Tim (Name geändert) ist 22 Jahre alt und macht eine Ausbildung zum Schornsteinfeger. Er lebt noch bei seinen Eltern in einer Kleinstadt in Ostdeutschland. Dort zahlt er keine Miete. Er bekommt ein Lehrlingsgehalt von 386 Euro netto im Monat.
Davon zahlt er:
35 Euro für das Fitnessstudio
60 Euro für Handy
90 Euro für Versicherungen
ca. 50 Euro versucht er monatlich zu sparen
Die restlichen 151 Euro verteilen sich auf Unterkunfts-und Fahrtkosten für die Berufsschule, Fahrten zu seiner Freundin und Unternehmungen.
Warum hast du dich trotz des geringen Lehrlingsgehalts für
die Ausbildung entschieden?
Ich bin ein sehr neugieriger Mensch.
Mir macht es Spaß, jede halbe Stunde in einem neuen Haus zu sein und Menschen kennenzulernen, die mir viel zeigen und erzählen.
Das ist natürlich nicht
der Hauptgrund, aber das macht schon Spaß.
Dazu kommt, dass die Aussichten nach der Ausbildung
sensationell sind. In anderen Berufsfeldern bekommst du in der Ausbildung schon
1000 Euro, aber danach steigt es kaum noch. Bei Schornsteinfegern ist es genau
anders rum. Nach der Ausbildung kann man sehr gut vom Lohn leben.
Nach der Ausbildung verdienen Schornsteinfeger nach Tarif in sechs Stufen. Das sind durchschnittlich rund 2500 Euro.
Schornsteinfeger ist eine typische Laufbahnkarriere. Die meisten
machen noch einen Meister, um sich selbstständig machen zu können. Die Anreize
sind also relativ hoch. Wenn man möchte, kann man das direkt nach der
Ausbildung machen.
Wie sicher ist es, dass du nach deiner Ausbildung einen Job
bekommst?
Ich persönlich kenne nur einen arbeitslosen Gesellen. Viele
Kehrbezirke haben sogar keinen eigenen Schornsteinfeger, weil es zu wenige
Gesellen gibt.
Ja. Ich mache Online-Banking und der ständige Blick aufs
Konto ist sehr anstrengend.
Ich schaue mindestens zweimal am Tag, ob ich noch genug Geld habe, dann rechne und schiebe ich.
Wenn ich weiß, ich möchte am
Wochenende etwas mit meiner Freundin unternehmen, dann versuche ich unter der
Woche nichts auszugeben.
Ich kaufe mir so gut wie nichts, gehe nicht shoppen
oder so etwas. Neue Sachen kaufe ich mir einmal im Jahr. Ich fühle mich schon
arm. Einfach aus dem Grund, weil ich extrem aufs Geld schauen muss.
Ich habe einen relativ langweiligen Alltag und würde schon gerne mal ein paar außergewöhnlichere Sachen machen.
Aber um am Wochenende
einen Ausflug machen zu können, muss ich mein Auto volltanken. Wenn ich das
einmal mache, dann habe ich in der Woche drauf kein Geld. Da muss ich immer
abwägen. Das stört schon.
Pfleger Ben hat zu wenig Geld, um sich gesund zu ernähren:
16,1 Millionen Menschen, also jeder fünfte Deutsche, war im Jahr 2015 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
Ein Mensch gilt als von Armut bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft: (Quelle: Leben in Europa EU-SILC).
1. Das Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze. 2015 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1033 Euro, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2170 Euro im Monat.
2. Der Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Das bedeutet, dass jemand zum Beispiel nicht in der Lage war, Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, die Wohnungen angemessen zu beheizen oder eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren.
3. Der Mensch lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
erwerbsbeteiligung.eu-silc-bericht 2015
Was hast du dir zuletzt gegönnt?
Einen Kurzurlaub in London. Das war schön, aber auch extrem
teuer. Dafür habe ich richtig viel gearbeitet. Da muss man schon sehr fleißig
sein und auch mal länger arbeiten.
Die allein erziehende Mutter, der junge Künstler und der Rentner, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt: Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch sie alle sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, genauso wie jeder Fünfte in Deutschland. watson trifft regelmäßig Menschen, die mit weniger als 1000 Euro Netto im Monat auskommen müssen.
Was müsste sich ändern, um die Situation von
Schornsteinfeger-Azubis in Deutschland zu verbessern?
Organisation und Struktur der Aus-und auch der Weiterbildung
sind sehr gut. Einzig das Geld ist ein Problem.
Finanziell gesehen ist das alles sehr schwierig, ansonsten ist es ein sehr schöner Beruf.
Während der Ausbildung müssen alle Azubis in den
ostdeutschen Bundesländern nach Leipzig in die Berufsschule. Ich weiß, dass das
für viele ein Problem ist. Zum einen sind viele Azubis noch minderjährig und
für sie ist es schwierig ohne Führerschein teils ewig weite Wege auf sich zu
nehmen. Nicht überall gibt es gute Verbindungen mit den öffentlichen
Verkehrsmitteln. Wenn du da keine Fahrgemeinschaft bilden kannst, dann bist du
gearscht.
Zum anderen ist es auch eine Kostenfrage. Sich von unserem
Gehalt noch ein Zugticket für 60 Euro für eine einfache Fahrt zu
gönnen, ist eigentlich unmöglich. Ich selbst habe das Glück, dass ich ein Auto
von Angehörigen geschenkt bekommen habe.
Die Bemühungen von Seiten des Landes sind auf jeden Fall da.
Wir können beim Land Fördermittel beantragen für Fahrt und Unterkunft. Von vier
Anträgen habe ich aber erst einen bekommen. Da drehen die Räder schon sehr
langsam.
Es ist geplant, das Ausbildungsgehalt zu erhöhen. Das ist
der eine richtige Weg. Aber der andere richtige Weg wäre es, wenn die Betriebe
den Lehrlingen etwas mehr entgegenkommen würden.
Hast du einen konkreten Vorschlag?
Sie könnten zum Beispiel die Leistungen in der Berufsschule als Anreiz nehmen.
Sprich: Wenn ich gut in der Schule bin, dann zahlt mein
Meister mir die Fahrt in die Schule, oder sogar die Unterkunft, die ich dort in
der Zeit brauche. Die müssen wir nämlich auch bezahlen.
Wenn ich zwei Wochen in
der Berufsschule bin, dann muss ich 200 Euro für die Unterkunft zahlen. Wenn
ich einen Monat lang Berufsschule habe, dann ist das ohne Unterstützung gar
nicht möglich.
Jeder fünfte Deutsche ist von Armut bedroht. Darüber müssen wir sprechen. Würdest auch du dich als arm bezeichnen und möchtest mit uns - gerne anonym - darüber sprechen? Dann schreib uns an redaktion@watson.de.
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