Sie wollen alles sein, nur nicht Mainstream. Dabei sind sie dort längst angekommen. Die sogenannte Neue Rechte hat nicht erst seit der Flüchtlingskrise Konjunktur. Die Pegida-Bewegung, die Sarrazin-Debatte, Gründung und Aufstieg der AfD: All das gab es bereits vor 2015. Schleichend wurde die Wut vom Internet auf die Straße und schließlich in die Parlamente getragen. Die Wütenden eint dabei die Ablehnung der EU, das Feindbild Islam, sie feiern Donald Trump, Viktor Orban oder Wladimir Putin. Sie fürchten eine Islamisierung ihres Abendlandes und rufen zum Widerstand auf. Ihr Ziel: Die Revolution von rechts. Multiplikatoren wie der Chef des Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, der Verleger Götz Kubitschek oder auch der Chef der AfD in Thüringen, Björn Höcke sind zentrale Figuren dieser Bewegung. "Sezession", "Blaue Narzisse", "PI-News", "Deutschland-Kurier", "Junge Freiheit" oder "Journalisten Watch" heißen die einschlägigen "Alternativmedien" dazu.
Drei Jahre lang haben die Journalisten Christian Fuchs und Paul Middelhoff Strukturen und Netzwerke der Neuen Rechten nachgespürt. Sie haben sich neben den einflussreichsten Personen und Publikationen vor allem die Ideologien und Finanzströme dahinter angeschaut und sind bei bei ihren Recherchen auf eine Konstante gestoßen: die AfD.
watson: Ihr habt euch die Strukturen und Netzwerke der sogenannten Neuen Rechten angeschaut. Was unterscheidet neu von alt?
Paul Middelhoff: Die Neue Rechte, zu der wir nach drei Jahren Recherche knapp 150 Organisationen zählen, unterscheidet sich von der Alten Rechten dadurch, dass sie viel professioneller auftritt, dass sie mit der AfD in den Parlamenten vertreten und auch inhaltlich anders aufgestellt ist. Die Alte Rechte, also die Neonazis der neunziger und frühen zweitausender Jahre romantisieren das NS-Regime. Die Neuen Rechten agieren anders: Sie sagen zwar, das Dritte Reich sei schlimm gewesen. Aber gleichzeitig relativieren sie den Nationalsozialismus, indem sie sagen, dass es ja nur zwölf Jahre Unrechtsherrschaft gewesen seien, also nur ein kleiner Teil einer ansonsten großen, reichen deutschen Geschichte.
Heute wollen ja nicht mal mehr die Nazis Nazis sein, sondern geben sich blumig wie die Identitären oder sitzen stocksteif in den Parlamenten. Was ist eigentlich aus dem traditionellen Neonazi mit Glatze und Springerstiefeln geworden?
Den gibt es heute immer noch. Die NPD hat zwar massiv Stimmen an die AfD verloren. Es gibt aber nach wie vor aktive Neonazigruppen, wie etwa das Unterstützerumfeld des NSU. Interessant ist eine Entwicklung, die bei den Demos in Chemnitz im letzten Jahr zu beobachten war. Dort sind alte Nazis und Neue Rechte zusammen auf die Straße gegangen. Zum ersten Mal war die Zusammenarbeit der beiden Gruppen da ganz öffentlich zu beobachten.
Die Neue Rechte grenzt sich bewusst von der Nazidiktatur ab und dockt ideologisch eher an die sogenannte "Konservative Revolution" der 1920er an, eine Bewegung, die einst gegen die verhasste Weimarer Demokratie wetterte. Heute allerdings mit sehr modernen Mitteln. Die habt ihr euch auch angeschaut …
Ein zentraler Begriff der Neuen Rechten ist die "kulturelle Hegemonie". Die wollen ihre Aktivsten zurückerlangen. Sie fühlen sich von den angeblichen Auswüchsen der "68-Revolution" beherrscht. Die Kulturelle Hegemonie verstehen sie als eine Art Gegenangriff auf das Establishment. Das Konzept wird in Zeitschriften und Blogs der Neuen Rechten immer wieder beschworen.
Die Identitären etwa geben sich jung, modern und hip und sind auf den ersten Blick gar nicht als Rechte zu erkennen. Nach und nach wollen die Rechten so die Gesellschaft mit ihren Themen und Perspektiven durchdringen.
Diese Gegenbewegung organisiert sich vor allem übers Netz. Was haben diese neurechten Netzwerke online anderen voraus?
Tatsächlich hat die AfD gemessen an ihrer Größe mehr Follower als alle anderen Parteien. Der Partei ist bewusst, wie wichtig das Netz für sie als Resonanzraum ist, in dem sie das Sagen hat. Aber nicht nur die AfD ist ihrer Konkurrenz im Netz überlegen: Auch die Aktivisten der Neuen Rechten tummeln sich dort, zum Beispiel auf Gameservern, die normalerweise für Onlinevideospiele genutzt werden. Dort verabreden sie sich ganz gezielt zu Aktionen, sind in militärische Ränge eingeteilt, es gibt eine Kommandostruktur. Dort werden dann Tagesbefehle ausgegeben: Greift diesen und jenen Nutzer auf Twitter an, beleidigt ihn, macht ihn fertig. Christian Fuchs, mit dem ich zusammen das Buch geschrieben habe, ist das letztes Jahr selbst passiert.
