwindet. Es befriedigt den liberalen Verstand und gleichwohl das
soziale Herz. Es ist sozial, weil alle es von allen bekommen. Und liberal, weil
es bedingungslos ist.
Befürworter unter den Ökonomen
argumentieren, dass das bedingungslose Grundeinkommen längst keine
moralische Frage mehr sei, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. Sozusagen
als Antwort auf die fortschreitende Digitalisierung. Und die Frage, ob es in
einer technisierten Moderne überhaupt noch genug Arbeit gibt.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist die humanistische
Antwort auf den technologischen Fortschritt. Und die Idee ist tatsächlich ökonomisch
logisch: Die Bedeutung der industriellen Erwerbsarbeit wird deutlich schwinden. Deshalb wirkt das Theater um Hartz IV in Deutschland nüchtern
betrachtet grotesk und menschenunwürdig.
Dann müssten Sie sich
doch eigentlich freuen, dass die Debatte in Deutschland jetzt auch richtig
Fahrt aufnimmt und die SPD das solidarische Grundeinkommen ins Spiel bringt.
Letzteres ist leider ein Etikettenschwindel. Es ist der
durchsichtige Versuch der SPD, sich vor der Bedeutungslosigkeit zu
retten. Sie benutzt dafür den mittlerweile positiv besetzten Begriff „Grundeinkommen“
und hängt das proletarische Adjektiv „solidarisch“ davor. Das hat aber mit dem
bedingungslosen Grundeinkommen nichts zu tun. Der Vorschlag der SPD sind staatlich
betriebene geschützte Arbeitsplätze.
Auf der anderen Seite
fürchten Kritiker Ihres Modells, dass das Grundeinkommen zu Ende gedacht die
Solidargemeinschaft unterhöhlt. Denn: Wenn das Grundeinkommen alle heute
bestehenden sozialpolitischen Transfers ersetzt, gibt es keinen Sozialstaat
mehr.
Das ist Quatsch. Sozialstaatliche Leistungen, die darüber
hinausgehen, bleiben selbstverständlich bestehen. Das Grundeinkommen schafft keine
bestehenden Rechtseinsprüche ab. Wenn jemand Invalide ist, braucht er natürlich
viel höhere Leistungen.
Heißt konkret?
Nicht der Sozialstaat, sondern Stigmatisierung und Zwang
werden abgebaut. Das gleiche gilt für die Erwerbseinkommen, sie werden nicht
mehr oder weniger, sondern der Sockel der Einkommen wird bedingungslos. Das
bedeutet, dass die Menschen weniger erpressbar, manipulierbar und verführbar
sind. In einer Grundeinkommensgesellschaft hätten daher populistische Kräfte wie
etwa die AfD weniger Futter. Mit dem bedingungsloses Grundeinkommen wollen wir
die Freiwilligkeit in der Arbeit kultivieren, weil die Freiwilligkeit die beste
und sicherste Voraussetzung für eine nachhaltig gesunde Wirtschaft und ein
freundliches Zusammenleben ist.
Was macht Sie so
sicher, dass Menschen dann nicht auch sagen, gut, dann bleibe ich freiwillig
zuhause?
Zunächst einmal der Umstand, dass das "Zuhausebleiben" oft sehr gesund sein kann – weil man wieder zu sich und zu Verstande kommt, um dann eine Arbeit
auszuüben, die man auch wirklich will. Und verantworten kann.
Es gibt ja auch
Arbeit, die keinen Spaß macht, aber trotzdem gemacht werden muss.
Die würde durch das Grundeinkommen entsprechend mehr
Wertschätzung erhalten. Sobald wir niemanden mehr zwingen können, entsteht ein
freier Markt.
Was kann Deutschland bei der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen von der Schweiz lernen?
Dass eine gute
politische Debatte nicht um Modelle gehen soll, sondern um Grundsätze. Das
Grundeinkommen ist ein Menschenrecht, die Menschen müssen es wollen, nicht die
Politiker – die haben schon eine Art bedingungsloses Einkommen.
Wird es einen neuen
Anlauf Ihrer Initiative in der Schweiz geben?
Das wird nicht zu vermeiden sein. Laut einer repräsentativen
Umfrage rechnen 69 Prozent der Schweizer mit einer zweiten Abstimmung.
Was braucht es Ihrer Ansicht nach, damit
das Grundeinkommen eingeführt wird?
Es braucht einen Mauerfall in den Köpfen. Die Einführung des
Grundeinkommens findet immer gerade dort statt, wo Menschen nicht über andere
bestimmen und dafür sich selbst mehr ernstnehmen und das tun, was sie wirklich
wollen. So geht die konkrete Einführung.