Jana (Name von der Redaktion geändert) ist 33 Jahre alt, gelernte IT-Systemkauffrau und alleinerziehende Mutter. Ihre Tochter wurde im März 2017 geboren, Jana trennte sich im September 2017 von ihrem Mann und bezieht seit Januar dieses Jahres Hartz IV – weil sie für ihre Tochter da sein möchte, wie sie sagt. Das Elterngeld ist im März 2018 ausgelaufen.
Was ist Elterngeld?
Das Elterngeld fängt fehlendes Einkommen auf, wenn Eltern nach der Geburt für ihr Kind da sein wollen und deshalb ihre berufliche Arbeit unterbrechen oder einschränken.
Den Eltern stehen gemeinsam insgesamt 14 Monate zu, wenn sich beide an der Betreuung beteiligen und den Eltern dadurch Einkommen wegfällt. Sie können die Monate frei untereinander aufteilen. Ein Elternteil kann dabei mindestens zwei und höchstens zwölf Monate für sich in Anspruch nehmen.
Auch getrennt lebenden Elternteilen steht das Elterngeld zur Verfügung. Alleinerziehende, die das Elterngeld zum Ausgleich des wegfallenden Erwerbseinkommens beziehen, können die vollen 14 Monate Elterngeld in Anspruch nehmen.
Der Gesamtbetrag von 1260 Euro monatlich setzt sich zusammen
aus:
ca. 820 Euro Hartz-IV
194 Euro Kindergeld
246 Euro Unterhalt
Für sich und ihre Tochter hat sie also knapp 630 Euro netto pro Person zur Verfügung.
Die monatlichen Fixkosten verteilen sich auf Miete, Versicherungen, Telefon, etc. und betragen ungefähr 760 Euro. Mutter und Kind bleiben damit rund 500 Euro monatlich zum Leben.
Weshalb möchtest du dein Kind nicht in Betreuung geben?
Nach der Elternzeit hätte ich auch sagen können, ich gehe wieder arbeiten,
aber das ist es mir a) nicht wert und b) bekomme ich so schnell keinen
Kita-Platz. Zudem möchte ich meine Tochter nicht mit einem Jahr schon in
Fremdbetreuung geben. Dafür ist die Zeit zu wertvoll.
Denn: In den ersten drei Jahren wird das Urvertrauen gebildet und es passiert so viel, was das Kind für sein
späteres Leben prägt. Für mich ist es extrem wichtig, dass die engste
Bezugsperson – und die bin ich als Mutter – zeigt: 'Ich bin immer für dich da,
du bist nicht alleine und du hast immer die Hilfe, die du brauchst.'
Ich habe ja kein Kind bekommen, um es abzugeben.
Klar wird
sie mit drei Jahren in den Kindergarten gehen – sofern sie einen Platz bekommt. Aber davor möchte ich nicht, dass sich
überlastetes Erziehungspersonal um sie kümmert. In der Kita kommen
meistens dreißig Kinder auf einen Erzieher. Wenn dann noch die Bezugsperson dort
Urlaub hat oder krank ist, dann geht da so viel verloren – das finde ich bescheuert.
16,1 Millionen Menschen, also jeder fünfte Deutsche, war im Jahr 2015 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
Ein Mensch gilt als von Armut bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft: (Quelle: Leben in Europa EU-SILC).
1. Das Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze. 2015 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1033 Euro, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2170 Euro im Monat.
2. Der Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Das bedeutet, dass jemand zum Beispiel nicht in der Lage war, Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, die Wohnungen angemessen zu beheizen oder eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren.
3. Der Mensch lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
erwerbsbeteiligung.eu-silc-bericht 2015
Sagt dir die Arbeitsagentur nicht, dass du dich bewerben sollst?
Bewerben muss ich mich nicht, da ich aktuell ein
Kind unter drei Jahren habe. Zum Glück sieht das Gesetz hier vor, dass die
Erziehung wichtiger ist und das Amt darf mich gar nicht dazu anhalten, mich zu
bewerben.
Aber ich werde, wenn meine Tochter mit drei Jahren im Kindergarten ist, eine Umschulung
und im Anschluss einen Techniker im Bereich Energie und Umwelt machen. Ich muss
mich nur noch informieren inwieweit das JobCenter/Arbeitsamt da unterstützt
und ob es da idealerweise auch ein Angebot zum dualen Studium gibt.
Was sagt das Gesetz dazu?
Solange das Kind noch keine drei Jahre alt ist. kann die Mutter frei entscheiden, ob sie zuhause beim Kind bleibt oder arbeiten geht. Das regelt ein Urteil des BGH.
Gesetzesgrundlage hierfür ist§ 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II.Darin heißt es: "Einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person ist jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass (...) die Ausübung der Arbeit die Erziehung ihres Kindes oder des Kindes ihrer Partnerin oder ihres Partners gefährden würde; die Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit die Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches oder auf sonstige Weise sichergestellt ist; die zuständigen kommunalen Träger sollen darauf hinwirken, dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wird,
Würdest du dich selbst als arm bezeichnen?
