Lea (Name von der Redaktion geändert) ist 28 Jahre alt,
studiert soziale Arbeit. Sie bekommt 735 Euro Bafög (also den aktuellen
Höchstsatz), verdient mit einem Nebenjob an der Uni ca. 150 Euro monatlich und
geht bis zu dreimal monatlich Plasma spenden (ca. 17 Euro gibt es für eine Spende). Insgesamt hat sie rund 930
Euro netto im Monat zur Verfügung.
Davon zahlt sie:
300 Euro Miete in einer mittelgroßen Stadt
ca. 75 Euro Versicherungen
35 Euro Strom
70 Euro Internet/Handy
93 Euro Krankenversicherung, da sie über 25
Jahre alt ist und deshalb nicht mehr über die Familienversicherung versichert
werden kann
Der Studentin bleiben damit rund 350 Euro monatlich zum
Leben.
Vor deinem Studium hast du eine Ausbildung gemacht, in deinem Beruf gearbeitet und dich weitergebildet. Warum hast du mit dem Job aufgehört?
Ich habe im Ausland gearbeitet, doch es haben sich schnell
gesundheitliche Probleme bemerkbar gemacht. Deshalb habe ich etliche
Behandlungen bekommen und mir wurde nahegelegt, dass ich den Beruf aus
gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben soll. Das war ein
Schlag ins Gesicht. Erst einmal habe ich dann Teilzeit gearbeitet und mir in
dieser Zeit überlegt, was ich jetzt machen kann.
Wie kamst du denn auf das Studium?
Ich habe mich mit vielen Menschen ausgetauscht, die soziale
Arbeit studieren oder studiert haben. Außerdem bin ich in der Gemeinde tätig.
Da haben mich viele Mitglieder und auch der Pastor bestärkt. Die Erfahrungen
der Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben dazu geführt, dass ich beschlossen
habe das auszuprobieren. Das war auch insofern nicht leicht, als dass ich das
erste Kind in meiner Familie bin, das studiert.
Wer ist arm in Deutschland?
16,1 Millionen Menschen, also jeder fünfte Deutsche, war im Jahr 2015 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
Ein Mensch gilt als von Armut bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft: (Quelle: Leben in Europa EU-SILC).
1. Das Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze. 2015 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1033 Euro, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2170 Euro im Monat.
2. Der Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Das bedeutet, dass jemand zum Beispiel nicht in der Lage war, Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, die Wohnungen angemessen zu beheizen oder eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren.
3. Der Mensch lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
erwerbsbeteiligung.eu-silc-bericht 2015
Wie war der Schritt aus dem Arbeitsleben raus und rein ins
Studium für dich?
Für den Job im Ausland hatte ich alles aufgegeben. Ich
musste also erst einmal bei Freunden schlafen. Das hat sich nicht gut
angefühlt, schließlich hatte ich einen anderen Plan gehabt.
Ein Studium ist finanziell auf jeden Fall ein großer Rückschritt, wenn man schon lange gearbeitet hat.
Der finanzielle Aspekt war für mich ein großes Kriterium, das
mich lange hat hadern lassen.
Würdest du dich selbst als arm bezeichnen?
Ich habe finanzielle Probleme – das auf jeden Fall. Als arm
würde ich mich aber nicht bezeichnen, weil ich selbst schon gesehen
habe, dass es so vielen andere Menschen auf der Welt so viel schlechter geht als mir. Ich habe ein Dach über dem Kopf, genug zu essen im Kühlschrank und sanitäre
Einrichtungen, die ich benutzen kann. Mir geht es dementsprechend ziemlich gut,
auch wenn ich finanzielle Engpässe habe.
Wie lange dauert es, bis das Geld knapp wird?
Rückblickend würde ich sagen, dass es, als ich noch
gearbeitet habe, immer eher auf den Monat ankam. Jetzt ist es eher so die Mitte des
Monats, also der Zeitpunkt, wenn alle Fixkosten abgebucht sind. Vom dritten bis zum
fünften Semester habe ich ein Stipendium bekommen. Seit ich das nicht mehr
bekomme, merke ich schon oft, dass es brenzlig ist. Ich muss viel stärker
darauf achten, was ich wirklich brauche und auf was ich gerade verzichten muss.
Worauf musst du denn verzichten?
Es fängt damit, dass ich nicht in den Urlaub fahren kann,
auch nicht für kurze Zeit. Bei Kleidung muss ich auch extrem darauf achten, ob
ich jetzt wirklich eine neue Hose brauche oder nicht. Ich bin auf jeden Fall in
gewissen Sachen wesentlich eingeschränkter, als vorher.
Die allein erziehende Mutter, der junge Künstler und der Rentner, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt: Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch sie alle sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, genauso wie jeder Fünfte in Deutschland. watson trifft regelmäßig Menschen, die mit weniger als 1000 Euro Netto im Monat auskommen müssen.
Mit 735 Euro bekommst du den aktuellen Bafög-Höchstsatz. Die
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat vor kurzem angekündigt, dass dieser im
Herbst des kommenden Jahres auf 850 Euro angehoben werden soll. Wie findest du
das?
Bafög ist ein sehr wichtiger Punkt. Da sollte nach all den Jahren des Stillstandes nun auch wirklich mal was passieren.
Ich finde es gut,
dass das jetzt auch in der Diskussion ist. Ich finde es ein richtiges Unding,
dass der Mietspiegel in allen Städten gleich behandelt wird, obwohl Wohnen zum
Beispiel in Düsseldorf teurer ist als in Dresden. Auch das müsste sich
ändern.
Mit 28 bist du verhältnismäßig "alt" für eine Studierende. Was
müsste sich ändern, um die Situation von älteren Studierenden zu verbessern?
Auf jeden Fall die Versicherungskosten. Die
Krankenversicherung kostet fast 100 Euro, die einfach weg sind, sobald man über
25 ist. Ich würde mir wünschen, dass da auch die Versicherungen mehr auf
Studenten zukommen würden – beispielsweise mit studentenfreundlicheren Tarifen.
Und was müsste sich, neben dem Bafög, im Allgemeinen ändern?
Ich finde, es ist ein Problem, dass es zu wenige studentenfreundliche Minijobs gibt.
Oft gibt es wenig Geld, die Jobs sind körperlich nicht immer zu bewältigen und haben
nichts mit dem Studium zu tun. Ich merke es gerade selbst, weil ich körperlich
beeinträchtigt bin und da ist es sehr schwer, einen flexiblen Nebenjob zu
finden, den ich machen kann. Ich würde mir ein Portal nur für fachbezogene Studentenjobs
wünschen, die einen auch beruflich weiterbringen.
Es gibt ziemlich viele Stipendien, mit denen man sich schon sehr
intensiv auseinandersetzen muss. In diesem Bereich müsste noch viel stärker und
viel früher Aufklärung betrieben werden. Deshalb engagiere ich mich da auch
selbst.
Wie genau engagierst du dich?
Ich bin bei Arbeiterkind.de aktiv. Die Ehrenamtlichen dort haben mir selbst sehr
viel geholfen und mir Ängste genommen.
Ich habe gemerkt, dass ich mit meiner eigenen Geschichte viel bewirken kann.
Ich erzähle den Menschen, wie es bei mir
war und wie ich alles gerade schaffe – auch wenn mein Weg kein gerader ist.
Diese Aufklärung muss schon in der Schule stattfinden. Mir wurde in der Schule
immer eingetrichtert, dass ich das Abitur gar nicht schaffen würde und dass
studieren erst recht nichts für mich wäre. Man muss den Menschen Mut machen und
sie auch ermutigen, zu studieren.
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