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Unter 1000 Euro

Psychotherapeutin Marlene in unserer Armutsserie

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"Ich bin nicht die einzige Psychotherapeutin mit Burnout"

Hier sprechen regelmäßig Menschen, die von Armut betroffen sind.
01.07.2018, 10:4804.07.2018, 13:41
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Marlene (Name geändert) ist 32 Jahre alt und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Ausbildung in Frankfurt. Die ersten acht Monate bekam sie von der Klinik ein Gehalt von 400 Euro Brutto im Monat, was für die Branche "viel" ist, denn als Psychotherapeut in Ausbildung (PiA) hat man keinen Vergütungsanspruch.

Jetzt ist sie drei Tage pro Woche in der Psychiatrie einer Klinik für ein Nettogehalt von 1200 Euro angestellt und zwei Tage pro Woche arbeitet sie selbstständig als Therapeutin um ihre Behandlungsstunden abzuleisten und gleichzeitig ihre Ausbildungskosten von 40.000 Euro abzubezahlen.

Im Monat hat sie 1600 Euro zur Verfügung, die sich aus 1200 Euro Gehalt und 400 Euro von ihren Eltern zusammensetzt. Davon zahlt sie:

  • 600 Euro Miete
  • 100 Euro für Handy, Internet und Strom
  • 130 Euro für eine Monatskarte
  • 60 Euro Versicherung 
  • 150 Euro Praxisraum-Miete 
  • Rest für Essen, Kleidung, Freizeit 

Marlene hat einen Bachelor und Master in klinischer Psychologie. Bis sie mit ihrer Ausbildung fertig ist, werden 9 Jahre vergangen sein. Ihre Einstiegsgehalt als Psychotherapeutin in Vollzeit wird ungefähr 2000 Euro Netto betragen. 

So läuft die Ausbildung zur Psychotherapeutin ab
Die Ausbildung beginnt nach dem Studium (Master) der Psychologie und hat einen praktischen (1,5 Jahre) und theoretischen Teil (2 Jahre). Sie laufen parallel ab. Ein Jahr arbeitet man in einer Klinik, ein halbes Jahr in einer Praxis. Die Arbeit wird oft gar nicht oder nur sehr schlecht bezahlt. Nach der Zwischenprüfung müssen PiAs noch mindestens 600 Stunden unter Aufsicht arbeiten, ebenfalls für wenig Gehalt. Nach frühestens drei Jahren (meist dauert es bis zu 5 Jahre) erfolgt die Approbationsprüfung nach der man sich erst "Psychotherapeutin" nennen darf. Die Ausbildung zur Psychotherapeutin wird privat bezahlt. Marlene zahlt für ihre Ausbildung 40.000 Euro. Seit Jahren kämpfen Betroffene für eine Reform des Psychotherapeutengesetz, um die Vergütung der Auszubildenden zu verbessern.
Quelle: PsyStudents. e.V.

Würdest Du dich selbst als arm bezeichnen?

Ich würde mich nicht als arm, aber als dauerhaft finanziell angespannt bezeichnen. Ich muss immer schauen, wie ich mit meinem wenigen Geld klar komme. Das ist schon frustrierend, wenn ich darüber nachdenke, dass ich fünf Jahre studiert habe, die Ausbildung im Schnitt fünf bis sieben Jahre dauert und ich Vollzeit arbeite. Ich bin zwar Auszubildende, aber ich arbeite genauso hart wie jeder fertige Psychologe. Ich habe eigene Patienten, Verantwortung und der Job ist emotional sehr belastend. Wenn ich nach elf Jahren endlich fertig bin, habe ich keine Aussicht auf ein angemessenes Gehalt.

Woran merkst Du täglich, dass Du arm bist?

Wenn ich essen oder in den Supermarkt gehe, muss ich immer darüber nachdenken, ob ich mir das leisten kann. Wenn ich mir Klamotten kaufe, mache ich das nicht spontan, sondern muss es vorher planen.

Wie lange dauert es, bis das Geld knapp wird?

Meist passiert das in der letzten Woche des Monats, dann esse ich nur noch Sachen wie Nudeln oder Brötchen. 

Wieso willst du trotz dieser schlechten Bedingungen Psychotherapeutin werden? 

Aus Überzeugung. Ich will mit Menschen arbeiten und ihnen helfen. 

Ich frage mich oft: Wieso wird dieser soziale Beruf so schlecht oder gar nicht bezahlt? Ich empfinde es als ungerecht, dass Fachärzte, die ja zum Teil ganz ähnliche Arbeit machen wie wir, so viel besser verdienen.

Was musst du für dein Gehalt leisten?

