CDU und CSU haben sich nach langem Streit auf ein Asylpaket geeinigt und auf ein härteres Grenzregime. In Transitverfahren sollen Migranten, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben und an der deutsch-österreichischen Grenze abgefangen werden, in Einrichtungen der Bundespolizei in unmittelbarer Grenznähe kommen.
Diese Woche will sich Seehofer mit den Ministerkollegen aus Österreich und Italien treffen. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz drohte für den Fall einer fehlender Einigung an, im Gegenzug notfalls seine Grenzen nach Italien abzuriegeln.
Schauplatz des Streits: der viel befahrene Brennerpass. Er verbindet das österreichische Bundesland Tirol mit dem zu Italien gehörenden, deutschsprachigen Südtirol.
Der christdemokratische Europaabgeordnete Herbert Dorfmann kennt die Probleme des Grenzalltags und wie sehr der Wegfall der Grenzkontrollen das Leben in der Region erleichtert hat.
Ein Gespräch über deutsche Pläne, österreichische Reaktionen und die ganz praktischen Folgen für die Menschen in Südtirol.
Herr Dorfmann, Sie wohnen in Südtirol vierzig Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie hörten, dass Sebastian Kurz sie schließen könnte?
Was sich hier abspielt ist reines Kasperletheater! In Südtirol erleben wir, dass es am Brennerpass kein Migrationsproblem gibt. Es ist einfach nicht da. In Österreich und Deutschland wird etwas hochgeschaukelt, das de facto nicht existiert. Dass man dafür den Schengen Raum riskiert und Europas offene Grenzen, das schmerzt uns Südtiroler. Wir hätten nicht gedacht, dass es noch einmal dazu kommt.
Es gibt keinerlei Schwierigkeiten mit Migration in Südtirol?
Als Deutschland Afghanistan als sicheres Herkunftsland erklärt hat, sind Afghanen nach Südtirol gekommen, um hier Asylanträge zu stellen. Die italienischen Behörden haben dann neue Verfahren gestartet. So etwas ist natürlich absurd. Dass Menschen durch Europa wandern und sich jeweils den Staat aussuchen, in dem das Asylverfahren am besten funktioniert. Da teile ich vollkommen das Anliegen von Horst Seehofer, Sekundärmigration zu unterbinden. Das Problem liegt aber nicht an offenen Grenzen, sondern an mangelnder Kommunikation zwischen den Staaten. Da helfen auch keine Transitzentren.
Was wäre denn Ihrer Meinung nach eine bessere Lösung, als Transitverfahren oder Grenzschließungen?
Zwei Dinge. Wir brauchen ein besseres Informationssystem und den Austausch von Daten in der EU. Alle Behörden im Schengen-Raum, deutsche, italienische, österreichische, müssen klar wissen, was
die jeweils anderen tun. Und die wirklich wichtige gemeinsame Aufgabe: der Schutz der Außengrenzen.
Sie sind selbst in Südtirol aufgewachsen und wissen, was es bedeutet, als Minderheit in einem Land zu leben. Wie würden Sie die aktuelle Stimmung vor Ort bezeichnen, wenn von Grenzschließungen nach Österreich die Rede ist?
Die Stimmung ist schlecht. Wenn Sie 10 Südtiroler fragen, was die größte Errungenschaft der EU ist, dann sagen 9: die Öffnung der Grenzen. Die Brennergrenze haben wir immer als Unrechtsgrenze empfunden und wir haben sie nie gewollt. Die Öffnung war wie eine Wiedergutmachung unserer unseligen Geschichte, denn wir zählen uns zum österreichischen,
deutschsprachigen Kulturraum. Die direkte Verbindung nach Österreich ist für uns extrem wichtig. Wenn diese Errungenschaft jetzt konsequent zerstört wird, indem man an der Grenze Kontrollen aufstellt, ist
das schlecht für uns. Es geht nicht darum, dass wir einen Pass vorzeigen müssen. Es geht um die Symbolik.
Wie hat das Schengen-Abkommen, also die Öffnung der Grenze zu Österreich, ihr Leben in Südtirol verändert?
Damals war die Fahrt nach
Innsbruck in Österreich eine Reise in einen anderen Staat mit einer anderen Währung – etwas Besonderes. Wenn meine Söhne heute nach Innsbruck fahren, existiert für sie überhaupt keine Grenze mehr, nicht auf den Straßen und nicht in den Köpfen. Innsbruck ist dasselbe für sie wie Bozen. Die Grenzöffnung ist so eine höchst positive Entwicklung der Geschichte – so etwas sollte man nicht
leichtfertig rückgängig machen.