Die Seenotrettungsorganisation "Mission Lifeline" sitzt mit ihren fünf Mitarbeitern in Dresden. Aufgrund der Vorkommnisse in Chemnitz haben sie sich dazu entschlossen, die Vereinsräume zu verbarrikadieren.
Das verkündeten sie auf ihrem Twitter-Kanal:
watson hat mit Axel Steier, 43, Gründungsmitglied von "Mission Lifeline" darüber gesprochen.
watson: Herr Steier, wie kam es zu Ihrer Entscheidung, die Vereinsräume zu barrikadieren? Axel Steier: Wir haben gestern feststellen müssen, dass in Chemnitz erheblich mehr Neonazis aufgeschlagen sind, als die Polizei gedacht hat. Und da hat die Polizei in der Bewertung gesagt, dass Personalmangel bestünde. Dann habe ich die Live-Videos von Ihrem Reporter Herrn Huesmann gesehen und wir haben dann kurz besprochen, wie wir darauf reagieren – die Heidenauer Wellenlänge und das Umfeld der Freitaler Terrorgruppe sind nicht so ganz ohne.
Chemnitz: watson-Reporter Felix Huesmann berichtet vor Ort
Video: watson/Felix Huesmann, Lia Haubner
Die Polizei hatte die Lage nicht im Griff und uns damit signalisiert, dass sie uns nicht schützen kann. Dann haben wir mit unseren Maßnahmen begonnen.
Wie sehen die
Maßnahmen genau aus? Wir lagern alles aus und verstärken den Zugang, das heißt, wir machen die Haustür dicht, so dass die Vereinsräume nicht zugänglich sind. Wir haben Akten weggeschafft, damit keine Spenderdaten in die Hände von anderen kommen bei Überfällen. Das Büro ist jetzt praktisch leergeräumt und wir haben zwei OSB-Platten vor die Tür geschraubt. Das sollte jetzt erstmal reichen. Dann werden wir unsere Anwohner über die Möglichkeit eines "Besuches" informieren. Das
ist ja leider nichts Neues, wir hatten schon mehrmals "Besuch" von Rechten.
Sie hatten schon
mehrfach "Besuch", wie Sie das so nett formulieren. Was waren das für Leute und was ist da passiert? Das waren die "Identitären". Das wissen wir daher, da es die Mitglieder der "Identitären Bewegung" sind, die selbst Videos und Fotos aufnehmen und auf ihren Websiten hochladen. Die waren zwei Mal
da, einmal mit Sachbeschädigung von deren Schlägerleuten. Zu dem Zeitpunkt waren wir glücklicherweise nicht im Büro. Die haben dann unsere Hauswand mit roter Farbe besudelt und vor
dem Haus Fotos gemacht, die sie mit falschen Tatsachenbehauptungen auf
ihrer Facebook-Seite hochgeladen haben. Daraufhin sind wir vor Gericht gezogen mit einer Unterlassungserklärung und haben gewonnen. Das war letztes Jahr. Dieses Jahr vor etwa vier Monaten,
gab es dann wieder "Besuch".
Und wer war dieses Mal da? Wieder die "Identitäre Bewegung", mit 10 Schlägertypen.
Auch da waren wir zum Glück nicht im Büro. Wir haben aber Videos von den Randalierern gesehen, die Nachbarn aufgenommen hatten. Unsere Nachbarn hatten die Schläger
lautstark vertrieben. Aber die Rechten wissen eben, wo wir sind. Seit dem "Absaufen,
Absaufen"-Video von Pegida ist ja auch bundesweit bekannt, dass wir die größten Feinde von Rechten sind. Wir rechnen ständig damit, dass etwas passiert.
Das ist Axel Steier:
Bild: Markus Weinberg
Jetzt ist Ihr Büro verbarrikadiert. Die Polizei Sachsen
hat unter ihren Tweet kommentiert: "Dem widersprechen wir, selbstverständlich
fließt der Schutz gefährdeter Objekte in die Einsatzplanung ein." Naja, die haben uns angerufen und gesagt, dass sie uns
keinen Streifenwagen vor die Tür stellen, aber wir die 110 wählen können, wenn
wir konkrete Hinweise haben. Sie schätzen die Lage aber als nicht so gefährlich
ein.
