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Interview

Nach Chemnitz – Mission Lifeline in Dresden verbarrikadiert sich

DRESDEN, GERMANY - JULY 27: Supporters of the Pegida movement, including one holding a sign that reads: "Stop asylum cheaters, each one is one too many, go home! No welcome! Deportation!", m ...
Bild: Getty Images Europe / markus weinberg (montage watson)
Interview

"Wir hatten mehrfach Besuch von Rechten" – Seenotretter in Dresden verbarrikadieren sich

28.08.2018, 18:2029.08.2018, 20:01
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Am Montagabend wurde bekannt, dass es nach den Krawallen in Chemnitz, auch am darauffolgenden Tag in Dresden zu Demonstrationen kommen sollte.

Die Seenotrettungsorganisation "Mission Lifeline" sitzt mit ihren fünf Mitarbeitern in Dresden. Aufgrund der Vorkommnisse in Chemnitz haben sie sich dazu entschlossen, die Vereinsräume zu verbarrikadieren.

watson hat mit Axel Steier, 43, Gründungsmitglied von "Mission Lifeline" darüber gesprochen.

watson: Herr Steier, wie kam es zu Ihrer Entscheidung, die Vereinsräume zu barrikadieren?
Axel Steier: Wir haben gestern feststellen müssen, dass in Chemnitz erheblich mehr Neonazis aufgeschlagen sind, als die Polizei gedacht hat. Und da hat die Polizei in der Bewertung gesagt, dass Personalmangel bestünde. Dann habe ich die Live-Videos von Ihrem Reporter Herrn Huesmann gesehen und wir haben dann kurz besprochen, wie wir darauf reagieren – die Heidenauer Wellenlänge und das Umfeld der Freitaler Terrorgruppe sind nicht so ganz ohne.

Chemnitz: watson-Reporter Felix Huesmann berichtet vor Ort

Video: watson/Felix Huesmann, Lia Haubner

Die Polizei hatte die Lage nicht im Griff und uns damit signalisiert, dass sie uns nicht schützen kann. Dann haben wir mit unseren Maßnahmen begonnen.

Wie sehen die Maßnahmen genau aus?
Wir lagern alles aus und verstärken den Zugang, das heißt, wir machen die Haustür dicht, so dass die Vereinsräume nicht zugänglich sind. Wir haben Akten weggeschafft, damit keine Spenderdaten in die Hände von anderen kommen bei Überfällen. Das Büro ist jetzt praktisch leergeräumt und wir haben zwei OSB-Platten vor die Tür geschraubt. Das sollte jetzt erstmal reichen. Dann werden wir unsere Anwohner über die Möglichkeit eines "Besuches" informieren. Das ist ja leider nichts Neues, wir hatten schon mehrmals "Besuch" von Rechten.

Sie hatten schon mehrfach "Besuch", wie Sie das so nett formulieren. Was waren das für Leute und was ist da passiert?
Das waren die "Identitären". Das wissen wir daher, da es die Mitglieder der "Identitären Bewegung" sind, die selbst Videos und Fotos aufnehmen und auf ihren Websiten hochladen. Die waren zwei Mal da, einmal mit Sachbeschädigung von deren Schlägerleuten. Zu dem Zeitpunkt waren wir glücklicherweise nicht im Büro. Die haben dann unsere Hauswand mit roter Farbe besudelt und vor dem Haus Fotos gemacht, die sie mit falschen Tatsachenbehauptungen auf ihrer Facebook-Seite hochgeladen haben. Daraufhin sind wir vor Gericht gezogen mit einer Unterlassungserklärung und haben gewonnen. Das war letztes Jahr. Dieses Jahr vor etwa vier Monaten, gab es dann wieder "Besuch".

