Julian (Name geändert), 33 Jahre, arbeitet seit 14 Jahren als Friseur in Berlin. Seit Oktober 2017 ist er krank geschrieben. In seinem vorherigen Job verdiente er 900 Euro Brutto im Monat, heute lebt er von 720 Euro, die sich aus 570 Euro Krankengeld und 150 Euro Wohngeld zusammensetzen. Davon zahlt er:
Julian macht jeden Monat Schulden. Oft nimmt er Schmerzmittel und schneidet Menschen für 30-50 Euro privat in seiner Wohnung die Haare. Er geht kaum noch raus und kämpft täglich damit, so wenig Geld zur Verfügung zu haben. Ab Mai soll er wieder arbeiten können. Sorgen macht er sich trotzdem.
Ob man sich arm fühlt, kommt immer auf die innere Einstellung an und mit wie viel Geld man persönlich glücklich ist. Es gibt Momente, in denen ich traurig bin, dass ich nichts unternehmen kann und immer nachhause gehe, um mein weniges Geld schon wieder für Kartoffeln oder Reis auszugeben. Dann fühle ich mich schon arm.
Ja, aber schlimm ist auch, wie eingeschränkt ich seitdem lebe. In den ersten Wochen durfte ich meine Arme gar nicht bewegen. Ich habe an beiden Armen Schienen getragen und konnte nicht mal ein Wasserglas heben.
Ich kann mir nicht die Lebensmittel leisten, die ich gerne essen würde. Ich kann nichts mehr mit meinen Freunden unternehmen, weil alles immer Geld kostet. Ich erlebe nichts mehr. Ich kann nicht einmal in einen anderen Stadtteil fahren, weil das Ticket hin und zurück sechs Euro kostet. Die brauche ich zum Überleben, für Nudeln und Brot.
Ich kann meine Arme wieder bewegen, aber die Schmerzen können immer wiederkommen. Ich arbeite viel auf Shows in meinem Beruf. Da muss alles schnell gehen, da brauche ich starke Arme und Power und arbeite oft 12 Stunden am Tag. Ich habe Angst, wieder arbeitslos zu werden, wenn meine Arme das nicht mitmachen. Denn wenn ich nicht arbeite in Deutschland, habe ich einfach verloren. Dann muss ich aus meiner Wohnung raus und habe ein Problem.
Ich kriege mein Geld zwischen dem 7. Und 10. eines Monats aber am 1. muss ich meine Rechnungen schon zahlen. Ich mache also jeden Monat Schulden.
Als Friseur muss ich sehr auf mein Äußerliches achten, das zahlt mir keiner. Ein noch größeres Problem ist, dass Friseur-Scheren extrem viel kosten und wir sie selbst zahlen müssen. Ich bin seit 14 Jahren Friseur und arbeite seit zwei Jahren mit zwei Scheren, eine hat 900 Euro gekostet, die andere 600. Bis vor zwei Jahren konnte man die Scheren noch in Raten monatlich ab bezahlen, jetzt geht das nicht mehr.
Wenn ich gar nicht privat arbeiten konnte, habe ich manchmal meine Familie um Geld oder Essen gebeten. Sonst hätte ich meine Miete nicht zahlen können. Meine Eltern sind aber auch beide krank und haben dementsprechend wenig Geld.
Ich hatte Angst, dass mein Besitz gepfändet wird, ich konnte niemanden mehr nach Geld fragen. Obwohl ich die Schienen trug, bestellte ich mir drei Kunden nachhause. Danach musste ich zwei Tage hintereinander Spritzen gegen die Schmerzen bekommen.
Ich habe mir eine Hose gekauft für ein wichtiges Gespräch, die war aber auch Second Hand und daher günstig. Das letzte Mal im Urlaub war ich vor vier Jahren.
Freunde von mir haben einen Städtetrip gemacht und ich bin nicht mitgefahren. Aufs Ausgehen verzichte ich auch.
In 9 Stunden kann ich nur 9-10 Kunden maximal schneiden. Frisöre bei Billigfriseuren müssen meist einen bestimmten Umsatz am Tag machen. Wenn sie pro Schnitt nur 10 Euro bekommen, müssen sie den Rest über den Verkauf von Produkten reinkriegen. Das macht aber gar keinen Sinn: Jemand, der nur 10 Euro für einen Haarschnitt ausgeben will, zahlt nicht 20 Euro zusätzlich für ein Shampoo. Der Friseur muss also schneller arbeiten, die Qualität sinkt, der Friseur ist überarbeitet, schafft seinen Umsatz nicht und fliegt raus.