Der G20-Gipfel verwandelte Hamburg vor einem Jahr noch in eine Kampfzone: Hundertschaften der Polizei prallten auf Demonstranten und vermummte Randalierer. Es kam zu Protesten und Ausschreitungen, Supermärkte wurden geplündert, Autos angezündet, Demonstranten festgenommen.
Die Hamburger ärgerten sich über die Krawalle und die Stadt, die Stadt beklagte sich über die internationale linke Szene, die linke Szene über die G20.
Am 6. Juli 2017 hatte Andre Kramer davon genug. Der Comedian wohnt auf St. Pauli – also dort, wo es damals unter anderem krachte – und wurde zur G20-Berühmtheit, nachdem ein Foto von ihm mit dem Schild "Ich bin Anwohner und gehe nur kurz zu Edeka" viral ging.
Wie kam es denn zum Edeka-Schild?
Andre Kramer: Mein ganzes Viertel
wurde seit Tagen belagert und ich, beziehungsweise die Menschen, die
hier wohnen, mussten trotz des Trubels ihren alltäglichen Dingen
nachgehen.
Bei der großen "Welcome
to Hell"-Demo standen sich Hundertschaften der Polizei und der schwarze Block
gegenüber und ich musste da durch, weil ich Hunger hatte.
Dann habe ich spontan
in zwei Minuten dieses Schild zusammengebastelt, um zu signalisieren, dass ich für niemanden eine Gefahr darstelle.
Wie waren die
Reaktionen auf dein Foto?
Die Reaktionen waren zu
über 95 Prozent positiv. Es war spannend zu beobachten, wie wenig Kontrolle du noch hast, wenn etwas viral geht.
Die meisten haben es
gefeiert – aber es gab auch den Vorwurf, dass das eine geplante
Marketing-Aktion war – bis hin zu völlig wilden Vermutungen, dass ich jemand
aus dem schwarzen Block
sei, der versuchte, eine massive Eisenstange in die Menge zu schmuggeln. Ab einer
gewissen Aufmerksamkeit hast du einfach keine Möglichkeit mehr, Dinge geradezurücken. Das war auf der einen Seite wahnsinnig
spannend und auf der anderen irgendwie beängstigend.
Warum meinst du,
kam gerade die Aktion so gut an?
Ich glaube, weil es die
Absurdität des G20-Gipfels in Hamburg mit der Unvereinbarkeit für die Menschen,
die hier leben, in Zusammenhang gebracht hat. Darüber hinaus wurden die
Menschen über die Nachrichten ja fünf Tage lang mit schlimmen Bildern von
brennenden Autos und massiver Gewalt konfrontiert. Ich glaube, dass es jedem mal ganz gut getan hat, zwischendurch auch zu lachen.
Wie stehst du
allgemein zu G20 in Hamburg?
Am meisten ärgert mich,
dass sich da im Vorfeld der Planung anscheinend keiner Gedanken darüber gemacht
hat, ob es eine gute Idee ist, den G20-Gipfel 500 Meter Luftlinie entfernt
von der roten Flora – einem der aktivsten linksautonomen Zentren in Europa – stattfinden zu lassen.
Dass es massive Auseinandersetzungen geben würde, war absolut
vorprogrammiert. Jeder
in der Stadt wusste, was passieren wird, außer der Senat und Olaf Scholz.
Hast du das Gefühl, die G20-Proteste haben irgendwas bewegt?
Nicht wirklich. Ob sich
wirklich etwas ändert, zeigt sich erst beim nächsten G20-Gipfel. Wenn sich die
Staats- und Regierungschef auf einem Kreuzfahrtschiff treffen und dann für drei Tage aufs Meer fahren, hätte sich was verändert. Wenn der nächste Gipfel aber
wieder im Zentrum einer Großstadt stattfindet, sowohl im Vorfeld Millionen
kostet, als auch im Nachgang Millionen an Schäden zu beheben sind, wird sich
nichts verändert haben.
Hat Edeka nie gefragt, ob sie eine Kampagne daraus machen können?
Nein, das haben sie
nicht.
Ist dir danach jemals wieder so ein viraler Coup gelungen? Etwas in der Größenordnung ist mir bis jetzt nicht wieder gelungen. Und wenn man bedenkt, dass halb Deutschland es gesehen hat und das Bild im russischen vk Netzwerk 250.000 Likes bekommen hat und ich Screenshots von Nachrichtensendungen aus China und Amerika bekommen habe, wo mein Bild gezeigt wurde, wird das sehr schwer und ist auch nicht meine Priorität. Ich bin jetzt die nächsten zwei bis drei Jahren mit meinem Comedy Programm "Zuckerbrot ist alle" auf Deutschland-Tour – da liegt meine ganze Konzentration.