Man hätte es eigentlich ahnen können. Als Angela Merkel am Sonntagmittag dem ZDF Frage und Antwort stand, wirkte die Bundeskanzlerin fast schon zu gefasst. Da blitzte sie durch, die unnahbare CDU-Politikerin von früher, die schon so viele politische Konkurrenten überlebt hat.
Für ihren Noch-Innenminister Horst Seehofer allerdings lag die Sache ganz anders. Der hatte sich zum Zeitpunkt des Interviews bereits mit seiner CSU zum Krisen-Meeting getroffen. Gereizt war er dort, beschwerte sich laut und ausgiebig über Merkel. Unter dem Strich sagte er seiner Partei: Das bringe so alles nichts mehr.
Es folgte Historisches: Der früher so dominierende Seehofer wollte in München zurücktreten. Dann sprachen die CSU-Spitzen wie wild auf ihn ein. Die einen, weil sie Seehofer in Berlin brauchen. Die anderen, weil sie vor der Bayernwahl noch nicht aus dem Windschatten ihres Noch-CSU-Chefs treten wollen.
Schließlich spät in der Nacht: Die Ankündigung eines letzten Treffens mit der CDU in Berlin. Jetzt wartet ganz Deutschland darauf, was passieren könnte.
Dabei ist eigentlich schon ganz klar. Horst Seehofer und seine CSU haben verloren, egal wie der Tag heute endet:
Es ist bekannt, dass Horst Seehofer nicht mit Angela Merkel übereinstimmt. Er glaubt, sie habe 2015 einen riesigen Fehler gemacht, als sie die Flüchtenden ins Land ließ.
Wenn Seehofer aber seine Wut auf die Kanzlerin noch zurückhalten kann, und dieses Spiel heute rational zu Ende spielt, dann bleibt ihm eigentlich keine Wahl:
Sein geplanter Rücktritt ist die einzige Möglichkeit, um die Union von CDU und CSU zumindest auf Zeit noch zu retten. Das kleinste Übel sozusagen. Auch Angela Merkel ist das bewusst, auch sie hat in den vergangenen Wochen auf Risiko gespielt.
Man darf nicht vergessen, dass Horst Seehofer den Streit angefangen hat, als er der Kanzlerin mit einem Alleingang und Grenzkontrollen drohte. Zwei Wochen gab er der Kanzlerin, um Ergebnisse zu präsentieren.
Das Ultimatum sollte ihr eine Aufgabe geben, die sie eigentlich gar nicht lösen kann. In kurzer Zeit sollte sie eine europäische Lösung für die Flüchtlingsfrage finden. Für ein Problem also, bei dem die EU seit Jahren auf der Stelle tritt.
Man kann sich gut vorstellen, dass eine berechnende Angela Merkel darauf baute, dass die CSU einen Bruch der Fraktion am Ende aber nicht zulassen würde.
Jedenfalls hat sie in besagten zwei Wochen den Ultimatums-Druck geschickt auf Seehofer zurückgespiegelt.
Denn Horst Seehofer bezog nicht alle Unbekannten mit ein in seine Rechnung.
Merkel schon, und sie lieferte. Sie setzte auf ihre europäischen Partner. In den ersten Tagen des CSU-Ultimatums fuhr sie sofort die wichtige Unterstützung der französischen Regierung ein. Außerdem telefonierte sie mit dem neuen italienischen Ministerpräsidenten und sie sprach sogar mit dem Problem-Partner in der Flüchlingsfrage: Viktor Orbán in Ungarn.
Es folgten gleich zwei Asylgipfel, ein Maßnahmenprogramm, eine umgekrempelte, nach rechts gerückte europäische Migrationspolitik.
Die war zwar vor allem von symbolischer Natur, weil ihre Umsetzung noch einiges an Zeit und Abstimmung brauchen wird. Aber Merkel entzog Seehofer öffentlich den inhaltlichen Boden. Plötzlich trieb das Ultimatum nicht mehr sie, sondern Seehofer.
Der hatte vielleicht auch unterschätzt, dass er die anderen EU-Staaten mit seiner Drohung eines deutschen Alleingangs auch abschrecken würde – und dass sogar die rechten Regierungen in Ungarn und Italien ein kooperatives Deutschland als Nachbarn bevorzugen.
Nach innen demonstrierte Merkel derweil Härte und erinnerte ihren
Minister an ihre Richtlinienkompetenz als Kanzlerin. Merkel erinnerte damit schlicht alle Beteiligten öffentlichkeitswirksam daran, wie die Hierarchie im Kabinett noch immer aussieht.
Am Schluss konnte er eigentlich nur noch einknicken, wenn ein historischer Fraktionsbruchs nicht vor allem an ihm hängen bleiben sollte.
So muss die Sitzung, bei der Seehofer bis in die Nacht hinein mit einen CSU-Parteifreunden diskutierte, geradezu frustrierend gewesen sein, weil Seehofer längst klar war, wie wenig Spielraum er eigentlich noch hatte. So entstand vermutlich seine Rücktrittsabsicht.
Er hätte auch zurückstecken können und beide, CDU und CSU, wären aus der Sache herausgekommen. Die Kanzlerin hätte geliefert, der Minister hätte seine Forderungen zumindest symbolisch bekommen.
Vielleicht konnte Seehofer nicht mehr so einfach zurückstecken. Für ihn war dieser Streit auch einer um Glaubwürdigkeit. Und deshalb gab es jetzt nur noch die eine Frage: Alles oder nichts, Fraktionsbruch oder Rücktritt.
Heute geht es eigentlich nur noch darum, auszuloten, wie groß der entstandene Schaden des CSU-Fiaskos wirklich sein wird.
Einige in der CSU favorisieren die Flucht nach vorne und den Bruch. Eines muss man Seehofer lassen, mit seinem Rücktrittsgesuch gestern hat er gezeigt: Das wäre am Ende trotz aller Widersprüche nicht sein Wunsch.