Und wer war dieses Mal da?
Wieder die "Identitäre Bewegung", mit 10 Schlägertypen. Auch da waren wir zum Glück nicht im Büro. Wir haben aber Videos von den Randalierern gesehen, die Nachbarn aufgenommen hatten. Unsere Nachbarn hatten die Schläger lautstark vertrieben. Aber die Rechten wissen eben, wo wir sind. Seit dem "Absaufen, Absaufen"-Video von Pegida ist ja auch bundesweit bekannt, dass wir die größten Feinde von Rechten sind. Wir rechnen ständig damit, dass etwas passiert.

Das ist Axel Steier:

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Bild: Markus Weinberg

Jetzt ist Ihr Büro verbarrikadiert. Die Polizei Sachsen hat unter ihren Tweet kommentiert: "Dem widersprechen wir, selbstverständlich fließt der Schutz gefährdeter Objekte in die Einsatzplanung ein."
Naja, die haben uns angerufen und gesagt, dass sie uns keinen Streifenwagen vor die Tür stellen, aber wir die 110 wählen können, wenn wir konkrete Hinweise haben. Sie schätzen die Lage aber als nicht so gefährlich ein.

Und wie schätzen Sie selbst die Lage ein?
Wir bekommen jeden Tag Post und Hassmails. Es gibt Leute, die Backpulver verschicken. Wir machen die Pakete mit speziellen Techniken auf, gucken schon ziemlich, dass wir uns schützen. Beruhigend wäre, wenn gegen rechts vorgegangen wäre. Und das ist in Chemnitz nicht passiert. Das, was wir gesehen haben, die Hitlergrüße und all das, ist ja nur der eine Teil. Nach der Demo geht es nach Hause, da werden weiter Leute verprügelt, teils sogar Terrorakte geplant. Wir haben keine Angst, aber sind schon vorsichtig.

Wie bewerten Sie das Verhalten der sächsischen Polizei?
Das Ding ist: Wir erleben, dass gehetzt wird. Wir bekommen sofort mehr Hassmails, wenn wir bei Pegida erwähnt werden, das steht in direktem zeitlichen Zusammenhang. Wir haben hier einfach eine ganze Reihe an Straftaten, die auf die Hetze zurückzuführen sind. Wir erleben bei den Pegida-Kundgebungen ein aggressives Vorgehen gegenüber Gegendemonstranten seitens der Polizei und gegenüber Pegida ein eher wohlwollendes Verhalten. Unser Eindruck ist, dass hier in Sachsen so einiges schief läuft im Innenministerium. Aber das ist gar nicht die Haupt-Ebene. Das ist eher die mittlere Management-Ebene bei der Polizei, die eben ganz klar AfD-nah ist. Die einzelnen Gruppen, die draußen rumrennen, machen das, was ihnen befohlen wird. Aber wenn der Befehlshaber eine ganz bestimmte politische Richtung hat, dann ist das Ergebnis nicht verwunderlich, wie wir jetzt auch in Chemnitz sehen.

Fühlen Sie sich von der Polizei in Sachsen jetzt geschützt?
Also darauf verlassen würden wir uns nie.

Auch die Seenotretter von Sea-Watch aus Berlin berichten von regelmäßigen Drohbriefen und Hassmails

Der Pressesprecher Ruben Neugebauer, 29, sieht das Problem vorrangig in der Politik:

Wir bekommen ständig Hassmails und Drohbriefe. Nach den Ereignissen in Chemnitz machen wir uns aber vor allem Sorgen um diejenigen, die sich in Sachsen gegen rechts engagieren. Wenn die Polizei in Chemnitz es nicht schafft, mehr als 200 Polizisten hinzustellen, wenn sich Pogrome ankündigen, muss man sich fragen, was dahintersteckt. Chemnitz ist nach dem LKA-Mitarbeiter der zweite Vorfall innerhalb kurzer Zeit, in dem Sachsen im Vordergrund steht. Das ist nicht nur ein reines Nazi-Problem, sondern eines, das sich mitten in unserer Gesellschaft befindet.Es gibt viele Menschen, die sich nicht mehr sicher fühlen, und zwar wegen der Faschisten, nicht wegen ein paar Geflüchteten. Wann werden deren Sorgen ernst genommen?
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