Welchen Reiz üben Neurechte gerade auch auf junge Menschen aus?
Was wir beobachten, ist, dass die Neue Rechte jungen Menschen viele Angebote macht. Das sind die Burschenschaften, die es immer schon gegeben hat, die nun auf der Welle des Rechtsrucks reiten und Interessierte einsammeln – oder eben die Identitäre Bewegung, die gezielt auf die Jugend setzt. Wobei diese Gruppierung rein zahlenmäßig erstaunlich klein ist. Das sind nach unseren Erkenntnissen etwa 300 Aktivisten in Deutschland, die aber im Netz wahnsinnig professionell auftreten und so sehr viele junge Leute anziehen. Sie geben sich bürgerlich und wollen die eigene Identität gegen eine angebliche Bedrohung von außen verteidigen – damit meinen Sie Migration und den Islam. Das ist eine Jugendkultur, die sich durch Abgrenzung definiert, deshalb ist sie attraktiv. Aber eben durch Abgrenzung von rechts.
Wie weit reichen neurechte Netzwerke in die gesellschaftliche Mitte?
Man muss sich ja nur einmal die Wahlerfolge der AfD in den letzten Jahren anschauen: im Bundestag die größte Oppositionspartei, im Osten teilweise über 20 Prozent. Die Themen der Neuen Rechten werden über die sozialen Medien in die Mitte der Gesellschaft getragen. Die Diskussion über Mesut Özil im vergangenen Jahr war kein rechtes Randphänomen, sie wurde in der Mitte der Gesellschaft ausgetragen. Die AfD hat dabei sehr wirkmächtig mit großem Furor ihre Themen platziert. Als ich die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch gefragt habe, sagte sie mir, die Debatte gehen auf das Konto ihrer Partei. Und damit hat sie bis zu einem gewissen Grad recht.
Ist die AfD so etwas wie der politischer Arm der neuen rechten Netzwerke?
Nach unseren Erkenntnissen ist die AfD noch mehr als das.
Viele der Redebeiträge haben ihren Ursprung und ihre intellektuellen Wurzeln in der Neuen Rechten. Gleichzeitig ist die AfD auch Arbeitgeber für viele Aktivisten und Publizisten aus der Neuen Rechten. Ehemalige Redakteure rechter Medien oder rechtsradikale Burschenschaftler arbeiten heute als Referenten oder wissenschaftlicher Mitarbeiter für die AfD in Landtagen und im Bundestag.
Und dass über nationale Grenzen hinaus. Ihr wart für eure Recherchen auch mit dem AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier in Serbien unterwegs.
Ja. Ich habe ihn 2017 begleitet. Er hat in Belgrad befreundete Politiker einer rechten Splitterpartei getroffen und hat auf einer Wahlveranstaltung in der Provinz in scharfem Ton gegen die EU gewettert und vor dem Islam gewarnt. Es war interessant zu sehen, wie die AfD relativ früh ihre Fühler international ausgestreckt hat, wie sie sich international vernetzt – gerade in Osteuropa und Russland.
Besonders Wladimir Putin wird in diesen Kreisen gefeiert. Welche Rolle spielt er?
Putin ist eine Sehnsuchtsfigur der Neuen Rechten. In Putin sehen sie einen konservativen Patrioten, der das nationale Interesse des Landes in den Vordergrund stellt, der keine Flüchtlinge aufnimmt, der keine gleichgeschlechtlichen Ehen zulässt und die klassische Familie beschützt. So eine Figur fehlt vielen von ihnen in Deutschland.
Es gibt ja die verschiedensten Strömungen innerhalb der Neuen Rechten. Habt ihr bei euren Recherchen so etwas wie einen kleinsten ideologischen Nenner gefunden?
Ganz zentral ist sicher die Ablehnung des Islam und der Einwanderung von Muslimen. Ein Begriff der dort die Runde Macht ist die These vom "Großen Austausch". Dahinter verbirgt sich die Behauptung, die europäische Bevölkerung würde durch kulturfremde Einwanderer ausgetauscht. Damit sind vor allem Muslime gemeint. Das ist die ganz große Erzählung, die die gesamte Neue Rechte durchzieht.
Habt ihr negative Erfahrungen bei der Recherche gemacht? Hat sicher nicht jedem gefallen…
Gerade bei Veranstaltungen und Demonstrationen in Ostdeutschland haben wir schwierige Erfahrung gemacht. Wir haben erlebt, dass wir angefeindet wurden, sobald wir uns als Journalist zu erkennen gaben. Man hat versucht, uns einzuschüchtern. In Onlineforen von einschlägig bekannten Seiten wurden und werden wir diffamiert, zum Start des Buches bekommen wir auch ganz handfeste Drohungen. Alles Dinge, die darauf abzielen, uns bei unserer Arbeit zu hindern. Wir lassen uns davon aber natürlich nicht einschüchtern.