John McCain hatte seine Wurzeln in einer Zeit, als Amerika gerne und unangefochten Weltmacht war. Einzelgänger wie ihn liebt sein Land nicht: zu eigensinnig, zu unberechenbar. Erst im Tod erkennt es, was es mit ihm verliert.
Wo John McCain war, da war was los. Er war ein Rebell und ein Konservativer, eine seltsame Mischung. Er war, politisch gesehen, ein romantischer Patriot. Sein Amerika, das war die Macht der Befreiung, die Macht des Guten, der Bannerträger der Demokratie und es war zugleich die Weltmacht, die zu oft und an falschen Orten die Welt retten wollte: zuerst vor den Kommunisten, und dann vor den Terroristen.
Er war neugierig, hielt sich nicht an seine Vorurteile und er war zugänglich. Ich war mal Korrespondent in Washington für den "Spiegel". Als deutscher Journalist bist du dort keine große Nummer. John McCain gehörte zu den angenehmen Ausnahmen. Er blieb stehen, wenn ich ihn im Kapitol oder auf der Münchner Sicherheitskonferenz traf. Er war höflich, sehr höflich, und deshalb antwortete er ausführlich auf Fragen, die ihn nicht langweilten.
McCain war ein Einzelgänger und er war, was heute die absolute Ausnahme geworden ist: Ein Politiker der Republikaner, der nicht im eigenen Saft schmorte und seinem Präsidenten blind ergeben war, sondern Freunde und Verbündete unter den Demokraten fand. Mit John Kerry, der unter Obama Außenminister war, bereitete er die Versöhnung mit Vietnam vor, eine große Leistung, politisch sowieso, aber auch persönlich.
McCain gehörte zum militärischen Adel Amerikas. Großvater und Vater waren Vier-Sterne-Admirale, mehr geht nicht. Sein Vater war Oberbefehlshaber im Pazifik, als sein Sohn in die Gefangenschaft der Vietcong geriet. Sie wussten genau, wen sie vor sich hatten, und haben ihn auch so behandelt. Er hatte sich die Arme gebrochen und ein Bein. Sie schickten ihm keinen Arzt. Stattdessen haben sie ihn geprügelt und gefoltert. Zweimal versuchte er, sich umzubringen.
Heim kam er auf Krücken in seiner weißen Marineuniform, gezeichnet fürs Leben. Die Arme konnte er nicht mehr heben. Er musste sich kämmen lassen und schob den Arm roboterhaft vor, wenn er jemandem die Hände schütteln musste.
Nur einer hat sich über McCain lustig gemacht, das ist natürlich Donald Trumpgewesen. Für ihn sei McCain kein Held, sagte er vor drei Jahren einfach mal so: "Er soll ein Kriegsheld sein, weil er gefangen genommen wurde. Ich mag Leute, die nicht gefangen wurden, okay?"
McCain war ein toller Senator und ein lausiger Präsidentschaftskandidat. Gegen Obama trat er an und verlor deprimierend. Er beklagte sich nicht und machte weiter. Er blieb eine moralische Instanz. Er verteidigte den ersten schwarzen Präsidenten gegen seine Verächter und geißelte Donald Trump für dessen Amoralität und Ignoranz.
Zur Tragik seines Lebens gehörte, dass er dem Schwachsinn in der amerikanischen Politik Vorschub geleistet hat. Als seine Kandidatin für die Vizepräsidentschaft hatte er Sarah Palin auserkoren, womit er die Tea Party legitimierte, die Bewegung der Dilettanten, die heute unverbrüchlich hinter Trump steht. In einem seiner letzten Interviews gab er zu, dass er da einen folgenreichen Irrtum begangen hatte.
Wäre er ein guter Präsident geworden? Ich glaube nicht. Zu rebellisch, zu eigensinnig, zu sehr Einzelgänger, zu schnell gelangweilt von der alles zerfressenden Routine im Weißen Haus. Er war zuerst und zuletzt ein großer Schwieriger, für sich, für seine Präsidenten, für Amerika. Dafür wird man zu Lebzeiten nicht geliebt, dafür wird man geschätzt.
Erst im Tod entdeckt Amerika, was es mit John McCain verloren hat.
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