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Unter 1000 Euro

Armut: Nach dem Studium arbeitslos? So fühlt sich das an

Unter 1000 Euro

"An der Uni so: 90 Prozent haben sofort nen Job" – Daniel schafft das seit 4 Jahren nicht

Hier sprechen regelmäßig Menschen, die von Armut betroffen sind.
10.09.2018, 09:0710.09.2018, 10:33
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Daniel (Name geändert) ist 25 Jahre alt und hat vor vier Jahren seinen Bachelor in Ökotrophologie (Ernährungs- und Haushaltswissenschaften) gemacht. Danach hat er in sehr vielen unterschiedlichen Jobs und Positionen gearbeitet. Ein richtiger Vollzeitjob in seinem Fachbereich war nicht dabei. Deshalb hat er nun beschlossen, im kommenden Wintersemester einen Master zu machen. Seine Hoffnung: So endlich einen guten Job zu bekommen, der auch etwas mit seinen fachlichen Qualifikationen zu tun hat.

Seit kurzem ist Daniel arbeitslos und bereitet sich auf das Studium vor, das er im kommenden Wintersemester beginnt. Er lebt gerade vom Arbeitslosengeld in Höhe von 650 Euro monatlich und von Erspartem. Er wohnt zusammen mit seiner Freundin in einer Großstadt – das Paar teilt sich die Kosten, 

Daniel zahlt monatlich: 

  • 340 Euro Miete
  • ca. 150 Euro für Lebensmittel 
  • ca. 150 Euro für Telefon, Internet, Handy, Streaming, Versicherungen 
  • ca. 50 Euro für den Hund 

Würdest du dich selbst als arm bezeichnen?

Momentan fühle ich mich nicht arm. Einfach aus dem Grund, weil es in den vergangenen vier Jahren Zeiten gab, in denen ich mit nur 300 Euro auskommen musste, obwohl ich gearbeitet habe. Ich war nach meinem Studium nie komplett arbeitslos, sondern habe immer den ein oder anderen Job gemacht. Deshalb hatte ich nie Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Wer ist arm in Deutschland?
16,1 Millionen Menschen, also jeder fünfte Deutsche, war im Jahr 2015 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.

Ein Mensch gilt als von Armut bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft: (Quelle: Leben in Europa EU-SILC).

1. Das Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze. 2015 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1033 Euro, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2170 Euro im Monat.

2. Der Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Das bedeutet, dass jemand zum Beispiel nicht in der Lage war, Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, die Wohnungen angemessen zu beheizen oder eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren.

3. Der Mensch lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
erwerbsbeteiligung.eu-silc-bericht 2015

Hättest du nicht mit Hartz-IV aufstocken können?

Ich möchte das nicht, weil ich mich für Hartz-IV gläsern machen müsste. Ich müsste alle meine Konten offen legen. Da ist auch angespartes Geld von meiner Oma dabei, das für größere Anschaffungen gedacht ist und nicht dafür, dass ich es für den Alltag ausgebe. Das müsste ich erst verbrauchen, bevor ich die Sozialleistungen bekommen würde.

Da trete ich mir lieber selbst in den Hintern und suche mit hier und da noch einen Job.

Woran merkst du täglich, dass du arm bist?

Ich sehe mein Studium als Vollzeitjob an und da ich mich gerade auf den Master vorbereite, sehe ich meinen Job jetzt darin, Student zu sein. Das sehe ich nicht wirklich als Armut. Aber ich muss mir schon immer wieder einen Überblick über die Kosten, die auf mich zukommen, verschaffen.

Es gibt so viele Kosten, mit denen ich nicht gerechnet habe: Versicherungen, Steuern oder Krankenkasse. Das sind alles Kosten, die erst nach dem Studium so richtig auf dich zukommen. 

Wenn du aber, wie ich zu manchen Zeiten, keinen Job und keine Unterstützung hast, dann ist das sehr schwierig.

Andere verschulden sich schon während des Studiums:

Und woran spürst du die Armut konkret?

Ich achte sehr darauf, dass ich nicht mehr als acht Euro am Tag für alles ausgebe.

Das läuft dann so ab: Wenn ich zum Beispiel für 25 Euro einkaufen war, dann weiß ich, dass ich die kommenden drei Tage nichts ausgeben darf. Richtig schwierig wird es, wenn ich was unternehmen will. Das oder Urlaube muss ich mir schwer zusammensparen.