Nein. Wir kommen mit dem Geld soweit ganz gut klar, obwohl ich sogar immer frisch koche. In manchen Monaten ist
das Geld dennoch schon sehr früh aufgebraucht. Was ich gar nicht kann:
Rücklagen bilden. Das Amt sagt aber, dass man von dem Geld Rücklagen bilden
muss.
Wie viele Kinder sind in Deutschland von Armut betroffen?
Etwa 4,4 Millionen Kinder in Deutschland sind nach jüngsten Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) von Armut betroffen.
Es ist ja nicht so, dass mein Kind ankündigt: 'Du ich wachse jetzt mal.'
Das ist dann eher so, dass ich sie
morgens anziehe und merke 'Der Body passt aber gar nicht mehr. Verdammt.' Das
kann ich nicht planen. Wenn es knapp wird, dann wird es meistens so um den
20./25. herum knapp.
Die allein erziehende Mutter, der junge Künstler und der Rentner, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt: Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch sie alle sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, genauso wie jeder Fünfte in Deutschland. watson trifft regelmäßig Menschen, die mit weniger als 1000 Euro Netto im Monat auskommen müssen.
Floristin Stefanie hat auch wenig Geld und ist dennoch zufrieden:
So Sachen wie Urlaub gehen gar nicht – das ärgert mich.
Auch wenn es nur mal eine Woche Nordsee oder Holland auf dem Zeltplatz wäre. Außerdem habe ich kein Auto. Wenn ich eins brauche, dann muss
ich das von meinen Eltern ausleihen. Klar, würde das mit dem Zug gehen,
aber das ist dann oft mit Kind sehr umständlich, wenn wir zum Beispiel
einfach nur aufs Land fahren wollen. Und sowas wie abends rausgehen. Das fehlt mir auch.
Hartz-IV bedeutet oft auch Verzicht für die Kinder:
Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, um die Situation von Müttern in Deutschland zu verbessern?
Meiner Meinung nach müsste sich der gesellschaftliche Anspruch an Mütter, auch arbeiten gehen zu müssen, ändern.
Wenn Mütter das gerne
machen wollen und das für sie funktioniert, dann finde ich das ok, aber dieser
Zwang. Ich werde auch ganz doof angeschaut, wenn ich sage, dass ich freiwillig
zu Hause bleibe, weil es das Beste für mein Kind ist. Ich verzichte auf
Luxusprodukte oder Urlaub.
Auf Mütter und gerade alleinerziehende Mütter wird ein
wahnsinniger Druck ausgeübt, wenn es ums Thema Arbeit geht.
Ich kenne auch Mütter, die in meiner Situation sind, die
aber zwei Jobs und kaum Zeit für ihre Kinder haben. Die Kinder werden dann nur von Oma
zu Kita geschoben.
Und was müsste sich ändern, um die Situation von Hartz-IV-Empfängern zu ändern?
Langfristig muss sich was im Denken der Menschen ändern. Denn: Kinder sind unsere Zukunft. Wir haben zu wenige Kinder, weil die Bedingungen nicht gut sind. Aber da muss auch die Politik mitziehen.
Kurzfristig würde es helfen, wenn das Kindergeld und der Unterhalt endlich nicht mehr oder nur teilweise auf das Hartz IV angerechnet werden würden.
Denn es würde viel mehr glückliche Mütter und dadurch und
viel mehr glückliche Kinder geben, wenn wir nicht jeden Cent dreimal umdrehen
müssten.
Andere, gerade Kinder aus armen Familien, verschulden sich schon während des Studiums:
Wie stehst du zu einem bedingungslosen Grundeinkommen?
Ich bin dafür, weil ich mich selbst immer von einem
Zweijahresvertrag zum Nächsten gehangelt habe. Jeder Vertrag endete mit einem
super Zeugnis, einem Winken und einem 'Tschüss, schönes Leben noch.' – und ich
musste mir jedes Mal wieder was Neues suchen. Nie hatte ich vorher so viel
verdient, dass ich erstmal von Rücklagen leben hätte können. Immer war ich
darauf angewiesen, so schnell wie möglich zum Amt zu rennen und nur keine Frist
zu verpassen.
Dieses schwarze Loch, das am Ende eines befristeten Arbeitsvertrags steht, das ist der Horror.
Wenn wir ein bedingungsloses Grundeinkommen hätten, dann würden
wir uns eine Menge Bürokratie sparen und die Menschen hätten weniger Stress und
Druck. Das würde den Menschen die Existenzängste nehmen, wenn sie wüssten, dass
sie darauf zurückgreifen können.
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Vor den Kindern kommt das Liebesglück. Doof nur, wenn es gecrasht wird.
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