Hier die Antwort der Polizei Sachsen:
Und wie schätzen Sie selbst die Lage ein? Wir bekommen jeden Tag Post und Hassmails. Es gibt Leute, die
Backpulver verschicken. Wir machen die Pakete mit speziellen Techniken auf,
gucken schon ziemlich, dass wir uns schützen. Beruhigend wäre, wenn gegen
rechts vorgegangen wäre. Und das ist in Chemnitz nicht passiert. Das, was wir
gesehen haben, die Hitlergrüße und all das, ist ja nur der eine Teil. Nach der
Demo geht es nach Hause, da werden weiter Leute verprügelt, teils sogar
Terrorakte geplant. Wir haben keine Angst, aber sind schon vorsichtig.
Wie bewerten Sie das Verhalten der sächsischen Polizei? Das Ding
ist: Wir erleben, dass gehetzt wird. Wir bekommen sofort mehr Hassmails, wenn
wir bei Pegida erwähnt werden, das steht in direktem zeitlichen Zusammenhang. Wir
haben hier einfach eine ganze Reihe an Straftaten, die auf die Hetze
zurückzuführen sind. Wir erleben bei den Pegida-Kundgebungen ein aggressives
Vorgehen gegenüber Gegendemonstranten seitens der Polizei und gegenüber Pegida ein eher wohlwollendes Verhalten. Unser Eindruck ist, dass hier
in Sachsen so einiges schief läuft im Innenministerium. Aber das ist gar nicht
die Haupt-Ebene. Das ist eher die mittlere Management-Ebene bei der Polizei,
die eben ganz klar AfD-nah ist. Die einzelnen Gruppen, die draußen rumrennen, machen
das, was ihnen befohlen wird. Aber wenn der Befehlshaber eine ganz bestimmte politische Richtung hat, dann ist das Ergebnis nicht verwunderlich, wie wir jetzt auch in
Chemnitz sehen.
Fühlen Sie sich von
der Polizei in Sachsen jetzt geschützt? Also darauf verlassen würden wir uns nie.
Auch die Seenotretter von Sea-Watch aus Berlin berichten von regelmäßigen Drohbriefen und Hassmails
Der Pressesprecher Ruben Neugebauer, 29, sieht das Problem vorrangig in der Politik:
Wir bekommen ständig Hassmails und Drohbriefe. Nach den Ereignissen in
Chemnitz machen wir uns aber vor allem Sorgen um diejenigen, die sich in
Sachsen gegen rechts engagieren. Wenn die Polizei in Chemnitz es nicht schafft,
mehr als 200 Polizisten hinzustellen, wenn sich Pogrome ankündigen, muss man
sich fragen, was dahintersteckt. Chemnitz ist nach dem LKA-Mitarbeiter der zweite Vorfall innerhalb
kurzer Zeit, in dem Sachsen im Vordergrund steht. Das
ist nicht nur ein reines Nazi-Problem, sondern eines, das sich mitten in
unserer Gesellschaft befindet.Es gibt viele Menschen, die sich nicht mehr sicher fühlen, und
zwar wegen der Faschisten, nicht wegen ein paar Geflüchteten. Wann werden deren
Sorgen ernst genommen?
Alice Weidel stellt radikalen Kurswechsel in Aussicht – inklusive "Remigration"
Nach ihrer Kür als AfD-Kanzlerkandidatin hat Parteichefin Alice Weidel einen radikalen Kurswechsel in der deutschen Politik in Aussicht gestellt. Sollte die AfD in Regierungsverantwortung kommen, würden die deutschen Grenzen "dicht" gemacht und es werde "Rückführungen in großem Stil" geben, sagte Weidel am Samstag beim AfD-Parteitag in Riesa.