Für Mathias Sander ist die Sache klar: „Wenn du ein Haus besetzt, dann musst du auch begründen, warum das ok ist.“ Und Gründe fallen dem Endzwanziger einige ein.
Wenn er an der Grenze der Berliner Stadteile Neukölln und Kreuzberg entlangspaziert, sagt Sander wenig über sich selbst. Stattdessen zeigt er immer wieder auf die Gebäude am Straßenrand. An vielen von ihnen prangenTransparente und Graffittis, die den großen Immobilien-Firmen den Kampf ansagen: "Wir bleiben alle" steht da, oder: "Reclaim your City".
Dort leisteten die Menschen noch Widerstand, erzählt Sander.
Am Wochenende hat dieser tägliche Widerstand nationale Aufmerksamkeit bekommen. Sander und zahlreiche Aktivisten riefen in Berlin den "Karneval der Besetzungen" aus.
Insgesamt 9 leerstehende Gebäude nahmen er und seine Mitstreiter ein. Zum Teil geschah das symbolisch, mit Bannern und Spruchbändern. Zum Teil verschafften sich die Besetzer aber auch tatsächlich Zugang. Kritiker würden sagen: Sie begingen Hausfriedensbruch.
Seitdem diskutiert man in Deutschland darüber, was Anwohner dürfen, um sich gegen die explodierenden Mietpreise und den schwierigen Wohnungsmarkt in Deutschland zur wehren – und was sie nicht dürfen.
Die sozialen Unterschiede in deutschen Städten nehmen gerade deutlich zu. Erst am Mittwoch hat das Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung eine Studie veröffentlich, die zeigt: In 74 deutschen Städten leben Arme und Reiche immer seltener Tür an Tür. Besonders ausgeprägt ist die soziale Spaltung in Ostdeutschland.
Auf der einen Seite stehen die teuren Innenstädte, auf der anderen spricht die Studie von zunehmender Ghettoisierung. Wer die Miete nicht mehr zahlen kann, muss rausziehen aus der Stadt.
Die Meinungen darüber gehen auseinder, nicht nur zwischen den politischen Lagern.
Grünen-Chef Robert Habeck etwa kritisierte die Aktivisten vom Wochenende in einem interview mit der Welt heftig – und holte sich prompt selbst eine verbale Ohrfeige vom Altgrünen Hans-Christian Ströbele ab. Der vertrat als Anwalt schon oft Hausbesetzer in Berlin.
Mathias Sander sieht ein generelles Problem beim Thema Eigentum an Grund und Boden. "Wieso darf nur jemand bestimmen, was mit einem Ort passiert, der viel Geld hat", fragt er.
Es steckt viel Wut in diesen Aussagen. Seit fünf Jahren ist er in der Szene aktiv, in Kontakt mit den anderen Besetzern kam er über gemeinsame Koch-Abende. Das klingt abwägig, passiert in der Szene aber oft.
Gegenüber der Öffentlichkeit spricht Sander für den Kiezladen in der Friedel 54 in Neukölln. Den hatte die Polizei im Sommer 2017 gewaltsam geräumt. Zuvor waren die Bewohner daran gescheitert, das Gebäude zu kaufen. Ein Investor hatte sie überboten. "Unsere Bewegung besteht aber natürlich weiter", sagt Sander.
Sie kämpfe jetzt für einen neuen Laden und dafür, dass sich die Rechtslage zum Thema Besetzung ändert. Denn die wird in den Augen von Sander den Menschen in der Stadt nicht mehr gerecht.
Dem entsprechend groß sei der Zurspruch für die #besetzen-Bewegung. Nach eigenen Angaben der Aktivisten kommen Zuschriften aus ganz Deutschland. "Dort gibt es noch leere Räume und dort", heißt es darin.
Für Sander sind ungenutzte Gebäude nur ein Teilaspekt. Selbst wenn man all diese Räume nutze, würden die Kieze dennoch weiter Stück für Stück von großen Immobilien-Unternehmen aufgekauft.
Der linke Gentrifizierungsforscher und ehemalige Berliner Staatssekretär für Wohnen, Andrej Holm, rechnete gerade bei Spiegel Online vor:
Solche Trends lassen sich nicht nur in Berlin beobachten. Auch in Städten wie Leipzig oder Halle fließt gerade enorm viel Kapital in den Wohnungskauf. Die Mieten dort sind noch niedrig, aber für Aktivisten wie Sander ist das nur eine Frage der Zeit.
Seine Gruppe plant schon die nächsten Aktionen, etwa will sie ein neues Soziales Zentrum in Neukölln gründen.
Je mehr es von diesen Zentren gibt, so ist Sander überzeugt, desto stärker könne das Bürgertum in den Kiezen wieder Einfluss nehmen. Die Devise heißt: Netzwerke gegen den Ausverkauf. "Vor allem in den Rändern der großen Städte braucht es solche Strukturen."
Es geht dem Aktivisten nicht nur um die Wohnungen und Räume an sich. Er will offene öffentliche Räume erzeugen, die keine Seite einseitig einnehmen kann und in denen es trotzdem Platz für Privatsphäre gibt.
"Ob wir das neue Zentrum anmieten oder wieder besetzen wollen, wissen wir noch nicht", sagt er.