Das ist unsere Serie "Unter 1000 Euro"
Die allein erziehende Mutter, der junge Künstler und der Rentner, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt: Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch sie alle sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, genauso wie jeder Fünfte in Deutschland. watson trifft regelmäßig Menschen, die mit weniger als 1000 Euro Netto im Monat auskommen müssen.

Worauf musst du verzichten?

Ich hätte schon gerne mal eine Woche Urlaub gemacht. Einfach mal wegfahren. Muss ja nicht ins Ausland sein.

Es würde auch schon die Nordsee oder der Schwarzwald reichen, um sich zu erholen.

Was mir auch fehlt: Einfach mal einkaufen zu gehen und mir das zu kaufen, worauf ich gerade Lust habe.

Im kommenden Wintersemester beginnst du nun deinen Master. Warum hast du den nicht direkt nach dem Bachelor gemacht?

Ich wollte arbeiten. Ich dachte, dass ich mit einem Einkommen auch einen besseren Lebensstandard haben würde.

Aber es war relativ schwer, an Arbeit zu kommen, vor allem an Vollzeitarbeit und in dem Bereich, in dem ich studiert habe.

Ich war freier Mitarbeiter bei einer NGO, war Projektmanager in einem großen Unternehmen, habe im Marketing gearbeitet und in einem Start-up gearbeitet. Das Problem ist: Es ist wahnsinnig schwer. Wenn du im Bereich der Ernährungswissenschaften arbeiten willst, dann geht das nur ein paar Stunden in der Woche und für wenig Geld. Bei großen Unternehmen hast du dagegen wahnsinnig viel Stress und ein hohes Arbeitspensum und der Job hat mit dem Studium kaum noch was zu tun. Das soll sich nun ändern.

Außerdem habe ich mich einmal völlig überarbeitet.

Damals hatte ich einen Messejob, bei dem ich zwölf Stunden am Tag gearbeitet habe. Während des Tages habe ich wenig getrunken und wenig gegessen. Wenn ich in dieser Zeit abends nach Hause gekommen bin, habe ich für einen anderen Auftraggeber dann auch nochmal ein bis drei Stunden weitergearbeitet. Auf Dauer ist so ein 14-Stunden-Arbeitstag zu viel für den Körper. Ich hoffe nun, dass sich das alles durch den Master ändert.

Das klingt nach vielen Bewerbungen. Wie viele hast du denn geschrieben?

Inzwischen bestimmt 35 Stück. Das finde ich schon wahnsinnig viel.

Woran liegt es deiner Meinung nach, dass du keinen Job bekommen hast?

Diese Frage stelle ich mir auch immer noch. Ich habe eine sehr gute Qualifikation, daran liegt es nicht. Es ist ja auch nicht so, dass ich nicht arbeiten wollen würde, ich bekomme nur keine vernünftigen Jobs momentan.

Wenn es nicht an deiner Qualifikation liegt, woran liegt es deiner Meinung nach dann?

Meine Bearbeiterin beim Arbeitsamt meinte, dass der Arbeitsmarkt für Ökotrophologen wohl sehr schwierig ist. Im Studium haben wir genau das Gegenteil gesagt bekommen, nämlich, dass 90 Prozent der Studienabgänger sofort einen Job bekommen. Ich weiß nicht, ob das stimmt, was die im Studium gesagt haben, oder das, was die Frau auf dem Arbeitsamt gesagt hat.

Sind deine ehemaligen Kommilitonen in einer ähnlichen Situation?

Ein Freund, der zurück zu seinen Eltern aufs Land gezogen ist, hat ziemlich schnell einen guten Job bekommen. Mein bester Freund hat gleich nach dem Bachelor seinen Master gemacht und ist damit fast fertig.

Was müsste sich ändern, damit der Einstieg in den Beruf für Studenten einfacher ist?

Ich glaube, da kann man wenig machen. Im Endeffekt habe ich mir das ja selbst ausgesucht.

Ich hätte natürlich auch einfach ein anderes Fach studieren können. Aber ich studiere ja nicht, um damit reich zu werden, ich habe mein Studienfach aus persönlichem Interesse und aufgrund meiner Fähigkeiten ausgewählt. Mich interessiert das Thema Ernährung und die betriebs- und volkswirtschaftlichen Zusammenhänge. In meinem Fach muss man sich spezialisieren und diese Spezialisierung herauszufinden ist sehr schwierig.

Hinzu kommt, dass das Fach noch zu unbekannt ist und Arbeitgeber das schwer einschätzen können.

Man ist kein reiner BWLer und auch kein reiner Ernährungswissenschaftler. Spezialisten wird da der Vorrang gegeben.

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