Genauso viel wie eine fertige Psychotherapeutin. Ein Beispiel: Im Spätdienst bin ich drei Stunden alleine für die Kinder- und Jugendpsychiatrie zuständig – als Auszubildende. Der Oberarzt ist dann nur telefonisch erreichbar. Dann kommen drei Jugendliche mit dem Rettungswagen rein, zwei suizidal, einer psychotisch. Ich muss dann alleine einschätzen, was ich tun soll, ob die Situation gefährlich ist, wenn sich zum Beispiel einer selbst verletzt, ob sie auf Station sollen oder nicht. Wir haben immer Personalmangel, ich bin immer überlastet und muss mehr Patienten betreuen, als ich eigentlich soll.

 Ich bin zurzeit wegen Burnout krank geschrieben, weil ich an meine Grenzen gekommen bin. Ich bin nicht die einziges Psychotherapeutin mit Burnout. Dabei müsste doch gerade ich als Psychotherapeutin fit sein.
Das ist unsere Serie "Unter 1000 Euro"
Die allein erziehende Mutter, der junge Künstler und der Rentner, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt: Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch sie alle sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, genauso wie jeder Fünfte in Deutschland. watson trifft regelmäßig Menschen, die mit weniger als 1000 Euro Netto im Monat auskommen müssen.

Unterstützt dich jemand finanziell?

Meine Familie unterstützt mich und zahlt einen Teil meiner Ausbildungsgebühren von 40.000 Euro. Den anderen Teil muss ich gerade selbst an zwei Tagen die Woche abarbeiten. Dabei gilt allerdings: Eine ambulante Psychotherapiestunde kostet 90 Euro, ich bekomme davon aber nur 20 Euro. Außerdem muss ich im Monat 150 Euro Miete für den Praxisraum zahlen. 

Was hast du dir zuletzt gegönnt?

Im Februar war ich über meinen Geburtstag in Norwegen. Die Reise hat insgesamt um die 700 Euro gekostet. Das Geld hatte ich nur, weil ich es von der Steuer wiederbekommen habe.

Und worauf musstest du zuletzt verzichten?

Mein Bett ist kaputt und ich kann mir kein neues leisten. Deswegen schlafe ich seit vier Monaten auf dem Sofa.

Einen Kredit will ich nicht aufnehmen, meine Kreditkarte ist derzeit 2000 Euro im Minus.

Katharina kann sich ein Studium nur durch Schulden leisten:

Was war das krasseste, was du mal für Geld gemacht hast?

Ich finde es krass, dass ich meine Familie noch so oft nach Geld fragen muss. 

Ich bin 32, ich habe vier Jahre erfolgreich studiert, vier Jahre Ausbildung hinter mir und einen Vollzeit-Job. Ich finde es demütigend, dass ich meine Eltern noch um Geld bitten muss.
Wer ist arm in Deutschland?
16,1 Millionen Menschen, also jeder fünfte Deutsche, war im Jahr 2015 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.

Ein Mensch gilt als von Armut bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft: (Quelle: Leben in Europa EU-SILC).

1. Das Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze. 2015 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1033 Euro, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2170 Euro im Monat.

2. Der Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Das bedeutet, dass jemand zum Beispiel nicht in der Lage war, Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, die Wohnungen angemessen zu beheizen oder eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren.

3. Der Mensch lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
erwerbsbeteiligung.eu-silc-bericht 2015

Was müsste sich in Deutschland deiner Meinung nach ändern, um die Situation von Psychotherapeuten zu verbessern?

Die Auszubildenden müssen besser von den Kliniken bezahlt werden. Die Charité in Berlin zahlt Psychotherapeuten in Ausbildung 50 Euro im Monat, jedenfalls boten sie das einer Kommilitonin an, die sich dort 2014 bewarb und sie musste ablehnen (Anmerkung der Redaktion: Auf der Webseite der Charité steht, dass die Ausbildung momentan mit 150 Euro monatlich vergütet wird). Das liegt auch daran, dass es so wenige Plätze gibt, und man froh sein soll, wenn man überhaupt genommen wird.

Viele Kliniken nutzen das System bewusst aus. Sie füllen ihre Stellen mit günstigen Psychotherapeuten in Ausbildung und stellen sie nach Ablauf der Zeit nicht ein, sondern holen sich die nächsten billigen Arbeitskräfte.

Unsere Arbeit spart ihnen enorm viel Geld und wenn die Klinik privat ist, verdienen die Betreiber ohnehin schon viel. Dafür sind wir, die Auszubildenden, fast alle verschuldet, weil wir Kredite aufnehmen müssen. 

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